„Die Überraschung über die Entwicklung seit Montag verstehe ich nicht!“, meinte der ehemalige Bundeswehrsoldat Oliver Ramm (FDP): „Man zieht doch keine Truppen an strategischen und neuralgischen Punkten zusammen, um Gefechtsübungen zu veranstalten.“ Ihn wundere, warum man die Entwicklungen zugelassen habe. Er frage sich, ob man derzeit eine neue Appeasement-Politik erlebe; lasse man doch zu, dass ein Diktator mit exakt vorhersagbaren Methoden neuerlich nach einer ehemaligen Sowjetrepublik greife. „Tschetschenien, Georgien, die Krim – und nun die Separatistengebiete. Warum begegnet man diesem Autokraten nicht entschiedener? Lässt man diese Entwicklung weiter zu, wer kann dann mit Gewissheit sagen, dass nicht alle anderen ehemaligen Sowjetrepubliken im Osten Europas auch von Putin bedroht werden“, warf er in den Raum.
Ratlosigkeit
Wie aber könne man dann der aggressiven Politik eines Diktators wie Putin begegnen, so eine Frage aus der Schülerschaft. „Die Grenze für das expansive russischen Umsichgreifen im Osten Europas ist die Grenze der EU!“, unterbrach Jonas Geissler die zunächst „gespenstige“ Ruhe. Wie alle anderen beschlich auch dem CSU-Bundestagsabgeordneten angesichts der Entwicklungen eine gewisse Ratlosigkeit: Putin mache es dem Westen schwer, denn sein Handeln entziehe sich jeder rationalen Vorhersagbarkeit. Überzeugt zeigte er sich, dass niemand einen Krieg wolle - weder der Westen noch der Osten. Folglich gehe er davon aus, dass beide Seiten irgendwann den Weg an den Verhandlungstisch zurückfinden müssen. Dennoch aber treibe ihn die Sorge um, nicht wirklich zu wissen, wie weit der expansive Anspruch Russlands in der Ukraine reichen werde. „Putin hat die beiden Separatistengebiete zwar anerkannt, es aber tunlichst unterlassen, die Grenzen der beiden Gebiete genau zu bestimmen.“ Geisslers Meinung nach helfen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur harte wirtschaftliche Sanktionen. Man müsse aber ehrlich sein, dass diese auch die deutsche Wirtschaft treffen: „Aber man muss einfach festhalten: Entweder wir sanktionieren das aggressive russischen Gebären, oder aber wir lassen zu, dass sich die Eskalationsspirale zu einer immer entfesselteren Gewaltspirale verwandle.“
Abhängig von Gas und Öl
Kann man den harten Sanktionskurs aufrechterhalten, wenn man davon ausgehen muss, dass diejenigen, die in Deutschland von möglichen Auswirkungen bedroht sind, vielleicht bei der nächsten Wahl anders wählen? Populistisch? Extremistisch? Wie wolle man glaubwürdig diese Sanktionen aufrechterhalten, so eine Schülerin aus dem Auditorium, wenn man sich gleichzeitig um den wirtschaftlichen Standortfaktor Deutschlands Sorgen mache?
Man habe sich zu sehr von russischem Gas und russischem Öl abhängig gemacht, prangerte Edith Memmel von den Grünen an. Mit dem Auftreten der Bundesregierung, insbesondere von Bundesaußenministerin Baerbock, sei sie einverstanden. Aber sie erinnerte bedrückt an die bis ins grüne Mark gegangene Diskussion um die Positionierung ihrer Partei hinsichtlich militärischer Auseinandersetzungen - der Frage, ob ein Krieg gerechtfertigt sei, um Autokraten wie Putin Einhalt zu gebieten. Eine neuerliche Zerreißprobe der Grünen deute sich möglicherweise an. „Natürlich müssen wir der Ukraine beistehen!“, verdeutlichte sie: „aber mit unseren Mitteln, unseren Überzeugungen. Liefern wir Waffen, überschreiten wir rote Linien, tragen wir nicht mehr zur Deeskalation bei und sind so kein zuverlässiger Verhandlungspartner mehr für Russland!“ Für sie wie ihre Diskussionsteilnehmer sei das Völkerrecht nicht wegzudiskutierende Basis allen Handelns im internationalen Raum: Putin habe in ihren Augen diese Basis längst verlassen. Gleichwohl frage sie sich auch, ob der Westen nicht vielleicht auch für die Entwicklung im Osten Europas verantwortlich sei: „Mit Drohgebärden zu beiden Seiten erreicht man doch nichts!“ Deeskalation, erst recht ihrer Meinung nach im Umgang miteinander, im kommunikativen Prozess zwischen Ost und West.
Habe man die Ukraine verraten?, warf Tobias Pohl am Ende in den Raum. Man verstehe die Emotionalität der Ukraine, so das Podium, aber Deutschland leiste viel. Mittlerweile diskutiere man, sicher unter vorgehaltener Hand, ob man über den neuerlichen Status quo hinaus nun Verhandlungen beginnen solle, ob man nicht akzeptieren müsse, dass zwei neue Staaten zwischen der Rest-Ukraine und Russland existierten. Bedrückt und von Sorge geleitet hatte die Debatte begonnen, bedrückter und von noch mehr Sorgen geleitet endete sie.