Ein Iglu und ein Igel haben nichts gemein. Trotzdem passen beide in ein und dasselbe Buch. „Beim Zusägen braucht es nur für die etwa zehn Zentimeter hohe, oben leicht abgerundete Zugangsöffnung etwas Übung“, beruhigt Hubert Filser all jene, die sich nicht gleich zutrauen, ein brauchbares Häuschen für die winterschläfrigen Stacheltiere zu zimmern. Keine neunzig Seiten später führt er aus, wie sich, wenn der Igel längst schlummert, im Freien ein frostfestes Domizil für Menschen errichten lässt: „Am besten baut man ein Iglu an einem flachen Hang“, rät Filser und hat auch Vorschläge für den „Bauplan“ und den „Innenausbau“ parat.

Viel Unbekanntes erfährt, viel Unbemerktes nimmt der Leser wahr, selbst wenn er, vielleicht wegen zweier linker Hände, sich beim Heimwerken zurückhält. Denn lauter Aha-Erlebnisse beschert einem der Münchner Physiker und Wissenschaftsjournalist, der sein anekdotenreich, bisweilen familiär geschriebenes und amüsant aufgemachtes Buch denn auch einfach so genannt hat: „Aha!“. Beim Gang durch die Jahreszeiten – vom „Frühjahrsputz“ („Was ist Staub?“) bis zum Hören der Stille „im Winter“ – ergründet er „Alltagsfragen“, die man leicht zu stellen vergisst. „Wie kommt mal mehr und mal weniger Salz ins Meer?“, „Warum gibt es Wolken in so vielen Variationen“, „Seit wann steht an Weihnachten ein Baum im Wohnzimmer?“…

.. oder: „Gibt es mehr Sandkörner auf der Erde oder mehr Sterne am Himmel?“ Denn sogar ein bisschen Kosmologie betreibt Hubert Filser. Doch noch hierbei, wie stets, geht er nur so weit geht, wie auch Jugendliche ihm folgen können. Seine ernüchternde These zur Schöpfung erspart er ihnen nicht: „Wir sind Kinder des Zufalls.“
Das größte Alltagsgeheimnis spricht er in Gestalt der Liebe, mitsamt der Fortpflanzung, wiederholt an: das „martialische Paarungsverhalten“ der Katzen etwa – das für die Kätzin kein Spaß ist –, die bis zu vierzig Muskeln, die der Mensch beim Küssen bewegt, die rare Spezies von Liebhabern, die während der Lust niesen müssen. Auch den Igel lässt er eindeutige Geräusche machen: „Intensives, lustvolles Schnarchen und Sägen“ bedeutet: Er „ist beim Paarungsspiel.“

Keine Unterhaltungslektüre, aber ungemein aufschlussreich: die „deutsch-jiddischen Wortgeschichten“, die Christoph Gutknecht unterm Titel „Gauner, Großkotz, kesse Lola“ zusammengetragen hat. Denn „das Jiddische hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen“.

Um dies schlüssig nachzuweisen, taugt kein „Geseire und Geschmus“. Der Autor, emeritierter Hamburger Professor, redet „Tacheles“, wenn er die allüberall sicht- und vor allem hörbaren Überbleibsel des Jiddischen im Alltagsdeutsch benennt. Entstanden während des 11. Jahrhunderts im Siedlungsgebiet zwischen Speyer und Köln, mischt es siebzig Prozent einheimische Sprachbestandteile mit Übernahmen aus dem Hebräischen, mit slawischen und romanischen Brocken. „Entscheidend ist die Erkenntnis, dass das Jiddische kein vermasseltes Deutsch ist“, betont im ausführlichen Schluss-Essay Autor Gutknecht, auch „kein gaunersprachliches Idiom und auch kein Dialekt, sondern eine individuelle Sprache“, bunt, vielfältig und unbedingt literaturfähig; noch vier bis fünf Millionen Menschen sprechen sie heute weltweit.

Knast und Polente, Barthel, der den Most holt, die Pleite, das Dingsbums und allerlei weiterer Stuss: alles dem Jiddischen entlehnt. Sprachwissenschaftlich fundiert, streckenweise akademisch trocken, dann wieder mit verschmitztem jüdischem Witz gräbt Gutknecht nach den Wurzeln von über sechzig mehr oder weniger geläufigen Wörtern. Unter ihnen ist auch die Bezeichnung für jene Ruhephase zur Jahreshalbzeit, während der den Medienleuten die Nachrichten ausgehen, weil die Politik eine Pause einlegt – die Sauregurkenzeit. Nicht etwa Kürbisgewächsen verdankt sich die Redewendung, sondern der jiddischen „Zores- und Jokreszeit“: einer Periode der Leiden.

-------------
Hubert Filser: Aha! Droemer-Verlag, 424 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro.
Christoph Gutknecht: Gauner, Großkotz, kesse Lola. Edition Q/Be.bra-Verlag, 256 Seiten, Taschenbuch, 14 Euro.