Haßberge Brandbrief eines Kirchenmusikers

Ende Oktober konnte Matthias Göttemann noch beim „Moonlight-Konzert“ in Königsberg musizieren. Hier hofft er, am zweiten Weihnachtsfeiertag das Weihnachtsoratorium aufführen zu dürfen. Foto: /Gerold Snater

Dekanatskantor Matthias Göttemann spricht sich in einem offenen Brief für eine allgemeine Impfpflicht aus. Er sei die Maßnahmen leid, die vor allem auch der Chormusik nachhaltig geschadet hätten.

 
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Kreis Haßberge - Matthias Göttemann hat die Nase gestrichen voll. Seit bald 20 Monaten verdirbt Corona dem Dekanatskantor nicht nur die Laune, sondern auch den Beruf. „Mein Job als Kirchenmusiker war quasi vorbei“, sagt Göttemann im Rückblick auf das Frühjahr 2020, als „von heute auf morgen“ das gesellschaftliche und kulturelle Leben einfror. Er habe getan, was er konnte, um im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten dennoch Chormusik zu machen, wie Matthias Göttemann sagt – nun müsse eine Impfpflicht her. Das schreibt der Dekanatsmusiker im Dekanat Rügheim, der auch Chorleiter in Schweinfurt und Würzburg ist, in einem offenen Brief, den er auf Facebook veröffentlicht hat. Adressiert ist er an den noch amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn, die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihren Noch-Stellvertreter Olaf Scholz, an Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder und dessen Gesundheitsminister Klaus Holetschek.

Seit fast zwei Jahren sei man quasi „im Krieg“ gegen das Corona-Virus, schreibt Matthias Göttemann, und tut das als „normaler doppelt gegen Covid 19 geimpfter Bürger“. Als solcher sowie als „ liberaler, freiheitsliebender, mündiger, selbst denkender Mensch“ habe er zwar grundsätzlich erhebliche Probleme mit der Einmischung des Staates ins Privatleben sowie mit dem Entzug von Freiheits- und Grundrechten, die autoritären staatlichen Restriktionen jedoch hingenommen. „Es gab so viel Versagen, aber auch Dazulernen, so viele sinnlose Maßnahmen aber auch Lichtblicke“, schreibt Matthias Göttemann, und der größte und wichtigste sei der Corona-Impfstoff. „Jeder weiß, dass die Impfung der einzige Ausweg aus der Pandemie ist – alle anderen Maßnahmen haben nur aufschiebende Wirkung“, schreibt der Dekanatskantor und fragt deshalb Kanzlerin wie Minister: „Warum schlossen Sie eine Impfpflicht aus, obwohl sich das Scheitern der Impfkampagne schon im Juli/August abzeichnete?“ Vehement ruft Göttemann dazu auf, dass der Staat nun endlich seine „Autorität und Fürsorgepflicht in dieser Pandemie-Krise wahrnehmen und sofort eine Impfpflicht einführen“ solle. Schließlich habe man mit dieser Autorität ja auch die Bürgerinnen und Bürger eingesperrt und im Jahr 2020 Ostern und Weihnachten gleichermaßen zerstört, wie Göttemann weiter schreibt: „Ihre monatelange Tabuisierung dieses letzten aber jetzt unumgehbaren Mittels – das ist die Impfpflicht! – hält uns alle in der Pandemie gefangen. Ihr Zögern führt wieder in einen allgemeinen Lockdown, weil Sie die Zeit haben verstreichen lassen!“

Viele bekundeten ihr Gefallen am Brandbrief des Kirchenmusikers, auch in den Kommentaren unter dem Facebook-Beitrag gab es viel Zustimmung. Er wisse, dass er als Kirchenmusiker „auf hohem Niveau jammern“ könne, gesteht Matthias Göttemann im Gespräch mit der Neuen Presse über seine mediale Anklageschrift. Schließlich sei er im Gegensatz zu so vielen anderen Kulturschaffenden in dieser Zeit immer noch angestellt und bezahlt worden, „auch ohne geprobt zu haben“, wie er sagt. Dennoch: „Als Musiker, Kirchenmusiker, Dirigent und Chorleiter bin ich seit zwei Jahren überdurchschnittlich von autoritären Maßnahmen des Staates betroffen und eingeschränkt“, so Göttemann. Die „Stigmatisierung des Chorsingens“ habe seine Chöre erheblich dezimiert; es erfordere großen Mut, sie in und nach der Krise wieder aufzubauen.

Quasi nach allen Regeln der Kunst habe er stets versucht, trotz Pandemie etwas auf die Beine zu stellen, beispielsweise durch eine Komplett-Testung seines Chores, noch bevor es „3G“ oder „3G plus“ gegeben hatte. Der Chorgesang funktioniere nur als menschliches Miteinander, das könne nicht durchs Internet ersetzt werden, versucht Matthias Göttemann zu erklären, was ihn zu seinem Schreiben bewogen hatte. „Ich habe nicht eine einzige Online-Chorprobe gehalten, weil ich das abstrus finde“, sagt der Dirigent.

Er habe viel mit Impfskeptikern, Impfgegnern, sogar Querdenkern zu tun, wie er erzählt: Er diskutiere und streite sich auch mit ihnen. Doch er habe keine Lust mehr, sich mit seinen Nächsten zu streiten, „weil der Staat seine gesetzgebende Autorität nicht wahrnimmt“, wie Göttemann sagt. Die Impfgegner sollen gefälligst auf den Staat schimpfen und sich nicht mit der Gesellschaft zerstreiten, findet er.

Was ihn vor allem ärgert, ist, dass man nun von den Geimpften verlange, sich weiter einzuschränken, obwohl sie doch ihren Beitrag geleistet haben. „Ich provoziere gern“, sagt Göttemann gegenüber der Neuen Presse. Doch er habe viel, sogar überwiegend Zuspruch erhalten. „Ich bin nicht dafür, dass man seine Freiheit opfert“, erklärt er, es sei umgekehrt: Wenn man seine Freiheit wieder wolle, müsse man sich impfen lassen.

Hoffnung hat Matthias Göttemann, dass seine Konzerte heuer noch stattfinden können. Mit der „Kirchenmusik in den Haßbergen“ bereitet er das Weihnachtsoratorium vor, dass am 26. Dezember im Weihnachtsgottesdienst in der Königsberger Marienkirche zu hören sein soll. In der Kirche gebe es ja immer noch eigene Regeln. Schon am 18. Dezember in Würzburg und dann am 6. Januar in Schweinfurt führt er den „Messias“ auf – so Gott will und der Staat ihn lässt. Denn bei aller Hoffnung fürchte er doch auch, dass die Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag den „Kollateralschaden Kultur“ einmal mehr in Kauf nehme.

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