Flucht aus der Ukraine Deutsch für Ankommende

„Ich wohne in Coburg“ – Leiterin Susanne Popp am Donnerstagnachmittag vor ihrem zwölfköpfigen Kurs. Foto: Daniel Vogl

Der Krieg treibt Millionen Ukrainer in die Flucht, die ersten haben auch Coburg erreicht. Die Volkshochschule bietet ihnen nun Sprachkurse an. Eindrücke aus der ersten Stunde.

 
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„Wie geht es Ihnen?“ – „Wie geht es Ihnen?“

„Wie geht es dir?“ – „Wie geht es dir?“

„Wo wohnen Sie?“ – „Wo wohnen Sie?“

„Wo wohnst du?“ – „Wo wohnst du?“

Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerweile vor dem Krieg in der Ukraine geflohen, seitdem die Russische Föderation das angrenzende 42-Millionen-Einwohner-Land vor knapp einem Monat überfallen hat; es ist die verheerendste Flüchtlingskrise in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zwölf davon sitzen an diesem malerischen Donnerstagnachmittag im Spätmärz in einem zweckdienlichen Raum im ersten Stock der Löwenstraße 15 und sprechen ihre ersten Sätze in deutscher Sprache nach.

„Ich wohne in Coburg.“ – „Ich wohne in Coburg.“

Bis auf einen erwachsenen Mann mit lichtem Haar sind es Frauen, junge Frauen, maximal eine älter als 30, und Kinder. Sie heißen Marina und Sascha. Sie stammen aus dem belagerten Kiew, aus Odessa, das sich dieser Tage in eine Festung verwandelt in Vorbereitung auf den Sturm, der am Horizont aufzieht. Während über der Vestestadt die Sonne lacht, der Himmel wolkenlos, und die Menschen ins Freie strömen, um ihr erstes Waffeleis des Jahres zu schlecken.

„Das ist schon sehr emotional“

„Uns war schnell klar, dass wir unbürokratisch etwas auf die Beine stellen wollen“, sagt Laura Göldner in einem Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Sie leitet in der Volkshochschule Coburg Stadt und Land den Fachbereich Sprachen und Integration. Ehrenamtliche, die Geflüchtete aufgenommen haben, so Göldner, hätten bei der VHS angefragt, ob man nicht einen Deutschkurs anbieten könne. Man konnte, die Mittel fließen aus eigener Tasche. Insgesamt werden es zunächst gleich fünf sein. Einer online, die anderen in Präsenz und gesplittet nach Vorkenntnissen: ausschließlich Ukrainisch, Russisch, Englisch. Das kostenlose Angebot soll zur Überbrückung dienen, ehe voraussichtlich im Mai die neuen Integrationskurse anlaufen.

„Die Menschen wollen lernen“, betont Göldner, „und da wollen wir sie ja nicht bremsen.“ Zumal es bei derartigen Kursen stets um mehr gehe, als eine Sprache zu lernen. „Traumata werden durch das Miteinander ein Stückweit automatisch aufgefangen. Es entwickelt sich eine kleine Familie, die auch einmal einen Kaffee trinken geht.“

„So ein Kurs ist immer eine Herausforderung, aber das hier ist schon sehr emotional“, sagt Susanne Popp, die Leiterin, während einer Pause. Die 59-Jährige arbeitet als Lehrerin für Latein und Französisch am Frankenwaldgymnasium in Kronach, lebt jedoch in Coburg. Vor einigen Jahren hat sie am Goethe-Institut eine Fortbildung absolviert, um Deutsch als Fremdsprache vermitteln zu können. Nun sitzen ihr an diesem Nachmittag zwölf Menschen gegenüber, immer zwei an einem Tisch, hängen ihr an den Lippen, deren Heimat, wie es Wirtschaftsminister Habeck beschrieb, von Putins Russland seit Wochen „militärisch vergewaltigt“ wird.

Heute sei ihr Geburtstag, sagt die junge Frau plötzlich

„Sie zeigen eine wahnsinnige Stärke nach außen“, befindet Popp, allerdings sei eines der Kinder doch sehr gebeutelt. Man müsse mit den Teilnehmern äußerst vorsichtig umgehen. Der 59-Jährigen ist selbst in dem kurzen Gespräch anzumerken, wie nahe ihr die Angelegenheit geht: „Mich treibt dieser Krieg wahnsinnig um“, sagt sie, zeitweise habe sie sich gefühlt wie hypnotisiert. Popp habe nachgedacht, was sie tun könne, also zusätzlich zum Spenden. „Wenn es auch nicht viel ist, das ist mein Beitrag.“

„Drei.“ – „Drei.“

„Vier.“ – „Vier.“

„Fünf.“ – „Fünf.“

Die Pause ist vorüber. Susanne Popp steht wieder an der Tafel vor ihrem Kurs. Sie möchte noch einmal die Zahlen durchgehen vor dem Ende der ersten Stunde, im Wochentakt soll es anschließend weitergehen. Als schließlich die Zwanzig erreicht ist, fährt eine der jungen Frauen, blonde Haare, Karohemd, merklich nach oben in ihrem Stuhl. Heute sei ihr Geburtstag, sprudelt es plötzlich aus ihr heraus in fließendem Englisch, sie sei heute zwanzig geworden. Aufgeregt blickt sie umher, nimmt Glückwünsche entgegen.

Sie strahlt, ihre Augen leuchten.

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