2017 fordert der AfD-Politiker Björn Höcke eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". 2018 sagt sein Parteikollege Alexander Gauland: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte." Die "Schlussstrich"-Debatte wiederholt sich in immer neuen Variationen. Im Oktober 2024 unterstützen in der Studie "Gedenkanstoß Memo" erstmals mehr Menschen den "Schlussstrich", als ihn ablehnen: Das Ergebnis lautet 38,1 Prozent zu 37,2 Prozent.
Gewissheiten "stärker in Gefahr denn je"
Der Historiker Benz, Jahrgang 1941, malt deshalb ein düsteres Szenario: Die Gewissheit, dass Niederlage und Scheitern des NS-Regimes den Weg zur Demokratie freimachten, sei heute "stärker in Gefahr denn je", sagt Benz. "Unvorstellbar zur Zeit der Weizsäcker-Rede, dass eine rechtsradikale Partei im Bundestag 20 Prozent der Mandate innehat und sie nutzt, historische Tatsachen zu leugnen, überholte Vorstellungen von völkischem Nationalismus zu propagieren, Ausgrenzung und Hass gegen andere, gegen stigmatisierte Fremde zu predigen." Angefeuert von "rechten Demagogen" stellten viele die Demokratie infrage, warnt Benz, früher Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.
Sein Fachkollege Christoph Meißner vom Museum Berlin-Karlshorst, dem historischen Ort der Kapitulation der Wehrmacht 1945, sieht im 80. Jahrestag hingegen die Chance, Fragen zu stellen. "Das große Manko ist tatsächlich, dass es darüber nie eine intensive gesamtgesellschaftliche Debatte gegeben hat", sagt Meißner. Weizsäcker und andere hätten das Wort der Befreiung eingeführt. Aber wer hat sich befreit gefühlt? Befreit von was? Befreit durch wen? "Was wollen wir für eine Geschichte dieses 8. Mai erzählen?", fragt der Historiker.
Dasselbe gilt aus Meißners Sicht für die Formel "Nie wieder", die für jeden etwas anderes bedeute. "Nie wieder Holocaust? Nie wieder Krieg? Nie wieder Faschismus, nie wieder Nationalsozialismus, nie wieder Diktatur?" Jeder fülle den Appell, wie es gerade passe - mit Blick auf Antisemitismus, auf Militarismus, auf Waffenlieferungen an die Ukraine und den russischen Angriffskrieg. Die Debatte müsse zu Ende geführt werden, meint Meißner. Auch wenn es 80 Jahre gedauert hat, dann besser jetzt als nie.