Chan Junis/Gaza - Die Frau aus Stein schaut den Betrachter mit leeren Augen an. Risse überziehen ihr Gesicht. Sie trägt ein Kopftuch und ein traditionelles palästinensisches Gewand. Mit einer Feder spielt sie scheinbar auf einem Olivenzweig wie auf einer Geige. Im Hintergrund des Bildes ist der Jerusalemer Felsendom zu sehen. "Wir leben kein normales Leben wie alle Menschen auf der ganzen Welt", sagt die Malerin Cholud Mohammed Eldesoki aus dem Gaza-Streifen. Verantwortlich dafür macht sie wie viele Palästinenser vor allem Israel.

Doch die 23-Jährige aus dem Ort Chan Junis hat sich für den kreativen Widerstand entschieden. Seit Anfang Oktober greifen vor allem junge Palästinenser aus dem Westjordanland Israelis mit Messern an, an der Grenze zu Gaza kommt es immer wieder zu Zusammenstößen mit der israelischen Armee. Die Gewaltwelle wurde auch durch einen Streit um Gebetsrechte auf dem Tempelberg mit dem Felsendom ausgelöst.

"Wir haben in Gaza 200 bis 400 Künstler unterschiedlichen Niveaus", sagt Scherif Serhan, Leiter der Shababek Arts Association in Gaza. "Viele Künstler machen Kunst, um Menschen aus anderen Ländern die politische und die Lebenssituation in Gaza zu erklären." Manche thematisierten die Probleme zwischen Israel und Gaza, andere die Probleme zwischen der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas und der gemäßigteren Fatah aus dem Westjordanland.

Eldesoki hat Kunsterziehung in Gaza studiert. Schon als Jugendliche malte sie Bilder, in denen sie das Anrecht der Palästinenser auf die Häuser ihrer Vorfahren im heutigen Israel thematisierte. "Jeder Palästinenser muss das Recht auf Rückkehr einfordern", sagt die schmale Frau mit schwarzem Kopftuch und im langen schwarzen Kleid.

In den Monaten vor und nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung im Mai 1948 und dem darauffolgenden Krieg waren mehr als 700 000 Palästinenser aus dem heutigen Israel geflohen oder vertrieben worden. Israel lehnt ein Rückkehrrecht für die Palästinenser allerdings ab, weil es dadurch die Existenz des jüdischen Staates bedroht sähe.

Aktuell arbeitet die junge Frau an dem Porträt eines Mädchens mit Kopftuch. Es soll Sinnbild für Armut sein. Eldesoki malt mit Rouge und Lippenstift, mit Kajal und Lidschatten. "Ich wollte wirklich etwas benutzen, was niemand zuvor benutzt hat", sagt sie. Außerdem seien die Ölfarben aufgrund der israelischen Blockade zu teuer geworden. Israel hat vor rund zehn Jahren den Gazastreifen aus Sicherheitsgründen wegen der Hamas abgeriegelt.

Auch Aiman Mghamis aus Gaza begehrt auf durch seine Kunst. Er kam 2001 während der zweiten Intifada, dem Kampf zwischen Palästinensern und Israelis, zu seiner Musik. "Es war eine fürchterliche Situation", sagt der 30-jährige Rapper über das Leben damals. "Wir wollten etwas tun weg von der Gewalt." Er stieß auf Rap von Afroamerikanern aus den USA - und fühlte sich an seine eigene erdrückende Situation erinnert.

In seinen Stücken spricht er über die israelische Besatzung, aber auch über die Lebenssituation und die hohe Arbeitslosigkeit in Gaza. Sein Song "Gaza Poster" klingt sehnsüchtig-melodiös. Das Video zeigt junge Männer zwischen Ruinen am Meer. "Ich will an einem Ort leben, wo ich "Nein" sagen kann, ohne verletzt zu werden", sagt der Rapper. "Ich will normal leben und sterben."

Aiman Mghamis kritisiert auch die Hamas - allerdings nur indirekt. "Ich habe Angst um meine Familie, um meine Tochter", sagt er. Im vergangenen Jahr habe ihn die Hamas fünf Stunden zu seiner Musik befragt. "Sie wollten mir nur zeigen: Wir sind hier, und wir beobachten dich." Ein Versuch, mit der Familie ins Ausland zu gehen, sei gescheitert. Im März präsentiert er sein neues Album in Frankreich.

Sein Musikerkollege Monem Awad tritt in seinen Stücken deutlich aggressiver auf. In seinem aktuellen Video "Intifada" zeigt er Filmschnipsel mit Steinewerfern und eine brennende Flagge der Palästinenser. Er rappt über Auslöser für die aktuelle "Messerstecher"-Intifada, wie den tödlichen Brandanschlag von radikalen Siedlern auf eine palästinensische Familie im Westjordanland. Mittlerweile hat die Gewalt allerdings eine Eigendynamik entwickelt.

Der 25-Jährige sagt: "Wenn es gegen Soldaten geht, unterstütze ich es, wenn es gegen Zivilisten geht, nicht." Auch Monem Awad will den Küstenstreifen verlassen. Der Krankenpfleger will zum Studium nach Spanien. Sein Bruder ist bereits nach Norwegen ausgewandert. Die Perspektiven in Gaza sind düster.