In München ist am Donnerstagvormittag ein Fahrzeug in eine streikende Menschengruppe gefahren. Bei dem Fahrer handelt es sich laut Polizei um einen 24 Jahre alten Asylbewerber aus Afghanistan. Laut Polizei gibt es mindestens 30 Verletzte, darunter auch Kinder.
In der Münchner Innenstadt ist ein Fahrzeug in eine Menschengruppe gefahren. Foto: Peter Kneffel/dpa
Bei der Fahrt eines Autos in einen Demonstrationszug in München sind mindestens 30 Menschen verletzt worden. Nach dem mutmaßlichen Anschlag in der Münchner Innenstadt schweben nach Worten von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) Verletzte in Lebensgefahr. Es seien acht bis zehn Menschen schwerst verletzt worden. Dazu kämen noch acht schwer verletzte Menschen, nur ganz wenige seien leicht verletzt, sagte er am Abend in München.
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"Es besteht das Risiko für schlimmere Folgen. Wir müssen heute alle hoffen und beten, dass es keine Todesfälle gibt." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, die Gedanken seien auch "bei dem Kind, um dessen Leben die Ärzte immer noch ringen".
Bei dem Fahrer handelte es sich laut Polizei um einen 24-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan. Der Fahrer des Wagens sei hinter der Gruppe und einem Polizeiauto gefahren, habe dieses dann überholt, beschleunigt und sei in das Ende der Gruppe gefahren, sagte ein Polizeisprecher. Polizisten hätten einen Schuss auf seinen Wagen abgegeben, um ihn zu stoppen. Er sei später gesichert worden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) von einem "mutmaßlichen Anschlag" aus.
Die Polizei untersucht mit einem Spürhund das Auto, das in die Menschenmenge gefahren ist. Foto: Matthias Balk/dpa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor Ort. Foto: Tizian Gerbin/dpa In der Münchner Innenstadt ist ein Fahrzeug in eine Menschengruppe gefahren. Foto: Michael Fischer/dpa
Der Fahrer wurde festgehalten, schreibt die Polizei am Vormittag auf X: "Im Moment geht keine weitere Gefahr von ihm aus", so ein Sprecher. "Wir haben keinen Anlass zur Annahme, dass eine Gefahr für die Bevölkerung besteht."
Dieser Mini Cooper raste in die Menschenmenge. Die Polizei sichert Spuren. Foto: Michael Fischer/dpa
Am Ort des Geschehens, am Münchner Stiglmaierplatz, fand nach Polizeiangaben zum Zeitpunkt des Vorfalls gegen 10.30 Uhr eine Demonstration der Gewerkschaft Verdi statt. Ob Demonstranten unter den Verletzten waren, war zunächst unklar. Auch einige Straßen vom Stiglmaierplatz entfernt standen mehrere Rettungswagen.
Was wir wissen
Der Ablauf: Ein Mann fährt gegen 10.30 Uhr am Münchner Stiglmaierplatz mit einem Auto von hinten in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi.
Die Verletzten: 30 Menschen wurden nach Angaben der Polizei verletzt, einige von ihnen schwer. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) teilte mit, es seien auch Kinder unter den Verletzten. Am Abend heißt es, zwei Menschen kämpften um ihr Leben.
Der Verdächtige: Bei dem Fahrer handelt es sich laut Polizei um einen 24 Jahre alten Asylbewerber aus Afghanistan. Der Mann sei gefasst worden, bei der Festnahme habe die Polizei auch geschossen. Der Fahrer sei bei der Festnahme "leicht verletzt" gewesen. Es handelte sich aber nicht um eine Schussverletzung, wie die Polizei weiter erklärte. Es gibt nach Polizeiangaben keine Hinweise auf weitere Beteiligte.
Am Abend stellt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) klar, dass der junge Mann einen gültigen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis hatte. "Damit war der Aufenthalt des Täters bis zum heutigen Tage nach gegenwärtigem Erkenntnisstand absolut rechtmäßig", sagte Herrmann der Deutschen Presse-Agentur. Zugleich berichtete der Minister, dass der Mann nach neuesten Erkenntnissen und entgegen erster Informationen am Mittag nicht wegen Ladendiebstählen auffällig geworden war. Nach Worten Herrmanns war der Afghane Ende 2016 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Sein Asylverfahren wurde demnach im Jahr 2020 endgültig abgeschlossen, mit einem Ablehnungsbescheid und der Aufforderung zur Ausreise. Die Landeshauptstadt München habe dann aber im April 2021 einen Duldungsbescheid erlassen und im Oktober 2021 eine Aufenthaltserlaubnis. Der junge Mann habe eine Schule besucht und eine Berufsausbildung gemacht. "Er war dann als Ladendetektiv für zwei Sicherheitsfirmen tätig", berichtete der Innenminister. Er soll nun in einem Mehrfamilienhaus im Münchner Stadtteil Solln gewohnt haben, seine Wohnung wurde nach dpa-Informationen durchsucht. Die Polizei und die Generalstaatsanwaltschaft äußerten sich zunächst auf Anfrage nicht.
Der Einsatzort: Der Stiglmaierplatz liegt in der Münchner Maxvorstadt.
Die Konsequenzen: Kanzler Scholz erklärte, dass der Täter "bestraft werden" und "das Land verlassen" müsse. Er müsse in das Land zurückkehren, "aus dem er gekommen ist", bekräftigte Scholz. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte die "maximale Härte" des Rechtsstaats und umfassende Aufklärung an. Deutschland schiebe als einziger Staat in Europa nach Afghanistan ab - und werde dies auch weiterhin tun, sagte Faeser. Bayerns Innenminister Herrmann warf der Bundesebene dagegen vor, nur wenige Abschiebungen nach Afghanistan zugelassen zu haben. Bei "Tausenden von Afghanen mit abgelehntem Asylantrag" habe bislang keine Abschiebung stattfinden können, kritisierte Herrmann. Die bayerische AfD forderte indes den Rücktritt von Hermann und Söder. Söder sei nicht in der Lage, "unsere Sicherheit zu gewährleisten".
Was wir nicht wissen
Die Hintergründe: Wie und warum es zu dem Vorfall kam, ist noch nicht geklärt. Um weitere Hinweise zu sammeln, auch zu einer möglichen islamistischen Motivation des Täters, richtete die Polizei eine Zeugen-Sammelstelle ein und rief auf der Plattform X dazu auf, relevante Videos und Bilder in einem Internetportal hochzuladen.
Das Motiv: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem "furchtbaren Anschlag". Zuerst heißt es, es gebe es einen Hinweis auf ein mögliches islamistisches Tatmotiv in sozialen Netzwerken: Der Verdächtige soll vor der Tat einen mutmaßlich islamistischen Post abgesetzt haben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat der Afghane einen entsprechenden Inhalt in sozialen Netzwerken geteilt. Der "Spiegel" hatte zuvor von mutmaßlich islamistischen Beiträgen des Verdächtigen geschrieben. Nach Angaben von Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hat die bayerische Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus der Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz hieß es, das Bundesamt sei "eng in die Untersuchungen eingebunden" und stehe mit den Behörden vor Ort im Austausch. Am Abend sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU), ob der Mann ein islamistischer Gefährder gewesen sei, müsse sich zeigen. Ob dafür ein einzelner Post ausreiche, müssten Experten beurteilen.
Die Demonstration: Ob der Vorfall in Zusammenhang mit der Demonstration oder der Gewerkschaft Verdi steht, ist nach aktuellem Stand unklar. Verdi ruft derzeit bundesweit zu Warnstreiks und Kundgebungen zur aktuellen Tarifrunde im öffentlichen Dienst auf. Bayerns Innenminister Herrmann erklärte, dass der Mann wohl nicht gezielt diese Demonstration ausgesucht hätte. "Im Moment gehen wir in der Tat davon aus, dass die Zielgruppe hier, dass die Opfer aus den Reihen dieser Verdi-Demonstration eher zufällig waren", sagte Herrmann. "Aber auch dem muss natürlich nachgegangen werden." Die Demonstration, an der laut Polizei etwa 1.500 Menschen teilnahmen, sei nach der Tat abgebrochen worden.
Die Sicherheitskonferenz: Am Freitag beginnt im Hotel Bayerischer Hof - nur rund zwei Kilometer vom Einsatzort entfernt - die Münchner Sicherheitskonferenz. Mehr als 60 Staats- und Regierungschefs und mehr als 100 Minister werden erwartet. Ob der Vorfall Auswirkungen auf das Treffen hat, ist noch unklar.
Laut Polizeiangaben wird der Tatverdächtige am Freitag einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Auf der Plattform X schrieb die Polizei außerdem, dass weiterhin die Spurensicherung und Spezialisten des Landeskriminalamts am Tatort arbeiteten. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter auf dem Weg zum Unglücksort. Foto: Matthias Balk/dpa
Söder: Mutmaßlicher Anschlag muss Folgen haben
Ministerpräsident Söder hat nach dem mutmaßlichen Anschlag Konsequenzen angekündigt. "Wir reagieren bei jedem solchen Anschlag besonnen, aber ich sage Ihnen auch, dass unsere Entschlossenheit wächst. Es ist nicht der erste Fall, und wer weiß, was noch passiert", sagte Söder am Ort des Geschehens in der Innenstadt. Neben der Aufarbeitung des Einzelfalls und der Anteilnahme müsse der Vorfall Konsequenzen nach sich ziehen, betonte Söder. "Wir können nicht von Anschlag zu Anschlag gehen und Betroffenheit zeigen (...), sondern müssen auch tatsächlich etwas ändern."
Rettungseinsatz in der Seidlstraße/Dachauer Straße: Polizei und Feuerwehr sind mit einem Großaufgebot vor Ort. Foto: Michael Fischer/dpa
Habeck: Hintergründe zu Tat in München schnell aufklären
Der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hat bestürzt auf den mutmaßlichen Anschlag in München reagiert. Der Vizekanzler sprach auf der Plattform X von schrecklichen Nachrichten aus München. "Ich bin entsetzt angesichts dieser sinnlosen Tat." Wichtig sei, dass die Hintergründe jetzt schnell aufgeklärt werden.
Baerbock warnt nach Tat in München vor Spaltung
Außenministerin Annalena Baerbock warnt nach dem mutmaßlichen Anschlag von München in der Endphase des Wahlkampfes vor einer Spaltung der demokratischen Gesellschaft. Angesichts der Herausforderungen im Äußeren wie im Innern sei es umso wichtiger, "dass wir auch in unserem Land als Demokraten zusammenstehen. Dass wir uns nicht spalten lassen, weder von Rechtsextremisten noch von Islamisten, die unseren Rechtsstaat von innen herausfordern", sagte die Grünen-Politikerin am Rande eines Besuches in der französischen Hauptstadt Paris.
Merz: "Jeder muss sich wieder sicher fühlen"
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz fordert nach dem mutmaßlichen Anschlag politische Weichenstellungen für mehr Sicherheit. "Jeder muss sich in unserem Land wieder sicher fühlen. Es muss sich etwas ändern in Deutschland", schrieb der CDU-Chef auf der Plattform X. "Die Sicherheit der Menschen in Deutschland wird für uns an erster Stelle stehen. Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen", fügte Merz mit Blick auf die Zeit nach der Bundestagswahl hinzu. Der CDU-Chef sprach von "furchtbaren Nachrichten" aus München. Seine Gedanken seien bei den Opfern und ihren Familien. Er dankte den Sicherheitskräften vor Ort.
Unter anderem liegen Teile eines Kinderwagens auf der Straße. Es wurden wohl auch Kinder verletzt. Foto: Michael Fischer/dpa
Polizei richtet Zeugensammelstelle und Internetportal ein
Die Polizei bittet gezielt um Hinweise von Zeugen. Die Ermittler richteten ein sogenanntes Uploadportal ein, auf das Fotos und Videos von dem Vorfall hochgeladen werden können. Zeugen wurden außerdem gebeten, zu einer Sammelstelle im Löwenbräukeller zu kommen.
Auf einer Trage wird ein Verletzter zu einem Rettungswagen gebracht. Foto: Michael Fischer/dpa
Reaktion der SPD-Landtagsfraktion
Zum Anschlag äußerte sich auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Holger Grießhammer: „Wir sind entsetzt über die schreckliche Tat, die sich heute in München bei einer Gewerkschaftsdemonstration ereignet hat. Unsere Gedanken sind bei den Verletzten und ihren Familien. Wir danken allen Einsatzkräften, die durch ihr schnelles Eingreifen den Täter stellen und damit noch weitere Verletzte verhindern konnten. Jetzt gilt es, die Ermittlungen abzuwarten. Gleichzeitig zeigt uns dieser Vorfall: Wir müssen jetzt handeln und alles Mögliche dafür tun, um solche schrecklichen Anschläge zu verhindern.“
Rettungseinsatz in der Seidlstraße/Dachauer Straße: Polizei und Feuerwehr sind mit einem Großaufgebot vor Ort. Foto: Michael Fischer/dpa
DGB erschüttert
Der DGB Bayern hat seine Fassungslosigkeit erklärt. "Wir sind tief erschüttert über den mutmaßlichen Anschlag auf unsere Kolleginnen und Kollegen in München", sagte der Landesvorsitzende Bernhard Stiedl in München. "Dass ein Fahrzeug gezielt in eine friedliche Verdi-Demonstration gesteuert wurde und dabei Streikende – darunter auch Kinder – teils lebensgefährlich verletzt wurden, macht uns fassungslos."
Die Münchner Kundgebung war Teil der bundesweiten Warnstreiks und Demonstrationen in der derzeitigen Tarifrunde des öffentlichen Diensts. "Unsere Gedanken sind bei den Verletzten und ihren Familien", sagte Stiedl. "Unser Dank gilt den Rettungskräften, die schnell und entschlossen geholfen haben."