So fleißig spendet Coburg

Da ist der junge Mann, der sich mit Hilfe der Diakonie von Spielsucht und Depressionen befreien lassen will – dem aber die 700 Euro für die Behandlung fehlen. Oder der alleinstehende 65-Jährige, der mit geringer Rente in einer „Garagenwohnung“ lebt und für die gleiche Summe einfach den kalten Boden abdecken will. Und die sechsköpfige Familie, in der die Mutter aufgrund eines starken Traumas psychotherapeutische Behandlung benötigt, was die finanziellen Reserven derart reduziert, dass 1500 Euro für dringend benötigte Möbel eine unerschwingliche Summe bedeuten. Sie alle hat heuer der Verein Hilfe für Nachbarn unterstützt – unbürokratisch und schnell mit einer kleinen Finanzspritze, damit sie mit ihrem Schicksal nicht alleine bleiben. „Ich engagiere mich für dieses tolle Projekt zur Förderung des bürgerschaftlichen Miteinanders sehr gerne“, sagt Jürgen Müller, der Vorstandsvorsitzende des Vereins.

Herr Müller, Sie sind jetzt seit Gründung im Jahr 2011 im Vorstand und seit acht Jahren Vorstandsvorsitzender des Vereins Hilfe für Nachbarn. Was macht das mit jemandem, wenn er nahezu täglich mit solchen Schicksalen zu tun hat?

Es macht mich demütig und dankbar. Ich bin mir sehr bewusst, dass eine gesicherte Existenz oder gar Wohlstand keineswegs nur auf dem eigenen Verdienst beruht. Gesundheit und Stabilität durch das persönliche Umfeld kann man sich nicht erarbeiten. Glück zu haben, gehört dazu. Glück, das die Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, jedenfalls in ihrer konkreten Notsituation nicht haben.

Was treibt Sie an? Ist es Ihr innerer Antrieb, der Gesellschaft etwas zurückzugeben?

Das klingt gut, ist mir aber fast etwas überhöht. Die meisten Menschen leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten in irgendeiner Form einen Beitrag für die Allgemeinheit. Und ich tue dies eben unter anderem durch meine Mitwirkung in unserem Verein. Ich engagiere mich für dieses tolle Projekt zur Förderung des bürgerschaftlichen Miteinanders sehr gerne, und mit unserem Team habe ich unverzichtbare Mitstreiter, ohne die der Verein Hilfe für Nachbarn nicht das wäre, was er heute ist. In der regionalen sozialen Infrastruktur haben wir mittlerweile einen festen Platz.

Das Bürgergeld wurde zuletzt stark erhöht. Hatte das Auswirkungen auf die Anträge?

Überhaupt nicht. Die durchschnittliche Höhe und die Summe unserer Unterstützungen sind 2023 und 2024 spürbar gestiegen. Die staatlichen Hilfen zur Bewältigung der durch Inflation und insbesondere durch Energiekosten gestiegenen Lebenshaltungskosten können die Bedarfe bei Familien und Alleinstehenden offensichtlich nicht vollständig decken. Personen, die konstant am Existenzminimum leben, können notwendige Anschaffungen nicht immer stemmen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Lage der deutschen Wirtschaft kürzlich als „dramatisch schlecht“ bezeichnet. Glauben Sie, dass dies Konsequenzen für die Spendenbereitschaft haben könnte?

Zumindest spüren wir solche Konsequenzen nicht. Wir dürfen uns seit unserer Gründung über einen breiten Rückhalt freuen. Die Bürgerinnen und Bürger der Region Coburg unterstützen uns in ausgesprochen großzügiger Weise, viele auch regelmäßig. Deshalb verfügen wir auch über eine finanzielle Ausstattung, die uns die Erfüllung der uns selbst gestellten Aufgabe ermöglicht. Seit unserer Gründung im Jahr 2011 haben wir in 2020 Fällen Hilfen von insgesamt mehr 622 000 Euro auszahlen können. Das macht uns sehr stolz.

Aus welchen Kreisen kommen die Spenden?

Ein Großteil unserer Spenderinnen und Spender sind Privatpersonen. Aber auch Firmen spenden an unseren Verein. Es gibt sogar eine Stiftung Hilfe für Nachbarn Coburg und vier weitere Stiftungen von Privatperson, deren Erträge unter anderem unserer Vereinsarbeit zugutekommen. Oftmals werden im persönlichen Umfeld Spendenaufrufe bei runden Geburtstagen gestartet. Dafür sind wir wirklich dankbar, denn viele unserer Spender sind schon von Anfang an dabei.

Gibt es bei den Finanzhilfen Schwerpunkte?

Die Schwerpunkte unserer individuellen finanziellen Unterstützung haben sich im Wesentlichen nicht geändert. Die Auszahlungen der Spenden bis 200 Euro betrafen in 2023 die Lebensbereiche Existenzsicherung, Gesundheit, Möbel/Haushaltsgeräte, Fahrtkosten, Bildung und Schule aber auch Kosten für Ausweispapiere, Passbilder und so weiter oder Aufwendungen nach Diebstahl, Unfall beziehungsweise Umzug. Der Schwerpunkt liegt hier nach wie vor bei der Existenzsicherung. Aber auch im Bereich Gesundheit ist ein hoher Unterstützungsbedarf erkennbar. Wie in den Jahren zuvor werden die Hilfen im Rahmen der Großanträge über 200 Euro vorrangig für Anschaffungen von Möbeln und Wohngegenständen sowie für Elektrogeräte des alltäglichen Bedarfs benötigt.

Wo sehen Sie heuer Schwerpunkte, die Hilfe für Nachbarn leisten kann?

Dass auch bei uns die Not größer wird, ist durch die allgemeine Berichterstattung bekannt. Wir gehen davon aus, dass der Kreis der Hilfesuchenden eher größer wird. Wir können aber keine laufenden Unterstützungen zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten leisten oder zum Beispiel gar Nachzahlungen bei Energiekosten übernehmen. Unsere Unterstützungen stellen Überbrückungshilfen in prekären Lebenslagen dar, um vorübergehende – verschiedenste – Notlagen zu lindern oder zu beheben, insbesondere dann, wenn der Zugriff auf andere Sicherungssysteme noch verwehrt ist. Besondere Schwerpunkte für das Jahr 2024 sehen wir daher nicht.

Kommen auch Anfragen aus Organisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern?

Nein. Wir helfen bei der Überbrückung von vorübergehenden Notlagen und haben deshalb einen anderen Schwerpunkt als diese Organisationen.

Kommen Sie mit den Menschen, die sich an den Verein wenden, persönlich in Berührung?

Nein. Unsere Partner ASB, Arbeiterwohlfahrt, BRK, Caritas, Diakonie Coburg sowie die Jugendämter von Stadt und Landkreis Coburg leisten eine unverzichtbare Arbeit bei der Beurteilung der Hilfsanfragen. Die jeweiligen Fachberatungsstellen der Wohlfahrtsverbände – insbesondere der Caritas und der Diakonie – bereiten die Anträge und Unterlagen für die Beschlussfassung durch den Vorstand vor. Außerdem verfügen unsere Partner in einem bestimmten finanziellen Rahmen über die Möglichkeit, Sofortentscheidungen über Hilfsanträge zu treffen. Durch gebündelte sozialpädagogische, sozialrechtliche und kaufmännische Know-how sind unsere Partner in der Lage, den tatsächlichen Hilfsbedarf im Einzelfall kompetent zu prüfen und somit die zweckmäßige Verwendung der Spendengelder sicherzustellen.

Welche Hilfe hat Sie zuletzt am meisten berührt?

Eigentlich berühren mich alle Fälle. Ein Fall aber doch: Eine 74-jährige Coburgerin muss von einer kleinen Rente und aufstockenden Sozialhilfeleistungen leben. Ihre Miete kann sie gerade noch zahlen. Diese liegt über den Angemessenheitsgrenzen der Stadt Coburg, doch eine günstigere Wohnung findet sich nicht. Rücklagen für unvorhergesehene Kosten konnte die Frau nicht bilden. Konkret ging es um einen Metallbügel im Wert von 488,05 Euro, der die Funktion ihrer Zahnprothese sicherstellt. Der Bügel war allerdings keine Leistung, die die Krankenkasse getragen hätte. Eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Zahnarzt konnte sich die Frau nicht leisten, das Sozialamt lehnte ihren Antrag auf Übernahme der Kosten ab und verwies auf den Verein Hilfe für Nachbarn. Wir haben dann die gesamten Kosten übernommen, damit die Coburgerin die Prothese anfertigen lassen konnte. Eigentlich sollte es solche Notlagen für ein derartiges Grundbedürfnis nicht geben, aber es gibt sie eben doch. Und dort können wir helfen.

Auch Sie können helfen!

Spendenverein
 Hilfe für Nachbarn lindert seit 2011 die Not der Mitmenschen in Stadt und Landkreis Coburg. Gegründet wurde der Verein von der Sparkasse Coburg-Lichtenfels und der Neuen Presse.

Stiftung
 Der Verein geht auf eine Stiftung zurück, die von einer Coburgerin, die anonym bleiben möchte, ins Leben gerufen worden ist. Mehr Informationen dazu unter www.hfn-coburg.de.

Konto
 Alle Spenden an Hilfe für Nachbarn werden zu 100 Prozent für diejenigen verwendet, die das Geld benötigen. Wer helfen will, spendet auf das folgende Konto:IBAN DE35 7835 0000 0040 3382 46