Der Stammbaum des Menschen ähnelt mehr einem undurchdringlichen Dornengebüsch als einem stattlichen, geradelinigen Baum. Welche Australopithecus- und Homo-Linie sich wann, wo, wie und warum abspaltete, ist erst in Bruchteilen bekannt.
Der Homo sapiens könnte durch die Wiedervereinigung von zwei verschiedenen Frühmenschen-Populationen entstanden sein. Ihr Erbgut findet sich heute im Verhältnis 80 zu 20 in unserem Genom, wie Forscher herausgefunden haben.
Der Stammbaum des Menschen ähnelt mehr einem undurchdringlichen Dornengebüsch als einem stattlichen, geradelinigen Baum. Welche Australopithecus- und Homo-Linie sich wann, wo, wie und warum abspaltete, ist erst in Bruchteilen bekannt.
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DNA-Analysen belegen außerdem, dass sich der Homo sapiens nach seinem Auftauchen in der Evolutionsgeschichte vor rund 300.000 Jahren mit anderen Menschenarten wie Neandertaler, Denisova-Mensch und mindestens einer weiteren archaischen Menschenform paarte. Doch diese ist bisher unbekannt. Wer war sie? Und woher stammte sie?
Vor rund sieben Millionen Jahren verzweigte sich der gemeinsame Stammbaum von Mensch und Affen. Damals gab es noch keine Urmenschen, aber schon Lebewesen, die den heutigen Menschen und Affen ähnlich waren. Ein paar Vertreter dieser Art entwickelten sich und wurden nach und nach zum Menschen.
Afrika ist die Wiege der Menschheit. Alle frühen Funde von Urmenschen stammen aus Ostafrika. Die „Out-of-Africa“-Hypothese, wonach alle Frühmenschen von der südlichen Halbkugel der Erde stammen, ist längst Allgemeingut der Paläoanthropologie – also jener Wissenschaft, die sich mit den alten, stammesgeschichtlich frühen und ausgestorbenen Arten der Hominini beschäftigt.
Doch wann die ersten Vertreter der Gattung Homo Afrika verließen und Asien und Europa erreichten, ist unklar. Diese Frage lässt sich nicht mit endgültiger Sicherheit beantworten. Die ältesten zuverlässig datierten Fundstücke am Übergang zwischen Asien und Europa stammen aus Dmanissi in Georgien und sind rund 1,85 Millionen Jahre alt.
Einer der frühesten Vorfahren des Menschen trägt den Namen Lucy. Mit dem Namen wird das 1974 im äthiopischen Afar-Dreieck entdeckte Teilskelett eines weiblichen Individuums der Art Australopithecus afarensis bezeichnet. Lucy war vermutlich etwas größer als ein Meter. Das Fossil wurde benannt nach dem Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ und auf ein Alter von 3,2 Millionen Jahren datiert.
Auf der Erde lebt heute nur noch eine Art Mensch, zu der wir alle gehören: der „Homo sapiens“ (lateinisch: der weise Mensch). Aber viele Tausende von Jahren lebte in Europa und im vorderen Teil von Asien eine ganz anderes Exemplar: der Homo neanderthalensis.
1856 wurden in einem Tal bei Düsseldorf Knochenreste von ihm gefunden. Sie verraten sehr viel über ihn und seine Lebensweise: Der Neandertaler war sehr kräftig und hatte stärkere Knochen als der anatomisch moderne Mensch. Er war etwas kleiner, kompakter gebaut und erschuf schon Waffen für die Jagd. Vielleicht konnte er sogar rudimentär sprechen.
Später kam der Homo sapiens nach Europa und Vorderasien. Einige Tausend Jahre lebten beide Menschenarten in den gleichen Gegenden. Vermutlich begegneten sie sich. Aber was passierte dann? Haben sie miteinander gesprochen, einander bekämpft oder sich vielleicht sogar gepaart?
Heute glauben Forscher: Es gab damals tatsächlich gemeinsame Kinder von Neandertalern und modernen Menschen. Sie vermuten sogar, dass die allermeisten Menschen Erbgut von Neandertalern in sich tragen. Die Neandertaler starben vor etwa 30.000 Jahren aus.
So weit so gut, doch jetzt wird es kompliziert: Der Homo sapiens ist offenbar aus mindestens zwei verschiedenen Vorgänger-Populationen hervorgegangen, wie Forscher der University of Cambridge in England um Trevor Cousins herausgefunden haben.
Für ihre im Fachjournal „Nature Genetics“ veröffentlichte Studie haben die Wissenschaftler DNA-Daten des 1000-Genomes-Projekts ausgewertet, in dessen Rahmen Erbgut von Menschen auf allen Kontinenten sequenziert wurde. Das Team entwickelte einen Algorithmus, um darin nach Hinweisen auf frühe Populationsengpässe, Vermischungen und Abspaltungen zu suchen.
Diesen Analysen zufolge ereignete sich vor rund 1,5 Millionen Jahren noch vor Abspaltung des Neandertalers und des Denisova-Menschen eine Auftrennung unserer Stammeslinie. Aus dieser Trennung entwickelten sich zwei verschiedene Vorläufer-Populationen des Homo sapiens, die gut eine Million Jahre lang unabhängig voneinander existierten, wie die Forscher eruiert haben.
Eine dieser beiden Prä-Populationen wäre nach dieser Trennung fast ausgestorben. „Direkt nach ihrer Trennung sehen wir einen schwerwiegenden Flaschenhals in einer von ihnen“, erläutert Koautor Aylwyn Scally.
Bei einem solchen „Flaschenhals“ verarmt der Genpool einer Population. „Dies legt nahe, dass diese Population auf eine sehr geringe Größe schrumpfte, bevor sie sich dann im Laufe der nächsten gut eine Million Jahre wieder erholte“,ergänzt Scally.
Nachdem sich diese Population regeneriert hatte, wurde sie zu einem wichtigen Urahnen für mehrere Menschenarten. Als erstes zweigten aus ihr vor rund 700.000 Jahren die gemeinsamen Vorfahren der Denisova-Menschen und der Neandertaler ab, wie DNA-Vergleiche nahelegen.
Darauf folgte das für den Homo sapiens maßgebliche Ereignis: Vor rund 300.000 Jahren vereinten sich die beiden Vorläufer-Populationen wieder. „Das war etwa zu der Zeit, aus der auch die ältesten bekannten Fossilien des Homo sapiens stammen“, erläutert Cousins. Erst aus dieser Wiedervereinigung ging demnach unsere Spezies hervor. In unserem Genom zeigt sich dabei eine 80:20-Mischung dieser beiden Vorläufer-Gruppen.
„Lange Zeit nahm man an, dass wir aus einer einzigen, kontinuierlichen Stammeslinie hervorgegangen sind. Aber unsere Forschung zeigt, dass unsere evolutionären Ursprünge komplexer sind“, berichtete Ko-Autor Richard Durbin. „Beteiligt waren verschiedene Gruppen, die sich mehr als eine Million Jahre lang getrennt voneinander entwickelten, dann aber wieder zusammenkamen, um den modernen Menschen zu bilden.“
Doch wer waren diese beiden Gründer-Populationen des Homo sapiens? Welcher Frühmenschen-Spezies gehörten sie an? Bisher können die Forscher um Cousins u nur spekulieren. „In der relevanten Zeitperiode gab es verschiedene Populationen des Homo erectus und Homo heidelbergensis in Afrika und anderswo“, konstatieren die Paläoanthropologen. „Sie sind daher potenzielle Kandidaten für diese Stammeslinien.“
Doch um die Artzugehörigkeit unserer Ahnen genauer einzugrenzen, sind nun weitere genetische Vergleichsstudien nötig. „Die Vorstellung, dass sich eine Art in säuberlich getrennten Stammeslinien entwickelt, ist zu vereinfachend“, sagt Cousin. „Stattdessen haben Kreuzungen und genetischer Austausch eine wichtige Rolle für die Entwicklung neuer Arten gespielt.“