So erklärten sich neben Anja Ribalka auch Julia Sawitskja bereit, etwas über sich zu erzählen. Die beiden Frauen haben sich auf der Flucht in Deutschland kennengelernt, sind Freundinnen geworden und teilen sich einen Schlafbereich in der Turnhalle. Julia stammt aus der Nähe von Poltawa, einer Stadt in der Zentralukraine mit etwa 300 000 Einwohnern. Auch sie nahm den gleichen Weg über Polen und Berlin nach Hainert. Tochter Anastasia ist acht Jahre alt und zusammen mit ihrer Mutter geflohen. Beide freuen sich, endlich nicht mehr weitergereicht zu werden. So empfanden Mutter und Tochter nämlich die Reise quer durch Deutschland. Durch die Kriegsereignisse ist die Angst ihr ständiger Begleiter. Sogar in Berlin haben sich reflexartig geduckt, als ein großes Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen relativ niedrig am Himmel war, erzählt Julia. Die 33-Jährige, die genauso wie ihre neue Freundin ihren Mann und Eltern in der Ukraine zurücklassen musste, hatte am 16. März den schweren Entschluss gefasst, ihre Heimat zu verlassen. Anja erzählt auch, was der Krieg mit ihrem kleinen Sohn gemacht hat: „Stanislav reagiert sehr panisch, wenn er Sirenen hört, und hat wahnsinnig viel Angst“. Freilich versucht die liebevolle Mutter, ihren Sprössling zu trösten, aber auch sie ist von der enormen psychischen Belastung nicht verschont geblieben.
Die beiden Frauen freuen sich genauso wie die anderen Flüchtlinge in Hainert, dass sie zumindest mit ihren Lieben zu Hause in der Ukraine per Smartphone kommunizieren können. „Unseren Familien geht es den Umständen entsprechend gut und alle sind gesund“, sagen Anja und Julia übereinstimmend. Damit sie das Mobilfunknetz überhaupt Nutzen können, hat die Überlandzentrale Mainfranken aus Lülsfeld Nägel mit Köpfen gemacht. Auf eigene Kosten, immerhin um die 700 Euro, verlegte das Unternehmen einen Glasfaseranschluss zur Hainerter Turnhalle, damit das WLAN dort funktioniert. Innerhalb von nur vier Tagen stand die Leitung, hebt Karl Weißenberger hervor.
Auch von einem besonderen Schicksal weiß der ehemalige Berufsfeuerwehrler zu berichten. Ein Familienverbund aus insgesamt zehn Personen, vier Erwachsenen und sechs Kindern, wurde aus nicht bekannten Gründen im Ankerzentrum Schweinfurt voneinander getrennt. Und das, obwohl die Flüchtlinge nach ihren Worten dort auf die familiäre Situation aufmerksam machten und betonten, dass sie zusammenbleiben wollen. Nun ist die eine Hälfte der Familie in Hainert und der andere Teil in Aschaffenburg gelandet. Karl Weißenberger hilft bei der Zusammenführung. Den Familienmitgliedern in Aschaffenburg wurde nun geraten, sich bei den dortigen Verantwortlichen abzumelden und mit dem Zug nach Haßfurt zu fahren. Die Bahn bietet ukrainischen Flüchtlingen nach Vorlage ihres Passes bundesweit kostenlose Fahrt. In der Kreisstadt, so ist geplant, werden Helfer mit dem Bürgerbus die in der Ferne Gestrandeten abholen und zu ihren Angehörigen nach Hainert bringen.
Im Übrigen ist Karl Weißenberger guter Dinge, dass bis zum Wochenende für alle in Hainert Untergekommenen eine Wohnung oder Zimmer in einem Privathaus gefunden wird. Gleichzeitig ruft der Koordinator dazu auf, der Gemeinde Knetzgau weitere Wohnraumangebote zu melden. Für die Eigentümer ist dabei wichtig, dass sie keinen Mietvertrag nach deutschem Recht mit allen förmlichen Verpflichtungen eingehen, sondern dass ein Nutzungsvertrag abgeschlossen wird. Durch das Landratsamt wird eine entsprechende Entschädigung und Nebenkostenerstattung gezahlt.