Genuss-So! Vom Kloß im Leinentuch

Cindy Heinkel

Mit klassisch-gutbürgerlicher Thüringer Küche lockt der „Waldfrieden“ im beschaulichen Bergdorf Rabenäußig im Schaumberger Land seine Gäste von nah und fern.

 
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Das Gasthaus liegt da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Direkt am Waldrand, in Sichtweite der Bleßberg und die Veste Coburg. Auf der fast höchsten Kuppe der winzigen Ortschaft Rabenäußig im Landkreis Sonneberg steht der Berggasthof „Waldfrieden“. Betreiberin Claudia Heckel führt das Geschäft, das sie mit der Unterstützung ihrer Eltern Regina und Hans seit 1988 aufgebaut hat. Irgendwie war die heute 50-Jährige damals an der Reihe. Denn sie stammt aus dem früher in der Region bekannten Hotel „Heckel“.

Wie selbstverständlich führt sie das gastronomische Erbe ihrer Vorfahren weiter, lernt zu DDR-Zeiten in der Handelsorganisation (HO) im nahen Sonneberg den Kellnerberuf und steigt schon als junge Frau ein in die zunächst gepachtete Bergwirtschaft mit gemütlichem Biergarten zwischen herrschaftlichen Kastanien und Birken. Gut feiern kann man im recht abgelegenen „Waldfrieden“, der im Zirkelschlag von rund 15 Kilometern, also bei den Einheimischen, nur der „Heckel“ genannt wird. Allein 80 Plätze bietet der Saal für Familien- und Vereinsfestivitäten, 40 der Gastraum und rund 30 Gäste passen ins Kaminzimmer. Kartenspieler treffen sich hier zum Bierchen. Wanderer, Ausflügler, Radfahrer und Skiläufer kehren ein nach ihren Touren.

Das alljährliche Märchenspiel des Ortes hat hier sein Bühnen-Zuhause. Besonders am Wochenende herrscht Hochbetrieb, wenn nicht gerade Corona das Geschäft verhagelt. Dann gehen statt rund 50 Essen zum Abholen rund drei bis vier Mal so viele Portionen am Sonntagmittag weg, sitzen die Tische und Bierbänke voll. Mehr als 300 Kartoffel-, dazu Serviettenklöße sowie mehrere Braten sind an der Tagesordnung. Ohne Vorbestellung geht nix. Was Claudia Heckel am liebsten zubereitet? „Rouladen.“ Rund 50 jedes Wochenende wollen gewickelt werden. Das Rindfleisch dafür kommt von regionalen Metzgern oder Schlachthöfen und geht bei Mutter Regina durch die Qualitätskontrolle. Mit Gewürzen, Zwiebeln, Speck und Senf wird jede einzelne Roulade verfeinert, bevor sie gerollt und mit speziellem Heftgarn festgezurrt wird.

Nicht jeder Faden ist dabei geeignet, die Rolle soll die Form behalten, ohne beim Braten und Kochen auseinanderzufallen. „Das ist eine Kunst“, sagt die Chefin. Später, nach der Zubereitung, wird der Zwirn in Handarbeit wieder entfernt. „Nur, wenn man richtig viele Rouladen brät, wird auch die Soße gut“, weiß die Wirtin aus Erfahrung. Richtig klassisch geht es in ihrem Wirtshaus auch beim Thema Serviettenkloß zu. Leinen-Bettlaken von früher – in kopfkissengroße Quadrate geschnitten – dienen als Hülle für die Teigmasse aus Semmeln, Milch und Eiern. „Tüchla’s-Klueß“ nennt das Claudia Heckel, was andernorts vielleicht eher als Knödel oder Semmelkloß bezeichnet wird. Wenn das geschnürte Paket nach gut einer Stunde im siedenden Wasser fertig gegart ist, muss es schnell gehen. Jeder Handgriff sitzt beim Herauspellen des heißen, dampfenden Rundlings aus dem Tuch. Auch diese Spezialität des Hauses wird gemacht, wie es von den Großmüttern Erika und Sophie überliefert ist. „Dafür brauche ich kein Rezept“, sagt die Chefin des Hauses. In der Küche – wenn so richtig viel los ist – gehen ihr Ehemann Arnd und Mutter Regina sowie ihre Angestellte Ramona Thiel zur Hand.

Die Regie über die Kunden in Gaststube, Biergarten und Saal führt Michaela Morgenroth, seit vielen Jahren Stammbesatzung im „Waldfrieden“. Claudia Heckels Tochter Elli hat sich in Österreich drei Jahre lang als Restaurantfachfrau ausbilden lassen. Die junge zweifache Mutter hilft ebenfalls mit, wo sie kann. Und ihr vierjähriger Sohn Baldur darf sich beim Klöße-Einlegen mit der Oma auch ab und an mal ausprobieren. „Nur verkaufen können wir seine noch nicht“, lacht Claudia Heckel und freut sich über den motivierten Nachwuchs-Koch. Nicht nur „Klueß un Brüh“ hat das GasthausTeam zu bieten. Auf der Karte stehen auch Rumpsteaks, Rostbrätel, Schweinemedaillons oder seit letztem Sommer das neu kredenzte SpreewaldSchnitzel mit Senf, Spreewälder Gurken und Käse überbacken. Das für die Gegend klassische Eisbein mit Sauerkraut darf natürlich im Normalbetrieb nicht fehlen. Der Gasthof ist seit mehr als 80 Jahren eine beliebte Einkehr-Adresse. In alten Gästebüchern – so ist nachzulesen – haben sich seit der Eröffnung des Wirtshauses 1938 durch Inhaber Ottomar Popp erst Sommerfrischler auf der Höh’ im Thüringer Wald erholt.

Später zeugen die vergilbten Seiten von Wintersportlern aus Köpenick, von ganzen FDGB-Reisegruppen, die zwei Wochen in der beliebten Konsum-Gaststätte zu DDR-Zeiten ihre Sommerferien in den 1950er- und 1960er-Jahren verbrachten. Berliner, Dresdener, Leipziger, Bautzener, Magdeburger oder Schweriner Gäste haben sich mit Gedichten, Fotos und Zeichnungen verewigt. Sie schwärmen von der Natur, der Aussicht ins Fränkische und natürlich der gut bürgerlichen sowie reichlichen Verköstigung. So ist es auch heute noch – aus der Coburger Ecke, Lichtenfels, Kronach und der näheren Umgebung kommen die Gäste. Manchmal auch von weiter her: Alfred Luthardt etwa treibt es regelmäßig aus dem Harzvorland in die Thüringer Berge: „Den Berggasthof Waldfrieden kann man nicht beschreiben, den muss man erlebt haben. Eine super Wirtin und ihre Bedienungen, Essen wie bei Muttern und reichlich. Wer sich hier nicht mal eine Stunde aufgehalten hat, hat in seinem Leben etwas verpasst“, ist er überzeugt.

Das zu Beginn von der Familie gepachtete Anwesen an der Bergeller wurde 1992 gekauft und anschließend von oben bis unten renoviert. Die Corona-bedingte Pause haben die Gastronomen nun für ein paar Verschönerungsarbeiten genutzt, etwa um die Theke im Saal zu erneuern, die drei Pensionszimmer frisch zu streichen und den Flur mit neuen Fliesen auszustatten. Nun sind sie gespannt, wie das Geschäft nach der sechsmonatigen Schließung wieder anläuft und ob sie wieder anschließen können an die gute, alte „Waldfrieden“-Zeit.

Über den Berggasthof „Waldfrieden“

  • Claudia Heckel, Bergeller 3, 96528 Frankenblick, Ortsteil Rabenäußig Telefon 03675/746135 oder auf Facebook unter @BerggasthofWaldfrieden
  • 80 Plätze bietet der Saal für Familien- und Vereinsfestivitäten, 40 Plätze der Gastraum und rund 30 das Kaminzimmer.
  • In den Sommermonaten lädt der Biergarten zum Verweilen ein.
  • Sportfreunden steht für 13 Euro die Stunde die am Haus befindliche Kegelbahn zur Verfügung. Gleich nebenan befindet sich ein Spielplatz.
  • Der Gasthof verfügt über drei Doppelzimmer zum Übernachten.
  • Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 15 bis 22 Uhr, Sonntag 11 bis 22 Uhr, zwischen November und April von Donnerstag bis Sonntag geöffnet.

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