Hassberge So viele Wildunfälle wie nie

Christian Schuster
Kein seltenes Bild in den Haßbergen: Im Jahr 2018 verging kein Tag, an dem nicht mindestens zwei Unfälle auf Grund von Wildwechsel passierten. Neun von zehn dieser Unfälle ereignen sich allerdings in gekennzeichneten Bereichen - meist auch wegen nicht angepasster Geschwindigkeit der Fahrer. Foto: picture alliance/HUK-Coburg/Olaf Tiedje Quelle: Unbekannt

Die Unfallzahlen 2018 sind leicht gestiegen, verletzt oder gar getötet wurden jedoch weniger Menschen. Hauptproblem noch immer: Der Wildwechsel.

 
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Kreis Haßberge - "Ich würde niemals mit 100 Sachen durch den Wald fahren", sagt Hauptkommissar Stefan Scherrer von der Polizei Haßfurt. Dabei fährt der Polizist auf seinem Weg zur Arbeit regelmäßig durch bewaldetes Gebiet - wie viele andere Bürger im Kreis Haßberge auch. Da er, wie er selbst sagt, an den betroffenen Stellen nahe Steinbach eher langsam fährt, wird er dabei auch häufig überholt. Vor allem morgens sei dies der Fall, wenn die Menschen vielleicht auch etwas spät dran seien.

Mehr Drogen, Alkohol und E-Bikes - weniger Verletzte

Die Zahl der Fahrten unter Drogeneinfluss ist im Kreis Haßberge im Jahr 2018 gestiegen. Beamte erwischten 75 Fahrer (2017 noch 61), die sich nach der Einnahme von Rauschmitteln noch ans Steuer setzten, fünf mal kam es zum Unfall, fünf Personen wurden dabei verletzt.

Alkohol am Steuer führt die Polizei dabei gesondert auf: In 149 Fällen kontrollierten Polizisten Betrunkene am Steuer, in 31 Fällen war die Trunkenheit laut Polizeibericht auch die Ursache eines Unfalls. Dabei wurden 14 Personen verletzt. Während knapp zwanzig betrunkene Fahrer mehr von Beamten aus dem Verkehr gezogen wurden als noch im Vorjahr, sank die Zahl der Unfälle um zwei.

"Besorgniserregend" nennt die Polizei auch den Anstieg von Unfällen mit Radfahrern . Waren es in 2017 noch 51, stieg deren Zahl 2018 auf 69 an. Mehr als drei Viertel davon wurden durch die Radfahrer oder gar ohne Fremdeinwirkung verursacht. Stefan Scherrer führt dies auf die steigende Zahl von E-Bikes zurück - und die fehlende Expertise im Umgang damit.

"Erfreulich" hingegen sieht die Polizei die Zahl der Unfälle mit Verletzten : Diese sank von 368 in 2017 auf 340 im vergangenen Jahr. Die Zahl der Verkehrstoten sank von fünf auf drei Personen.

Aber die Gefahr, dass gerade im Morgengrauen plötzlich ein Reh oder ein Wildschwein auf der Straße stehen könnte, sind dem Polizisten mehr als bewusst. Vor allem derzeit, denn erst kürzlich stellte er in seinem Verkehrssicherheitsbericht die Unfallzahlen des Jahres 2018 zusammen. Ein Ergebnis: Die Zahlen von Wildunfällen im Landkreis Haßberge sind erneut gestiegen. Von 857 im Jahr 2017 auf 914 im vergangenen Jahr. Rein rechnerisch verging also kein Tag, an dem nicht mindestens zwei Fahrzeuge in einen Unfall mit Wildtieren verwickelt waren.

Die Zahl der Wildunfälle befindet sich damit seit zehn Jahren auf einem Höchststand genauso wie die Gesamtzahl der Unfälle: Waren es im Jahr 2017 noch 2335, nahm die Polizei im Landkreis in 2018 nunmehr 2419 Fälle auf. Generell scheinen die steigenden Unfallzahlen eng mit dem erhöhten Wildwechsel zusammen zu hängen.

Noch von 2009 bis 2014 bewegten sich die Unfallzahlen mit Wildbeteiligung relativ konstant bei zirka 600 Fällen pro Jahr. Seit 2015 stiegen die Zahlen jedoch sprunghaft auf das aktuelle Niveau an. Die Gesamtunfallzahlen entwickelten sich ähnlich: Auch hier ein deutlicher Anstieg von rund 2000 Unfällen in den Jahren vor 2015 auf zunächst 2395 und aktuell 2419. Rund drei Viertel der zusätzlichen Unfälle seit 2015 scheinen also dem Wildwechsel verschuldet.

Um den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen, holt sich die Polizei seit 2015 die nötige Expertise in Sachen Wildtiere unter anderem bei den für die Jagd zuständigen Mitarbeitern im Landratsamt, Jagdpächtern und Vertretern von Verkehrsbehörden ein.

Gemeinsame Analysen hätten laut Scherrers Bericht tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der extremen Witterung in den vergangenen Jahren und der steigenden Zahl von Wildunfällen erkennen lassen. Durch im Schnitt höhere Temperaturen und Trockenheit im Sommer sei das Wild unter anderem gezwungen weitere Wege auf der Futtersuche zurückzulegen - und damit auch häufiger die Straßen im Landkreis zu überqueren.

Der Faktor Mensch spiele jedoch eine ebenso große Rolle. So würde auch die intensive Landwirtschaft in den Haßbergen die Statistik negativ beeinflussen, erläutert Scherrer in seinem Bericht. Wegen der Bewirtschaftung von Ackerflächen bis an die Straßenränder würden Tieren oft nötige Ruheflächen zwischen Äckern und Straßen fehlen. In Waldstücken selbst könnten die Tiere zudem immer seltener zur Ruhe kommen - wegen des hohen Aufkommens von Spaziergängern, Freizeitsportlern oder Hundebesitzern.

Allerdings würden sich Autofahrer häufig auch selbst in erhöhte Gefahr bringen. Die Auswertung von Unfallschwerpunkten habe nämlich ergeben, dass neun von zehn Wildunfällen tatsächlich in den bereits mit Warnschildern markierten Bereichen passieren. Und meist deswegen, weil Autofahrer die Beschilderung ignorieren und an den kritischen Stellen zu schnell fahren.

Um die Zahl der Wildunfälle zu reduzieren, prüft Scherrer mit einem Kollegen derzeit noch, ob eine Änderung der Beschilderung notwendig ist. Hierfür wurden in den vergangenen Wochen wie in jedem Jahr die Unfallschwerpunkte ausgewertet. Mit seinen Kollegen möchte er aber auch das Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer besonders in den Fokus nehmen. Wie im vergangenen Jahr will die Polizei daher auch in diesem Frühjahr Geschwindigkeitsmessungen durchführen, das Gespräch zu den Fahrern suchen und Flyer verteilen.

Dabei soll ein Gedanke im Mittelpunkt stehen, den es an die Fahrer weiterzugeben gelte. "Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gilt nur, wenn alles passt", erklärt der Polizist. Das gelte besonders an Stellen mit erhöhter Wildwechselgefahr aber nicht nur dort. Wenn die Sonne blende, die Straße beschädigt sei, der Reifendruck vielleicht nicht passe oder man als Fahrzeugführer nicht ganz fit oder von der Arbeit gestresst sei gelte es, die Geschwindigkeit anzupassen. Sprich: Den Fuß vom Gas zu nehmen.

Dass an vielen Stellen im Landkreis Haßberge jederzeit ein Tier auf der Straße stehen könne, erschwere die Situation noch. "Wenn ich ein zwei Zentner schweres Wildschwein mit 100 überfahre, ist mein Auto Schrott", führt Scherrer aus. Die Verletzungsgefahr sei enorm hoch. Mit 60 km/h komme man eventuell mit einem Blechschaden davon oder könne gar anhalten. Langsamer fahren sei also die wirksamste Methode, um die Gefahr für die Menschen auf den Straßen im Landkreis zu mindern. "Wir müssen beim Autofahrer ansetzen. Das Wild kennt keine Regeln", sagt Scherrer.

Die steigenden Gesamtzahl der Unfälle in den letzten Jahren lässt sich laut Stefan Scherrer aber nicht unbedingt nur auf den Faktor Wildtiere zurückverfolgen. Im Jahr 2018 alleine wurden nämlich auch 170 Fahrzeuge neu zugelassen. Abgesehen davon, dass also schlicht mehr Fahrzeuge unterwegs sind, bedeutet dies in der Regel auch eine größere Risikogruppe der "jungen Erwachsenen" als Fahranfänger. Der demografische Wandel und damit einhergehend immer älter werdende Autofahrer spiele laut Scherrer ebenfalls eine Rolle.

Junge Menschen (18 bis 24 Jahre) oder Senioren (ab 65 Jahren) waren in 2018 insgesamt in 347 Unfällen verwickelt und in fast zwei Drittel der Fälle auch die Verursacher. Seit Jahren bietet die Polizei in Zusammenarbeit mit der Verkehrswacht daher auch Sicherheitstrainings für Fahranfänger an. Im vergangenen Jahr hatten von über 800 eingeladenen immerhin 129 junge Fahrer am Programm "Könner durch Er-Fahrung" mitgemacht. Darüber hinaus haben Polizisten gut ein Dutzend Vorträge bei Seniorenverbänden abgehalten.

Ein erster Erfolg ist erkennbar: Die Zahl der Unfälle mit Beteiligung junger Fahrer sank 2018 minimal im Vergleich zum Vorjahr: um fünf auf 191. Hatten 2017 noch 60 Prozent der jungen Fahrer den Unfall sogar verschuldet, sank diese Quote im vergangenen Jahr auf 56 Prozent. Laut Scherrers Bericht ein Trend, der sich in den letzten Jahren immer mehr festige. Die Zahl der Fahrsicherheitstrainings soll daher in diesem Jahr sogar von fünf auf sechs aufgestockt werden.

Bei den Unfällen mit Beteiligung von Senioren konnte im vergangenen Jahr erstmals seit Jahren ein Rückgang verzeichnet werden. So gab es mit 156 Unfällen im vergangenen Jahr 20 weniger als noch im Jahr davor. Und auch hier konnte die Quote der von den Senioren verursachten Unfälle von knapp 69 auf 62 gesenkt werden.

Allerdings gebe es laut Scherrers Bericht gerade bei den älteren Fahrern "großen Anlass zur Sorge". Ein Großteil der Senioren stehe den Präventionsveranstaltungen nämlich noch immer ablehnend gegenüber. Außerdem: "Verkehrsprävention ist für uns Polizisten leider nur die Kür", gibt Scherrer zu. Diese müsse neben den alltäglichen Tätigkeiten erledigt werden und erzeuge meist Überstunden.

Um trotzdem gerade bei den Senioren die Arbeit noch intensivieren zu können, suchen Polizei und Verkehrswacht derzeit nach einem ehrenamtlichen Projektleiter, der sich um die Präventionsarbeit für Senioren im Straßenverkehr einsetzt.

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