Banz - Rund 40 Zuhörer konnte Michael Krüger, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und bis 2013 Verlagsleiter des renommierten Hanser-Verlags, in der Kutschenhalle auf Schloss Banz im Rahmen des Festivals Lied & Lyrik begrüßen. Er hatte zur Lesung zwei Dichter eingeladen, die sich kennen und schätzen. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, sind unterschiedlich aufgewachsen und sozialisiert. 20 Jahre Lebenszeit trennen die beiden: Ryszard Krynicki wurde 1943 im österreichischen Wimberg geboren - was sich erst mal "nett anhört" (Michael Krüger), aber gar nicht nett war, denn er wurde in eine polnische Zwangsarbeiterfamilie hineingeboren, und sein Geburtsort war ein Lager.

Zwanzig Jahre später erblickte Lutz Seiler in Gera, also der ehemaligen DDR, das Licht der Welt. Er verbrachte seine Jugendzeit in dieser Gegend, die er die "müden Dörfer" nennt. Beide hatten nicht wirklich von zu Hause einen Draht zur Literatur mitbekommen, sie mussten sich die Wege hierzu selbst erlaufen und die Liebe zur Dichtung jeder für sich entdecken.

Der Ältere beginnt mit einigen kurzen Gedichten: mit leiser, fast zu leiser Stimme, liest er in hörbar polnischem Akzent, aber in geschliffener Sprache über die Kriegszeit und wie ein Vater miterlebt, wie sein Töchterchen "die Irrtümer der Menschheit" erfährt, beschreibt einen Weg nach Jerusalem, die Stadt Posen, in der die Deutschen die Synagoge und den jüdischen Friedhof mit ihrer "Ordnung und Sauberkeit" haben verschwinden lassen. Dennoch ist kein Vorwurf in seiner Stimme. Tiefe Traurigkeit spricht aus seinen Worten, auch Erstaunen darüber, dass so etwas wirklich geschehen konnte. "Jeder erinnert etwas anderes" ist sein Fazit im Gedicht "Heute Nacht".

Lutz Seiler, der 20 Jahre jüngere, hatte zu Hause keine Bücher. In der Schule muss er Gedichte auswendig lernen. Unter Anleitung der Mutter ist er zwischen dem Kinderzimmer, wo er lernt, und der Küche, wo er das Gelernte vortragen muss, ständig in Bewegung. Und diese Eigenschaft ist ihm geblieben, er wippt im Takt seiner Gedichte mit, wenn er liest. Auch er spricht mit leiser Stimme, präziser Sprache. Er findet es schwierig, jemand anderen seine Texte lesen zu hören, weil er sie selbst so liest, wie er sie geschrieben hat, in seinem Rhythmus. Anders geht es ihm bei Vertonungen seiner Gedichte, die es von Steffen Schleiermacher gibt, einem Komponisten und Dirigenten aus Halle: "Das ist etwas anderes, was ganz Neues, das stört mich nicht", sagt er im persönlichen Gespräch.

In letzter Zeit hat er viel Prosa gelesen: Sein Roman "Kruso" erhielt 2014 den Deutschen Buchpreis. In die Lyrik musste er sich erst wieder hineinfinden. Das ist ihm an diesem Spätnachmittag bestens gelungen. Gemeinsam mit seinem Dichterfreund Krynicki und Michael Krüger bescherte er den Zuhörern eine aufschlussreiche und auf hohem Niveau unterhaltende Stunde.