Geflüchtete kommen in Hainert an „Endlich nicht mehr weitergereicht“

Christian Licha

Flüchtlinge aus der Ukraine sind in dieser Woche in Hainert angekommen. Sie erzählen von ihrer Flucht, den Strapazen und den Ängsten, die sie immer noch haben.

 
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„Wir haben alle geweint als wir unsere Familie verlassen mussten“, beschreibt Anja Ribalka den Abschied vor über zwei Wochen von daheim. Die 26-Jährige stammt aus Luganskaja, einem kleinen Ort in der Nähe von Luhansk, ganz im Osten der Ukraine. Von dort aus ist sie am 8. März zusammen mit ihrem dreijährigen Sohn Stanislav Richtung Westen geflohen. Mit Bussen und Zügen musste sich die junge Familienmutter durch das zerstörte Land kämpfen, ehe sie über Polen nach Berlin kam und schließlich nach einem Zwischenaufenthalt im Ankerzentrum Schweinfurt zusammen mit weiteren 13 Erwachsenen und zehn Kindern im Knetzgauer Gemeindeteil Hainert ankam. Dort haben Anja und Stanislav zumindest vorübergehend eine sichere Bleibe gefunden.

Am Mittwochnachmittag stehen die ehrenamtlichen Helfer einschließlich des zweiten Bürgermeisters Stefan Seubert bereit, um den Bus mit den Flüchtlingen zu empfangen. Unter ihnen auch Karl Weißenberger, der im Auftrag der Gemeinde die Koordination übernommen hat. Der Oberschwappacher Pensionist, der als Brandrat bei der Berufsfeuerwehr München gearbeitet hat, weiß, wie man mit solchen Situationen umgeht. Auch für den Katastrophenschutz war er seinerzeit in der Landeshauptstadt mit zuständig.

„Die Spendenbereitschaft ist enorm“, sagt Karl Weißenberger zur Resonanz des Aufrufes der Gemeindeverwaltung für alle Ortsteile. Betten, Kleidung, Kinderspielsachen und vieles mehr brachten die Bürger zu einer Sammelstelle. „Und das waren alles gut erhaltene und verwertbare Sachen“, lobt der Koordinator die bereitwilligen Spender. Am Ankunftstag wird noch kurzfristig ein Bett benötigt. Tanja Schmitt aus Donnersdorf, die privat mit Karl Weißenberger bekannt ist und davon erfährt, fackelt nicht lange. Die Familienmutter liefert ein komplettes Bett mit dem Auto an. Einige andere Helfer, die vor Ort sind, helfen ihr spontan beim Ausladen. Auch die neunjährigen Zwillinge Lea und Lars sind dabei und haben einige Spielsachen im Gepäck, die sie spenden. „Wir wollen, dass sich die Kinder aus der Ukraine spielen und etwas ablenken können“, sagen die Geschwister übereinstimmend.

Bereits im Vorfeld wurde viel geleistet. „Ohne die Feuerwehren aus Hainert und Knetzgau wäre das Ganze nicht machbar gewesen“, sagt Karl Weißenberger und freut sich, dass die Ausstattung der Halle mit den notwendigsten Möbeln so reibungslos funktionierte. Die Halle ist geteilt in einzelne Bereiche für die jeweiligen Familien, abgetrennt jeweils mit einem Sichtschutz, damit die Privatsphäre wenigstens einigermaßen gewahrt bleibt. Auch das haben die Feuerwehrler geschaffen. Der Bürgerbus steht ständig bereit, um die Flüchtlinge zum Einkaufen und je nach Bedarf zum Arzt, zu Behörden oder andere notwendigen Einrichtungen zu fahren. Ursprünglich war geplant, die Flüchtlinge in der Schulturnhalle in Knetzgau unterzubringen. Weil im nebenliegenden Hallenbad aber die Duschen zurzeit nicht funktionieren, wurde umorganisiert. Der SV Hainert sagte sofort zu, als die Anfrage der Gemeinde auf Nutzung der vereinseigenen Turnhalle kam, berichtet Kassier Frank Mützel. Die Gemeinschaftsabende der Alten Herren, die sonst in der Halle stattfinden wurden kurzerhand in das Feuerwehrhaus verlegt und die Aerobic-Gruppe, die normal auch die Turnhalle nutzt, hat eine neue, vorübergehende Heimat in der alten Schule in der Dorfmitte gefunden.

Die Sprachbarriere ist teilweise ein großes Hindernis bei der Kommunikation. Viele Flüchtlinge können nur ihre Heimatsprache. Bei den jetzigen 25 Personen ist gerade einmal ein Jugendlicher dabei, der etwas Englisch kann. Gleich zwei Frauen aus dem Gemeindegebiet Knetzgau, die auch ursprünglich aus der Ukraine stammen, haben sich bereit erklärt, zu dolmetschen. Eine von ihnen ist Marianna Göbel aus Zell. Sie lebt bereits seit über 25 Jahren in dem Winzerdorf. Durch die hilfsbereite Frau war es für unseren Reporter möglich, mehr über einzelne Schicksale zu erfahren.

So erklärten sich neben Anja Ribalka auch Julia Sawitskja bereit, etwas über sich zu erzählen. Die beiden Frauen haben sich auf der Flucht in Deutschland kennengelernt, sind Freundinnen geworden und teilen sich einen Schlafbereich in der Turnhalle. Julia stammt aus der Nähe von Poltawa, einer Stadt in der Zentralukraine mit etwa 300 000 Einwohnern. Auch sie nahm den gleichen Weg über Polen und Berlin nach Hainert. Tochter Anastasia ist acht Jahre alt und zusammen mit ihrer Mutter geflohen. Beide freuen sich, endlich nicht mehr weitergereicht zu werden. So empfanden Mutter und Tochter nämlich die Reise quer durch Deutschland. Durch die Kriegsereignisse ist die Angst ihr ständiger Begleiter. Sogar in Berlin haben sich reflexartig geduckt, als ein großes Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen relativ niedrig am Himmel war, erzählt Julia. Die 33-Jährige, die genauso wie ihre neue Freundin ihren Mann und Eltern in der Ukraine zurücklassen musste, hatte am 16. März den schweren Entschluss gefasst, ihre Heimat zu verlassen. Anja erzählt auch, was der Krieg mit ihrem kleinen Sohn gemacht hat: „Stanislav reagiert sehr panisch, wenn er Sirenen hört, und hat wahnsinnig viel Angst“. Freilich versucht die liebevolle Mutter, ihren Sprössling zu trösten, aber auch sie ist von der enormen psychischen Belastung nicht verschont geblieben.

Die beiden Frauen freuen sich genauso wie die anderen Flüchtlinge in Hainert, dass sie zumindest mit ihren Lieben zu Hause in der Ukraine per Smartphone kommunizieren können. „Unseren Familien geht es den Umständen entsprechend gut und alle sind gesund“, sagen Anja und Julia übereinstimmend. Damit sie das Mobilfunknetz überhaupt Nutzen können, hat die Überlandzentrale Mainfranken aus Lülsfeld Nägel mit Köpfen gemacht. Auf eigene Kosten, immerhin um die 700 Euro, verlegte das Unternehmen einen Glasfaseranschluss zur Hainerter Turnhalle, damit das WLAN dort funktioniert. Innerhalb von nur vier Tagen stand die Leitung, hebt Karl Weißenberger hervor.

Auch von einem besonderen Schicksal weiß der ehemalige Berufsfeuerwehrler zu berichten. Ein Familienverbund aus insgesamt zehn Personen, vier Erwachsenen und sechs Kindern, wurde aus nicht bekannten Gründen im Ankerzentrum Schweinfurt voneinander getrennt. Und das, obwohl die Flüchtlinge nach ihren Worten dort auf die familiäre Situation aufmerksam machten und betonten, dass sie zusammenbleiben wollen. Nun ist die eine Hälfte der Familie in Hainert und der andere Teil in Aschaffenburg gelandet. Karl Weißenberger hilft bei der Zusammenführung. Den Familienmitgliedern in Aschaffenburg wurde nun geraten, sich bei den dortigen Verantwortlichen abzumelden und mit dem Zug nach Haßfurt zu fahren. Die Bahn bietet ukrainischen Flüchtlingen nach Vorlage ihres Passes bundesweit kostenlose Fahrt. In der Kreisstadt, so ist geplant, werden Helfer mit dem Bürgerbus die in der Ferne Gestrandeten abholen und zu ihren Angehörigen nach Hainert bringen.

Im Übrigen ist Karl Weißenberger guter Dinge, dass bis zum Wochenende für alle in Hainert Untergekommenen eine Wohnung oder Zimmer in einem Privathaus gefunden wird. Gleichzeitig ruft der Koordinator dazu auf, der Gemeinde Knetzgau weitere Wohnraumangebote zu melden. Für die Eigentümer ist dabei wichtig, dass sie keinen Mietvertrag nach deutschem Recht mit allen förmlichen Verpflichtungen eingehen, sondern dass ein Nutzungsvertrag abgeschlossen wird. Durch das Landratsamt wird eine entsprechende Entschädigung und Nebenkostenerstattung gezahlt.

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