Zu den etwa 120 künstlerischen Techniken, die der Tscheche Jirí Kolár nutzte und meist selbst kreierte, zählen "Analphabetogramme" und "Verrücktogramme", Knotengedichte und "chaotische Collagen". Dass er ein Grenzgänger war zwischen Literatur und bildender Kunst, belegen auch seine beiden Kontakte zu Hof: Im Rathaussaal trug er 1969 bei Claus Hennebergs "tagen für neue literatur" Gedichte vor, die nach seinen Worten erst fertig waren, wenn der Zuhörer sie mit sich selbst konfrontierte, zwei Jahre später durfte man im Galeriehaus Weinelt seine Bilder - größtenteils Collagen und Rollagen - bestaunen. Besonders auffallend: die Abbildung eines mit Schrift- und Bildfragmenten aus vielen Kulturkreisen bedeckten Riesenapfels; der trug den Titel "Am Anfang war das Wort". Aus Nürnberg kam jene Ausstellung nach Hof, und sie wurde von Dietrich Mahlow, dem damaligen Direktor der dortigen Kunsthalle, begleitet. Ihm gelang es wenig später, den mehr als mannshohen Wort-Apfel für die städtische Kunstsammlung zu sichern, aus der er jetzt hervorgeholt wurde, um als Blickfang in einem "Institut der Träume" zu dienen. So ist die kleine Schau betitelt, mit der das Nürnberger Neue Museum an Jirí Kolár aus Anlass von dessen 100. Geburtstag - er wurde im September 1914 in Protivin geboren und ist 2002 in Prag gestorben - erinnert (bis 5. April). Im Mittelpunkt steht nicht das Objekt, sondern eine Neuerwerbung aus Privatbesitz: Sie umfasst 31 frühe Collagen aus den Jahren 1958 bis 1963 - kleinformatige Blätter mit Titeln wie "Die Sonne des Malers" und "Schuss ins Schwarze", "Verliebter Wald" und "Rasierklingengedicht". Die Arbeiten voller Anspielungen auf die Kunst- und Literaturgeschichte spiegeln den intellektuellen Kosmos eines Künstlers, der die von den Kubisten, Dadaisten und Surrealisten geprägte Collage in verschiedenste Richtungen fortentwickelte, stets außerordentlich erfindungsreich und ein bisschen verrückt.
Feuilleton Institut der Träume
Von Ralf Sziegoleit 03.01.2015 - 00:00 Uhr