Habeck und das Gas Die Geschichte hinter der Not des Tages

Frieden mit Russland, Gas für Lauscha: Demonstranten vor dem Wiegand-Glaswerk. Foto:  

Harte Zeiten für Firmen und Verbraucher und klare Kante gegen Russland: Auf seinem Schleusingen-Besuch lässt Vizekanzler Robert Habeck keinen Zweifel an seinem unpopulären Kurs in der Gaskrise. Die Glaswerk-Leute finden den Grünen trotzdem besser als alle vorherigen Bundeswirtschaftsminister.

 
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Der Mann aus Meiningen spürt die Sanktionen gegen Putin am eigenen Leibe. Weil seinem Arbeitgeber die vielen russischen Kunden fehlen, ist er auf Kurzarbeit gesetzt. „Glauben Sie, ich hätte sonst Zeit, hier zu stehen?“, fragt er vor dem Werkstor von Wiegand-Glas in Schleusingen. Der Mann ist einer von rund 100 wütenden Demonstranten, die hier am Freitag um halb elf auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warten, um ihm ihre Meinung zu geigen – und die heißt: Schluss mit der Politik gegen Russland mit ihren teuren Folgen für die deutschen Bürger.

Mit Querdenkern hatte Habeck am Abend zuvor in Bayreuth noch versucht zu diskutieren. In Schleusingen entgeht er dem und nimmt das hintere Werkstor, die Buhrufe der Protestler erreichen nur seinen Begleitpulk und die lautstark verhöhnte „Lügenpresse“. Es bleibt Oliver Wiegand, einem der beiden Geschäftsführer-Brüder, überlassen, seinem Gast eine der Forderungen zu überbringen: Warum nicht Nord Stream 2 nutzen, damit uns wenigstens das Gröbste erspart bleibt? Wiegand kann seine klammheimliche Hoffnung auf einen solchen Ausweg nicht ganz verbergen, und doch weiß er: Geht nicht.

„Geht nicht“, antwortet auch der Schleusinger Werksleiter Jens-Uwe Skurt auf die Frage, ob man diese Fabrik, aus der jede dritte deutsche Weinflasche kommt, nicht notfalls auf Sparflamme betreiben könnte. Er zeigt auf die Monitore, die die Flammenwerfer in den zwei riesigen Schmelzwannen in vollem Betrieb zeigen. Entweder pusten die 24 Stunden nonstop 80 000 Kubikmeter Erdgas durch die Rohre – oder der Betrieb fährt auf null und die Schmelzwannen zu Schrott.

Geduldig hört Habeck sich die schon zu normalen Zeiten bei solchen Gelegenheiten üblichen Klagen der Familienunternehmer über Bürokratie und wirtschaftliche Unsicherheit an. Ungewöhnlich wird es, wenn die beiden Wiegands und die ebenfalls anwesende Spitze von Heinz-Glas, dem zweiten großen Familienunternehmen der Glasregion Rennsteig, dem grün-geführten Wirtschaftsministerium attestieren, man habe noch nie zuvor so viel Gehör in Berlin gefunden. „Die Bundesregierung macht in dieser Krise einen sehr guten Job“, sagte Carletta Heinz, und es nickt Nikolaus Wiegand, der zuvor von einer „wahnsinnig beschissenen Lage“ gesprochen hatte, in der Regierung und Wirtschaft sich befänden.

Die hatte Habeck schon zuvor als „zugespitzt“ beschrieben: Fachkräftemangel, Inflation, die Folgen der Corona-Pandemie, gestörte Lieferketten und natürlich die Energiepreise. „Hinter der Not des Tages“, sagt er, laute die Geschichte: „Versorgungssicherheit kann nicht auf Russland aufbauen.“ Übersetzt: Zum Verzicht auf russisches Gas gibt es auf Dauer keine Alternative. Deutschland habe sich die Abhängigkeit von russischem Gas eingebrockt. Es sei keine Lösung, nun die „weiße Fahne“ zu hissen. Woraus logischerweise folgt: Krasse Steigerungen beim Gaspreis werden kommen, und sie werden von der Bundesregierung politisch nicht verhindert. Habeck macht den Glasindustriellen und anderen Unternehmen aus energieintensiven Branchen keine Hoffnung, dass man die horrenden Rechnungen wesentlich abfedern könne, etwa durch Erleichterungen bei Fördermitteln.

Auch die Angst vor einem drohenden Engpass bei den Gaslieferungen oder gar einem Stopp für Industriekunden dämpft der Vizekanzler in Schleusingen nicht. Jedenfalls nicht öffentlich. Für eine halbe Stunde zieht sich Habeck zu Beratungen mit den Wiegand- und Heinz-Chefs zurück.

Doch welche Garantien könnte er dort hinter verschlossenen Türen geben? Selbst bei der Gas-Umlage für Verbraucher muss Habeck passen: Sozialer Ausgleich ja, sagt er noch mal. Aber ob es nun 300 oder 500 oder noch mehr Euro werden, die eine Durchschnittsfamilie jährlich drauflegen muss, und wer wenigstens einen Zuschuss vom Staat dazu erhält und, wenn ja, wann und wie? Kein Thema in Schleusingen.

Und dann doch noch ein wenig Optimismus. „18 der 23 deutschen Gasspeicher seien gut bis sehr gut gefüllt“, sagt Habeck, und mit den neuen strengen Vorgaben für die zu erreichenden Füllstände habe man auch ein Druckmittel gegenüber Speicher-Eigentümern wie Gazprom. „Im November könnten wir so weit sein, dass wir zumindest teilweise auf Öl umswitchen können“, hofft Werksleiter Skurt. „Wir“, das sind einige der insgesamt 122 Anlagen der deutschen Glasindustrie und nicht mal alle der elf von Wiegand.

Draußen flitzen die Getränkeflaschen auf ihrem langen Weg vom Glutofen über die Kühlung ins Lager. Vollauslastung. „Wegen des heißen Sommers“, sagt Oliver Wiegand und blickt zum Minister. Den kalten Winter fürchten beide. Mehr Bilder: www.insüdthüringen.de

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