Infrarot-Fotografien unserer Galaxie Forscher erstellen gigantische Karte der Milchstraße

Markus Brauer/

200 000 Aufnahmen, 1,5 Milliarden erfasste Himmelsobjekte: In einem Mammutprojekt haben Astronomen den Zentralbereich der Milchstraße kartiert. Die Auswertung der Daten dürfte Jahrzehnte dauern. Und das sind die faszinierenden Bilder aus den Tiefen des Weltraums.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der 8000 Lichtjahre entfernte Emissionsnebel NGC 6357, abgebildet durch das ESO-Teleskop VISTA, Aufnahme zur Verfügung gestellt von der Europäischen Südsternwarte (ESO). Foto: ESO/dpa

Es war ein gewaltiges Forschungsprojekt: Über einen Zeitraum von 13 Jahren hat ein internationales Team von Astronomen mit dem Spezialteleskop VISTA der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile die Zentralregion unserer Milchstraße im infraroten Bereich fotografiert.

Nach der Werbung weiterlesen

1,5 Milliarden Himmelsobjekte kartiert

Über 500 Terabyte an Daten haben die Wissenschaftler dabei gesammelt und 1,5 Milliarden Objekte erfasst – ein gewaltiger Schatz, dessen Auswertung vermutlich Jahrzehnte dauern wird, schreiben die Forscher im Fachblatt „Astronomy & Astrophysics“.

„Es handelt sich um die bislang umfangreichste, vollständigste Erfassung der Zentralregion der Milchstraße“, schreiben die Astronomen um Roberto Saito von der Universität Santa Catarina in Brasilien. Die Karte enthält zehnmal mehr Objekte als die vorherige, die das Team vor zwölf Jahren veröffentlicht hat.

Einige Bilder der bislang detailliertesten Infrarot-Karte der Milchstraße, Aufnahmen zur Verfügung gestellt von der Europäischen Südsternwarte (ESO). Foto: ESO/dpa

VISTA (Visible and Infrared Telescope for Astronomy) ist auf Beobachtungen im Infrarot-Bereich spezialisiert. Diese Strahlung durchdringt das Gas und den Staub, der überall in der Milchstraße vorhanden ist, und ermöglicht so einen klaren Blick in das Zentrum der Milchstraße hinein.

200 000 Aufnahmen vom Sternenhimmel

Auf den über 200 000 Himmelsaufnahmen entdeckten die Astronomen neugeborene Sterne, die noch in dichte Staubwolken gehüllt sind, ebenso wie bislang unbekannte Kugelsternhaufen, Ansammlungen von vielen Hunderttausend bis zu Millionen von Sternen.

Sternenbildung in der Großen Magellan-Wolke. Foto: Imago/Newscom World
Crab Nebula. Foto: Imago/piemags
Cigar Galaxy M82. Foto: Imago/piemags
Spiral- Galaxie NGC 1300 Foto: Imago/United Archives International

Zu den vielen neuen Entdeckungen zählen außerdem Braune Zwerge – eine Art verhinderter, kühler Sterne, in denen es keine dauerhafte Kernfusion gibt –, sowie kalte Riesenplaneten, die nicht einen Stern umkreisen, sondern einsam ihre Bahn durchs All ziehen.

Himmelsschau in 420 Nächten

Insgesamt hat das Team VISTA in 420 Nächten von 2010 bis 2023 genutzt. Dabei haben die Forscher jeden Bereich der untersuchten Himmelsregion – deren Fläche so groß ist wie 8600 Vollmonde – mehrfach fotografiert, um auch Veränderungen erfassen zu können.

Auf diese Weise identifizierten sie zahlreiche Sterne, die ihre Helligkeit regelmäßig verändern. Einige davon, die sogenannten Cepheiden, dienen den Himmelsforschern auch als Entfernungsmesser. Mithilfe dieser Sterne konnte das Team sogar eine dreidimensionale Karte der zentralen Milchstraße erzeugen.

Aufnahme des Tarantula-Nebels. Foto: Imago/Cover Images
Carina-Nebel. Foto: Imago/Stock/ Trek Images
Horsehead-Nebel. Foto: Imago/piemags

Stellare Hyperschnellläufer und Schwarze Löcher

Zudem erfassten die Astronomen durch den Vergleich mehrerer Aufnahmen auch die Bewegung von Sternen. Dabei stießen sie auf zahlreiche sogenannte Hyperschnellläufer: Sterne, die mit bis zu tausend Kilometern pro Sekunde durchs All sausen. Diese Sterne sind vermutlich unlängst nahe an dem supermassereichen Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße vorbeigeflogen und haben dadurch ihre hohe Geschwindigkeit erhalten.

Blick auf die Milchstraße bei sternenklarer nNacht. Foto: Imago/Wirestock

Zwar werden Forscher nun auf lange Zeit mit der Auswertung der Daten beschäftigt sein. Doch deshalb ruhen sie sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. Die ESO plant bereits die Aufrüstung von VISTA mit einem neuen Zusatzgerät. Und auch das Very Large Telescope der ESO bekommt ein neues, hochempfindliches Instrument. Mit beiden Teleskopen können die Forscher dann die Strahlung vieler Millionen Objekte noch genauer untersuchen.

So ist die Milchstraße aufgebaut

Aufbau: Das Milchstraßensystem hat die Form einer flachen Scheibe mit spiralförmigen Armen und einer Verdickung in der Mitte. Der Durchmesser dieser Scheibe beträgt etwa 120 000 Lichtjahre. Die Anzahl aller Sterne im Milchstraßensystem wird auf rund 200 Milliarden geschätzt.

Panoramablick auf die Milchstraße am Goa Cina Beach im indonesischen Malang. Foto: Imago/Pond5 Images

Komponenten: Wie alle Spiral- und Balkenspiralgalaxien besteht das Milchstraßensystem aus drei Komponenten: Bulge, Halo und Scheibe.

Bulge: Der Kern besteht hauptsächlich aus älteren Sternen und enthält 33 Prozent der sichtbaren Materie.

Halo: Der galaktische Außenbereich besteht aus weit verstreuten, älteren Sternen und Kugelsternhaufen, welche die Galaxie langsam umkreisen. Der Halo beinhaltet 1 Prozent der sichtbaren Materie, aber 95 Prozent der Dunklen Materie.

Scheibe mit Spiralarmen: Die dünne Scheibe (Thin Disk) erstreckt sich 700 Lichtjahre ober- und unterhalb der galaktischen Ebene, die viel Gas und neugebildete Sterne enthält.

Dicke Scheibe : Sie erstreckt sich bis zu einem Abstand von etwa 2500 Lichtjahren ober- und unterhalb der galaktischen Ebene, die vorwiegend ältere Sterne enthält.

Dünne Scheibe: Sie enthält 65 Prozent der sichtbaren Masse der Galaxie, die dicke Scheibe nur 5 Prozent

Schwarzes Loch: Im Zentrum der Milchstraße befindet sich – wie in wohl jeder Galaxie – ein supermassives Schwarzes Loch.

Uralte Bausteine der Milchstraße

Die Milchstraße ist am Nachthimmel sichtbar als unregelmäßig breites, schwach milchig-helles Band über dem Firmament. Eine 360-Grad-Panorama-Aufnahme des Sternenhimmels zeigt sie als Bogen. Tatsächlich ist die Milchstraße eine Scheibe, die aus circa 100 bis 400 Milliarden Sternen besteht.

Der Esa-Satellit Gaia hat einen gigantischen Datenschatz über rund 1,5 Milliarden Sterne in unserer Galaxie angesammelt. Foto: Esa

Vor rund 13 Milliarden Jahren bildete sich die Milchstraße durch die Verschmelzung mehrerer Vorgänger-Galaxien. Bis heute sind Sterne aus dieser ersten Frühzeit im Herze unserer Galaxie erhalten geblieben.

Nach dieser Protophase kam es zu weiteren, mindestens zehn kleineren und fünf größeren Verschmelzungen mit angrenzenden Sternenansammlungen.