Coburg - Ein Ort am Rand kann auch Mittelpunkt der Welt sein. Zumindest für diejenigen, die diese Peripherie bevölkern. Auf Einladung des Coburger Literaturkreises sowie des Evangelischen Bildungswerks und der Katholischen Erwachsenenbildung war die polnische Journalistin und Übersetzerin Marta Kijowska am Montag im Haus Contakt zu Gast. Den Abend, der musikalisch passend durch Chopin-Interpretationen von Megumi Ikeda (Violine) und Juhyun Jeong (Klavier) eingerahmt wurde, moderierte der Journnalist und Politikwissenschaftler Hans-Joachim Föller.

Es sollte ein "Streifzug" durch die polnische Literatur des 20. Jahrhunderts werden und geriet doch - angesichts der Fülle von Personen und Ereignissen - über weite Strecken zu einem Parforce-Ritt. "Polen, das heißt nirgendwo": schrieb der französische Schriftsteller Alfred Jarry 1896, und Marta Kijowska bedient sich für ihren Buchtitel dieses Zitats. In der Tat existierte Polen zu dieser Zeit nicht, es war aufgeteilt zwischen Russland, Österreich und Preußen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gab es wieder einen souveränen Staats Polen, und Marta Kijowska schildert zunächst die Aufbruchstimmung und Begeisterung, die die polnischen Schriftsteller angesichts der wiedergewonnen Unabhängigkeit erfasste. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges allerdings versank Polen in Zerstörung.

Nach 1945 konnten im kommunistischen Staat viele polnische Autoren ihre Werke nicht publizieren, aber - so weiß Kijowska - "es waren nicht alle oppositionell". Manche arrangierten sich mit den neuen Machthabern, andere schlossen sich - vielfach unterstützt durch die katholische Kirche - zu Untergrundgruppen zusammen. Immer wieder wehrten sich Dichter gegen die Staatsdoktrin vom "Sozialistischen Realismus", immer wieder kam es zu Verboten durch die Zensur. "Ich hatte den Glauben an das Wort verloren. Die Zensur gab ihn mir wieder.", schrieb Stanislaw Jerzy Lec.

Der chronologische Bogen, den Marta Kijowska spannt, erstreckt sich bis in die Zeit nach der Wende von 1989, als es galt, den Literaturbetrieb neu zu ordnen, als neue Themen und Stile aufkamen.

Mit großem Interesse und Konzentration folgte das Publikum den Ausführungen Kijowskas und Föllers, doch wäre dem Abend ein strukturierterer Aufbau zu wünschen gewesen. Zu oft blieben die beiden Protagonisten im Detail stecken, warfen - ganz Insider - Namen über Namen ins Gespräch. Dennoch gab die Veranstaltung eine Menge Anreize und machte neugierig auf Polen und seiner Literatur.

Marta Kijowska: "Polen, das heißt Nirgendwo. Ein Streifzug durch Polens literarische Landschaften". 220 Seiten, gebunden, C.H. Beck Verlag München, 19.90 Euro. ISBN-13: 978-3406563751.