Hof/Marktredwitz Schon der erste Stich zielt ins Herz

Für einen 54-Jährigen aus Konradsreuth endet ein Ausflug nach Marktredwitz beinahe tödlich: Ein psychisch Kranker greift den Arglosen mit einem Messer an.

 
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Hof/Marktredwitz - Es sollte ein vergnügter Ausflug zum Andreas-Markt werden und endete in einem Blutbad: Kurz bevor er die Stadt wieder verlassen konnte, wurde ein 54-jähriger Mann aus Konradsreuth im Landkreis Hof am 25. November des vorigen Jahres mitten im Marktredwitzer Stadtgebiet von einem ihm Unbekannten niedergestochen ( wir berichteten ). Er verlor beinahe sein Leben. Als mutmaßlicher Täter wurde kurze Zeit darauf ein 25-jähriger Marktredwitzer in der Wohnung seiner Eltern festgenommen. Er leidet unter Wahnvorstellungen und wurde in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Von dort wurde er jetzt zum Prozessauftakt vor der ersten Strafkammer des Landgerichts Hof vorgeführt.

Das Opfer kann bis heute noch nicht begreifen, was ihm widerfahren ist. Wie der Textilmaschinenführer dem Gericht darlegte, war er auf den späteren Täter aufmerksam geworden, als er gegen 16 Uhr auf der Klingerstraße am Marktredwitzer Stadtpark vorbeifuhr. Weil der junge Mann am Straßenrand aggressiv tänzelte und laut in seine Richtung schimpfte, habe er vorsichtshalber stark abgebremst. Als der Mann auch noch auf die Straße lief, sei er vorsichtig an ihm vorbeigefahren. Im Rückspiegel habe er jedoch gesehen, dass der Fußgänger ihm noch hinterher schimpfte. Deshalb habe er angehalten, um zu fragen, was er überhaupt wolle. "Das hätte ich nie gemacht, wenn ich schon damals gewusst hätte, dass er ein Messer hat", versicherte der 54-Jährige.

Der 25-jährige Sebastian H. hat sich daheim allerdings ein Küchenmesser mit einer 13 Zentimeter langen Klinge eingesteckt, ehe er zu einem Spaziergang aufbricht. Als die beiden Männer sich gegenüberstehen, zieht Sebastian H. das Messer aus der Jacke und geht auf den Autofahrer los. Laut Anklage geht schon der erste Stich in Richtung Herz, der nächste in die Schulter des Opfers, das beide Hände zur Abwehr erhoben hat.

Der Textilmaschinenführer erkennt: "Jetzt muss ich um mein Leben kämpfen." Er bückt sich, um an die Beine des Angreifers zu kommen. Sein Plan: "Ich wollte ihn über meine Schulter werfen, damit er vielleicht auf dem Kopf aufkommt und ohnmächtig wird." Daraus wird allerdings nur Handgemenge, in dem Sebastian H. seinem Opfer noch fünf Stiche in den Rücken verpasst und dabei auch die Niere trifft. Als der 64-Jährige schwer verletzt und heftig blutend am Boden liegt, lässt Sebastian H. von ihm ab.

Er versetzt der offenen Autotür noch einen Tritt und geht am Opfer vorbei durch den belebten Stadtpark ruhig nach Hause. Dort wäscht er in der Spüle das Blut vom Messer und legt es in die Küchenschublade zurück. Noch am selben Abend wird er festgenommen. Ein Nachbar hatte die Polizei gerufen, weil der 25-Jährige wieder einmal gelärmt und randaliert hatte. Der 54-Jährige überlebt nur, weil Passanten mit Verbandsmaterial aus dem Auto gegen die Blutungen kämpfen und der Rettungswagen schnell zur Stelle ist.

Sebastian H. legt den Richtern ruhig und sachlich seine Sicht auf die Dinge vor. Demnach habe er damals das Messer aus Angst mitgenommen. Angst habe er vor einem anderen Marktredwitzer, der ihn damals seit Tagen grundlos beschuldigte, ihm das Handy gestohlen zu haben. Vor acht Jahren habe ihm der Mann beim Marktredwitzer Schützenfest schon einmal einen Maßkrug auf den Kopf geschlagen. Deshalb habe er die Drohungen sehr ernst genommen.

Es gibt aber auch noch andere Gründe, warum Sebastian H. an diesem Sonntag in einer schlechten Verfassung ist. Weil die Beruhigungsmittel gegen seine psychische Erkrankung nach seiner Auffassung nicht ausreichend wirken, hat er mit einer Flasche Kokoslikör nachgeholfen - obwohl er weiß, dass ihn das aggressiv macht. Außerdem hat er Marihuana geraucht, weil er nach Crystal-Genuss in den Tagen zuvor in ein Stimmungstief geraten ist.

Beim Vorfall in der Klingerstraße habe er sich bedroht gefühlt, weil der Autofahrer äußerst knapp an ihm vorübergefahren sei, als er die Straße überquerte, sagt der 25-Jährige. Nachdem der Fahrer angehalten habe und ausgestiegen sei, habe dieser die Hände wie zu einem Faustkampf hochgenommen. Da habe er ihn kampfunfähig machen wollen. "Ich wollte ihn nicht töten", versichert Sebastian H. Deshalb habe er auch nicht mit voller Wucht zugestochen. "Wie wollen Sie das kontrollieren?", fragt Vorsitzender Richter Carsten Sellnow zurück. Das Opfer ist sich sicher: "Ohne meine dicke Winterjacke wäre ich heute nicht mehr hier."

Auch die Anklageschrift geht davon aus, dass Sebastian H. den Autofahrer töten wollte. Sie lautet deshalb auf versuchten Totschlag. Gleichzeitig schließt die Anklage nicht aus, dass der Angeklagte durch seine Krankheit, eine paranoid halluzinatorische Schizophrenie, in seiner Schuldfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Ein Gutachter soll dem Gericht daher bei der Frage helfen, ob Sebastian H. weiterhin in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht werden muss, weil von ihm eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Am Vormittag des Tattages hatte es einen Polizeieinsatz gegeben, weil er in der elterlichen Wohnung randalierte. Dabei beschimpfte er die Polizisten, die ihn aus der Wohnung trugen und kurzzeitig im Bezirkskrankenhaus Rehau unterbrachten, auf das Übelste.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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