Herr Haber, ich habe eben mal das Wetter in Helsinki gegoogelt. Sieben Grad plus, Nieselregen. Ist das denn typisch für die Zeit um Weihnachten?

Unglücklicherweise ja. Mir wäre Schnee lieber, ein richtiger Winter. Aber das gibt es im Süden Finnlands kaum noch. Ich schätze, auch wir sind betroffen vom Klimawandel.

Wieviele Stunden Sonnenlicht haben Sie denn momentan pro Tag in Helsinki?

Nicht allzu viele. Sieben vielleicht. Aber in Helsinki geht es ja noch. Okay, es ist nicht Hawaii oder Mallorca, aber es geht. Wenn man nach Lappland geht, rauf in den Norden, dann ist das wirklich schlimm mit der Dunkelheit. Gestern erst habe ich es in der Zeitung gelesen: Sonnenaufgang in Helsinki – morgen um 9 Uhr und ein paar Minuten. Sonnenaufgang in Utsjoki in Lappland – am 17. Januar. Verdammt, das sind noch Wochen.

Ist das einer der Gründe, warum Sie im März nach Süden reisen? Wollen Sie dem Frühjahr so früh wie möglich begegnen?

Wenn Sie mich so fragen, muss ich sagen: Am liebsten führe ich jetzt gleich. Aber nein: Der Grund ist unsere Musik. Und unsere Fans, diese großartigen Menschen, die zu unseren Shows kommen. Ich komme gerade von der Probe mit dem Orchester. Noch ist das ziemlich chaotisch, aber ich bin sicher, das wird ganz, ganz toll werden. Ich bin total aufgeregt wegen dieser Tour.

Sunrise Avenue wird die größten Hallen Deutschlands füllen. Was ist der Grund für diese enorme Popularität – vor allem in Deutschland?

Ich weiß es nicht. Es ist – und war von Anfang an – eine komische Sache. Als wir vor neun Jahren die Single “Fairytale gone bad” herausbrachten, haben uns die Deutschen von der ersten Show an das Gefühl gegeben, nach Hause zu kommen. Es ist eine große Freundschaft – nun schon fast zehn Jahre. Das hat natürlich auch mit unserer Musik zu tun. Wäre die total scheiße, dann käme keiner zu unseren Konzerten. Ich denke, dass wir ein wirklich gutes Verhältnis zu den Menschen in Deutschland haben. Und darüber sind wir sehr glücklich. Es ist, jedes Mal, wenn wir dort spielen, wie Nachhause-Kommen. Übrigens auch wenn ich im deutschen Fernsehen auftrete.

Im Sommer haben Sie einige Open Airs vor Zehntausenden von Menschen in Deutschland gespielt. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an den Sommer 2015 denken?

Es war die umfangreichste Tour, die wir je gemacht haben. Etwa 650.000 Leute haben unsere Show gesehen, von Rumänien bis Nord-Finnland. Das ist doch verrückt! Es war atemberaubend, wirklich kaum zu fassen. Wir spielten alle Hits aus den zehn Jahren, von allen vier Platten. Aber es war auch deswegen schön, weil ich keine Fernsehshows machen musste. Der Fokus lag komplett auf der Musik und auf Sunrise Avenue. Das ist mein Job Nummer eins. Ich habe es genossen. Ich erinnere mich an den Anfang des Sommers, da war es sogar in Deutschland richtig kalt. Dafür war die zweite Hälfte verdammt heiß. Wir sind ein paarmal fast draufgegangen. Ich werde nie diese Show in Freiburg vergessen, bei der unser Drummer, Sami, fast von der Bühne gefallen wäre. Es waren 39,5 Grad plus. Nachts um elf! Total verrückt. Jetzt weiß ich auch, warum unsere finnischen Sauna-Bauer in Freiburg kein Geschäft machen.

Haben Sie es geschafft, ein wenig Ruhe und Entspanntheit in Ihr Leben zu bringen? Das war doch der Plan nach diesem überwältigenden Sommer. Sie wollten eine Menge Zeit am Strand und in Ihrem Sommerhaus verbringen.

Ja. Natürlich hatten wir auch Proben für die Tour. Aber es war eine sehr unangestrengte Zeit. Außerdem fahre ich über Weihnachten und in den Januar hinein weg, nur zum Relaxen. Ich möchte dann auf der Tour mit den Jungs so frisch wie möglich sein. Es war toll, dass ich 2015 so unbeschwert verleben konnte. Ehrlich gesagt: Ich war zuvor ganz schön erschöpft von allem.

Wohin geht es denn über den Jahreswechsel?

Es ist noch ziemlich offen, aber ich glaube, das Ziel wird wohl Asien sein. Hongkong vielleicht. Und dann eventuell weiter nach Australien. Ich liebe Australien wirklich sehr, besonders Melbourne. Aber, wie gesagt: Noch ist es offen.

Also suchen Sie den Sommer?

Ja, schon irgendwie. Wenn Sie das sehen würden, was ich gerade sehe, wenn ich aus dem Fenster schaue, würden Sie sich auch sofort auf den Weg zum Flughafen machen.

Sie haben aufgehört, Alkohol zu trinken. Sie essen auch keinen Zucker mehr.

Ich habe nicht aufgehört, Alkohol zu trinken. Ich mag sehr gerne einen Rotwein. Sie dürfen nicht alles glauben, was sie lesen. Aber ich nehme tatsächlich keinen Zucker mehr zu mir. Auch kein Coffein. Also: Kein Coca-Cola mehr. Ich will einfach ein bisschen gesünder leben.

Und? Merken Sie schon was?

Ja, schon ein wenig, natürlich. Wenn Sie keine schlechten Sachen zu sich nehmen, dann fühlen Sie sich besser. Sie schlafen besser. Sie haben mehr Kraft für die tagtäglichen Aufgaben. Also: Ja, es funktioniert.

Sie sind elektrisch auf Tour, akustisch mit einer Big Band – und jetzt wieder mit dem sechzigköpfigen Wonderland-Orchestra. Was macht für Sie den Unterschied zwischen diesen Formaten aus?

Natürlich mag ich alle. Es macht Riesenspaß, akustische Konzerte zu spielen oder die ganz normalen Sunrise-Avenue-Shows. Aber die Rockband mit einem ganzen Symphonie-Orchester zu kombinieren, ist das Größte, was wir je gemacht haben. Es ist anstrengend und ein bisschen chaotisch, wenn so viele Leute mitwirken. Gleichzeitig ist es aber auch sehr beschwingt und fühlt sich an wie eine richtig große Party. Es ist eine Menge Energie im Raum, wenn man mit so vielen Leuten zusammenspielt. Und doch geht alles ganz locker von der Hand.

Aber Sie müssen Ihre Songs doch auch neu erfinden. Mit neuen Arrangements für das Orchester.

Stimmt.

Gibt es denn viele Songs, die mit Orchester nicht funktionieren?

Oh ja. Natürlich kann man mit einem Orchester eine Menge machen. Man kann einem langsamen Song mehr Schwung geben. Tatsächlich müssen wir eine Menge gravierende Veränderungen machen. Trotzdem war es in den vergangenen Wochen ganz schön cool, dieses Ausprobieren verschiedener Ansätze mit den Leuten vom Orchester. Was nach unserem Gefühl am besten funktioniert, das verwenden wir. Ich kann garantieren, dass wir einige Songs spielen werden, die überhaupt nicht nach dem klingen werden, was die Leute vom Radio kennen. Die werden völlig neu rüberkommen.

Aber noch steht der Ablauf nicht endgültig fest?

Wir haben bereits achtzig Prozent des Programms. Da wissen wir schon, was passiert. Aber natürlich feilen wir noch an Details. Außerdem geht es ja auch um die Produktion, um die Bühne. Es wird sich also noch vieles ändern.

Sie haben mal erzählt, bevor das Bühnenlicht angeht, seien Sie aufgeregt wie kleine Jungs. Werden Sie diese Spannung jemals verlieren?

Ich hoffe nicht! Klar ist man vor der Show ein wenig nervös. Aber ich liebe dieses Gefühl, das sich immer so rund fünf Minuten vor dem Auftritt einstellt. Wir sind total erfahren, wir haben schon Tausende von Shows gespielt. Aber jedes Mal werden wir in diesen Momenten wieder zu kleinen Jungs. Es werden Witze gemacht. Da sind diese Schmetterlinge im Bauch, das Adrenalin schießt durch den Körper. Dann geht man auf die Bühne und alles explodiert. Das ist das tollste Gefühl der Welt.

Eine perfekte Vorbereitung für die Show?

Na klar. Das treibt uns an. Wir arbeiten besser, wenn wir so drauf sind. Wenn wir sagen würden “Ach, wieder eine Show”, dann könnten wir nicht hundert Prozent geben. Es würde sich anfühlen wie ein Job. Tatsächlich fühlt es sich aber an, als würden wir in die Schlacht ziehen.

“Fairytales”, Ihr aktuelles Album, ist eine Sammlung der besten Songs der vergangenen neun Jahre. Wie hat es sich angefühlt, die eigene Karriere so im Rückblick zu betrachten?

Es war recht berührend, muss ich sagen. Wir hatten alle unsere Songs auf dem Tisch. Sechzig Stück ungefähr. Dann ging die Debatte los, welche wir auf dem Album haben wollten. Wir dachten bei jedem Song noch mal daran, wie es dazu gekommen war, wo wir ihn geschrieben hatten, wo wir ihn aufgenommen hatten. Es war wirklich ein ganz verrücktes Gefühl: Der Traum, den wir vor zehn Jahren hatten, war in Erfüllung gegangen. Das war überwältigend. Wir sind super glücklich. So viele Menschen haben das neue Album gemocht, haben es sich über Streams angehört, mehr als eine halbe Million Menschen hat sogar die CD gekauft. Wir sind wirklich sehr stolz auf unsere ersten zehn Jahre.

Sie haben angefangen mit “On The Way To Wonderland”. Sind Sie noch auf dem Weg? Oder sind Sie schon angekommen?

Immerhin spielen wir jetzt mit dem Wonderland-Orchestra (lacht). Aber, wenn ich ehrlich bin, wäre es doch enttäuschend, wenn wir schon angekommen wären. Was sollten wir denn alle miteinander im Wunderland? Da müssten wir dann überlegen, was wir denn nun als Nächstes anstellen sollen. Nein, ich denke, das Leben ist eine endlose Reise in Richtung Wunderland. Man kann es nie erreichen. Und ich glaube, das ist das wirklich Gute daran. Es geht nicht um den Zielpunkt, es geht um die Reise, um die Erfahrungen, die man unterwegs sammelt.

Erfolg ist nicht planbar. Aber kann man wenigstens die Rahmenbedingungen ein bisschen beeinflussen?

Ich denke, die kann man sogar sehr gut beeinflussen. Wer seine Hausaufgaben macht, intensiv übt und mit einem vollen Herzen arbeitet, wer sich auf seine Gefühle verlässt, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, und nicht zu viel vorausplant, der kann viel beeinflussen. Man braucht Inhalte von guter Qualität, man braucht gutes Timing und ein bisschen Glück. Dann kann man eine Menge ausrichten.

Sie wollen also noch ein paar Jahre an der Spitze bleiben?

An der Spitze? Das weiß ich nicht. Wichtig ist, dass wir alle bei Sunrise Avenue Spaß am Weitermachen haben. Ob wir jetzt auf Platz eins stehen oder auf Platz einhundert, das ist doch egal. Ob wir im Flugzeug reisen oder im Tourbus, ob wir vor zehn oder zehntausend Leuten spielen: Wir müssen dabei glücklich sein. Klar, je höher man in den Charts steht, desto schöner ist es. Aber man kann nicht erwarten, immer an der Spitze zu bleiben.

Es muss also zunächst einmal für Sie ein gutes Gefühl sein? Wenn es dann noch andere mögen, ist das ein schöner Nebeneffekt.

Ganz genau. Wir müssen uns mit unserer Musik und unseren Shows richtig gut fühlen. Wir hätten längst ein neues Album machen können, aber uns war nach einer kleinen Pause. Wir wollten der Sache ein wenig Zeit geben, wollten erst einmal tief durchatmen. So kommt man auf neue Gedanken, zu neuen Ideen. Man muss seinem Herzen folgen. Wenn ich meinem Herzen folge, wird es mich zum richtigen Ort führen.

Ihr Vater ist in Deutschland geboren…

Ja, in Bad Grund in Niedersachsen.

Haben Sie noch Verwandtschaft in Deutschland?

Ja, natürlich. Unglücklicherweise war das vor sechzig Jahren, als es noch kein Facebook und kein Twitter gab. Es war also nicht leicht, mit den Leuten in Kontakt zu bleiben. Aber ich habe in den vergangenen Jahren einige Verwandte bei unseren Shows getroffen.

Wenn Sie jemals von Helsinki wegziehen würden, dann – so sagten sie einmal – wären Berlin, Barcelona und Los Angeles Ihre Plätze der Wahl. Warum diese drei?

Berlin ist eine coole Stadt voller Inspiration, mit einer wirklich coolen Geschichte und sehr, sehr coolen Leuten. Barcelona würde ich wegen des Wetters und der Kultur wählen. Los Angeles wäre im Zentrum des Musik-Business, aber da würde ich nie wohnen wollen. Los Angeles ist mir ein wenig zu sehr Disneyland.

Immerhin haben sie da ein akzeptables Eishockey-Team, die Kings. Sie sind ja ein großer Eishockey-Fan.

Ja, schon. Aber bei denen spielt kein Finne mit. Da fehlt mir der Bezug (lacht). In Berlin gibt es ja auch ein tolles Eishockey-Team, das würde mir genügen. In Barcelona gibt es kein Eishockey, dafür berechne ich Minuspunkte.

Sunrise-Avenue-Songs haben diesen sonnigen Pop-Sound. Wenn Sie Songs schreiben, fühlen Sie sich dann eher als Kalifornier denn als Finne?

Sunrise-Avenue-Songs haben eine sonnige Seite und eine dunkle Seite. Sunrise Avenue ist ein guter Querschnitt durch das Leben. Das Leben hat Tag und Nacht, Glück und Trauer. Der Mensch braucht beide Seiten. Ich denke, ich bin schon noch sehr Finne. Aber eben ein Finne, der viel reist. Wie ein Kalifornier fühle ich mich jedenfalls nicht. Ich bin stolz darauf, Finne zu sein.

Viele junge Frauen und Mädchen himmeln Sie an, finden, Sie seien ein Traummann. Sind Sie das?

Nein, bin ich nicht. Wenn es Frauen gibt, die das glauben, dann sollte man sie ins Krankenhaus bringen und medizinisch versorgen. Ich bin kein Traummann.

Sie möchten aber nicht ins Detail gehen, was Ihre Schwächen betrifft?

Ach, wissen Sie: Niemand ist perfekt. Ich nicht und Sie nicht. Ich bin nur ein Kerl aus Helsinki, das ist alles. Ich habe meine guten Seiten und meine schlechten. Genau wie Sie und jeder andere auch.

Im Trailer für die Pro-Sieben-Show “Die Band” sagten Sie: “Wenn dein Herz rockt, dann kannst du alles erreichen.” Ist das Ihr Lebensmotto?

Ja. Man muss ein bisschen Rock’n’Roll-Haltung in allem haben, was man tut. Man darf das Leben nicht zu ernst nehmen. Es ist nur Rock’n’Roll, man muss es nehmen, wie es kommt.

Nach der Open-Air-Tour im Sommer haben Sie angefangen, neue Songs zu schreiben. Haben Sie schon genug für ein neues Album?

Ich schreibe immerzu neue Songs. Seit dem letzten Album ist mehr als ein Jahr vergangen, also gibt es eine Reihe von Songs. Aber wir sind damit noch nicht ins Studio gegangen. Ich schätze, das werden wir irgendwann 2016 machen.

Jetzt sind also erst einmal die Proben wichtig. Dann die Tour. Und erst dann ein neues Album.

Ja, das stimmt. Man muss sich auf eine Sache konzentrieren. Ein Album nimmt man nicht in zehn Tagen auf. Dafür braucht man eine Menge Zeit. Nach der Tour werden wir das vielleicht in Angriff nehmen. Es gibt neue Songs, aber es gibt keine konkreten Aufnahmepläne im Moment.

Jetzt freuen wir uns erst einmal auf die Konzerte im März.

Wir auch. Bis dann.

Das Interview führte Rainer Maier

Konzerte im März
Bereits im Mai konnten Sunrise Avenue ihre Fans in Hannover mit einer grandiosen Orchester-Show beglücken. Daraufhin gab es unzählige Anfragen, ob die Band nicht weitere Orchester-Shows spielen könnte. Im März kommen Samu Haber und seine Bandkollegen gemeinsam mit dem Wonderland-Orchester zurück nach Deutschland und spielen auch in der Nürnberger Arena (17. März, Karten gibt es im Ticketshop der Coburger Neuen Presse).