Jüdisches Gedenken Für Ilse

Im Alter von 36 Jahren stirbt Ilse Kohn im Konzentrationslager Auschwitz – der Platz vorm Stadtcafé soll künftig ihren Namen tragen. Foto: Frank Wunderatsch

Der bislang namenlose Platz am Gräfsblock soll nach einer jüdischen Coburgerin benannt werden. Ihre Biografie steht beispielhaft für den Horror der Shoa.

 
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Ilse Kohn kommt am 16. März 1906 in Coburg zur Welt. Ihre Eltern, der jüdische Textilwarenhändler Siegfried Kohn und seine Ehefrau Hermine, Mädchenname: Kirschner, stammen aus Böhmen. Die Familie lebt ab 1909 in der Mohrenstraße 36, direkt am Gräfsblock. Ilses Geschwister, ein Junge und ein Mädchen, sterben im Kindesalter. 1934, im Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, flieht sie nach Amsterdam und heiratet den niederländischen Kaufmann Mozel Pool. 1937 folgt die Scheidung, Kohn, die kinderlos bleibt, arbeitet fortan als Haushälterin.

Im Jahr darauf wird ihr Vater in seinem Geschäft, das sich nach Umzug der Familie in der Mohrenstraße 10 befindet, von einem NS-Fanatiker erstochen. Mutter Hermine wird nach Beginn des Zweiten Weltkriegs deportiert, sie stirbt in einem polnischen Ghetto. Genau wie Tante Jenny und Cousin Karl Kohn. Derweil besetzt die Wehrmacht auf ihrem Vormarsch nach Westen die Niederlande. Über Westerbork wird Ilse Kohn 1942 nach Auschwitz deportiert. Wie zuvor ihr Onkel Max in Buchenwald stirbt sie am 30. September im Konzentrationslager. Sie wird 36 Jahre alt.

„Ausführung des Grauens“

Der Name Ilse Kohn soll sich künftig im Stadtbild ihres Geburtsortes wiederfinden. Der bislang namenlose Platz vor dem Stadtcafé am Gräfsblock soll nach ihr benannt werden. Steht ihre Biografie doch beispielhaft für den blanken Horror der Shoa. Im Holocaust, dem verabscheuungswürdigsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, töten die Nazis mit teils industriellen Methoden zwischen 5,6 und 6,3 Millionen europäische Juden. Darunter 65 namentlich bekannte aus der Vestestadt.

Der Kultur- und Schulsenat hat das Vorhaben am Mittwochnachmittag nach Ausführungen von Stadtheimatpfleger Christian Boseckert, die alle Anwesenden sichtlich bewegten, einstimmig befürwortet. Geleitet wurde die Sitzung dabei erstmals vom neuen Sozialbürgermeister Can Aydin, der selbst mehrfach fassungslos den Kopf schüttelte.

„Ein derart grauenvolles Schicksal ist unter den jüdischen Familien Coburgs beispiellos“, bilanzierte Boseckert, der promovierte Historiker sprach von einer „Ausführung des Grauens“. Die Idee zu der Platzbenennung geht zurück auf einen Stadtratsantrag aus dem vergangenen Sommer, in dem die SPD-Fraktion die Errichtung eines Gedenkorts für jüdische Bürgerinnen und Bürger fordert. Die Vestestadt gilt in Fachkreisen als Keimzelle der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Deutschland. Adolf Hitler selbst wird mit dem Satz zitiert: „Mit Coburg habe ich Politik gemacht.“ Der fragliche Antrag wurde in den Geschäftsgang verwiesen, eine Projektgruppe gebildet, die Vorarbeiten laufen.

Den Worten von Christian Boseckert zufolge würde mit der Schaffung eines Ilse-Kohn-Platzes gleichzeitig ein geeigneter Standort geschaffen für ein Denkmal zum Gedenken der Opfer der Shoa. Zumal sich, wie der Stadtheimatpfleger auf Nachfrage zu Protokoll gab, der sogenannte Gerberbrunnen vorm Stadtcafé geschichtlich „am völlig falschen Platz“ befinde. Dem Vernehmen nach wird eine Versetzung im Zuge der Sanierung der Steinwegvorstadt diskutiert.

Ein Ort von großer historischer Bedeutung

Mit der anstehenden Benennung nach der ermordeten Jüdin folgt der Senat obendrein den aufkommenden politischen Forderungen, Straßen und Plätze der Vestestadt verstärkt nach Frauen zu benennen. Was den Standort anbelangt, drängt sich der Platz am Gräfsblock indes nicht nur aufgrund seiner Nähe zum langjährigen Wohnort Ilse Kohns auf; er ist ebenso von großer historischer Bedeutung. So waren es die Nationalsozialisten, die ihn zwischen 1935 und 37 anlegten, sie tauften ihn „Platz der Alten Garde“. Überdies errichteten die Nazis dort eines ihrer Verwaltungsgebäude, das sogenannte Haus des Fremdenverkehrs, das heutige Stadtcafé.

Die Ausführungen von Christian Boseckert gipfelten in einem konkreten Vorschlag für den Zeitpunkt der Benennung: den 14. Oktober 2022. An diesem Tag jährt sich Hitlers „Zug auf Coburg“ zum 100. Mal. Bei seinem Abschied aus der Vestestadt im Jahr 1922 säumen zahlreiche Bürger die Straßen. Bisweilen bricht spontaner Jubel aus.

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