Junge Wildtiere Von wegen mutterseelenallein

Wolfgang Aull
Vögel versorgen ihren Nachwuchs auch am Boden noch – mitnehmen muss man die Jungen also nicht. Stattdessen sollte man kleine, flugunfähige Jungvögel vorsichtig in das nächste Gebüsch tragen, wo sie geschützt auf die Elterntiere warten können. Foto: /Wolfgang Aull

Jungtiere, die ruhig irgendwo in der Natur verweilen, sind oftmals gar nicht schutzlos verwaist. Meistens werden sie von den Eltern bewusst abgelegt. Wenn der Mensch da eingreift, kann die gut gemeinte Hilfe auch schaden.

 
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Es ist ein Bild, das das Herz erwärmen kann: Jungtiere in Sichtweite ihrer Eltern, wohlgeborgen und frohgemut erste tapsige Schritte oder unbeholfene Flugversuche unternehmend.

Entsprechend herzzerreißend kann es wirken, wenn man solch ein kleines Wesen ganz alleine antrifft, augenscheinlich ohne elterlichen Schutz und daher scheinbar hilflos seinen Feinden zum Fraße ausgeliefert oder dem Hungertod entgegensehend. Der menschliche Reflex verführt zuweilen dazu, diese vermeintlich hilfebedürftige Tierchen retten zu wollen und sie in die eigene Obhut zu nehmen. Doch ist das auch gut?

Christian Bartsch ist Förster, Betriebsleiter in den Städten Eltmann und Königsberg und Revierleiter in Eltmann. Er hat einige Erfahrung mit jungen Wildtieren, und möchte aufklären. „So häufig kommt das gar nicht vor, dass die Jungen verwaisen, da bei den meisten Tierarten beide Elternteile an der Aufzucht beteiligt sind“, erklärt der Fachmann. Wenn nun beispielsweise ein Fuchs oder ein Reh überfahren wird, schaffe es auch der andere Partner, die Jungen zu ernähren, wenn sie schon Festnahrung fressen. „Blöd ist es nur, wenn sie noch gesäugt werden.“

Dann könne man handeln. „Wenn wir Wildunfälle haben, so im Mai, wenn die Kitze gesetzt, das heißt auf die Welt gebracht, werden und ein weibliches Reh wird überfahren, dann schauen wir, welches Kitz da betroffen sein kann. Meist finden wir die Kleinen dann auch, weil sie in der Nähe von Ihren Eltern abgelegt wurden. Dann kann man sie natürlich aufziehen lassen“, sagt Christian Bartsch.

Förster Christian Bartsch warnt: „Finger weg von Wildtieren, wenn man meint, dass sie alleine sind.“ Foto: Wolfgang Aull

Doch Bartsch möchte umgehend über ein Missverständnis aufklären: „Oft denken Leute, wenn sie einen kleinen Hasen finden, oder ein Rehkitz, dass die keine Mutter mehr haben, aber das stimmt nicht“, warnt er. Die Kleinen würden vielmehr „belegt“, also an einem bestimmten Ort sicher untergebracht. Für drei, vier fünf Stunden, bis dann die Mutter wieder zum Säugen kommt. Solange verharren die Jungen an der gleiche Stelle. Sein Fazit daher: „Finger weg von Wildtieren, wenn man meint, dass sie alleine sind.“

Der Forstmann appelliert in diesem Zusammenhang insbesondere an Hundebesitzer: „Kein Mensch soll zur Setzzeit seine Hunde frei laufen lassen, damit solche Hasen oder Rehe nicht gefunden werden!“ Denn dann läge es nahe für Hundebesitzer zu sagen, „das nehmen wir mit“. Und er schärft nochmals ein: „Auf keinen Fall anfassen!“

Britta Merkel, Leiterin im Tierheim Haßberge und erste Vorsitzende der Tierschutzinitiative Haßberge e.V , hat gerade einen kleinen Feldhasen zur Aufzucht. Die Fachfrau erklärt hierzu: Feldhasen setzen oberirdisch, die Jungen verharren wochenlang ruhig an einem Ort. Ihr Fell sei so beschaffen, dass sie von Geburt an mit jedem Wetter klarkommen. „Die Mutter geht lediglich einmal bis zweimal pro Tag bei ihnen zum Säugen vorbei“, so Britta Merkel, das sei auch von der Natur so angelegt: „Die Milch ist sehr fettreich.“

Leider würden junge Feldhasen von unwissenden Zeitgenossen regelmäßig eingesammelt. Im Schnitt habe die Tierschutzinitiative zehn bis 15 Jungtiere pro Jahr erhalten. Die blieben dann in ihrer Obhut, bis die Kleinen ein Kilogramm Körpergewicht haben. „Dann werden sie ausgesetzt. Wir müssen immer verhindern, dass sie sich an Menschen gewöhnen“, sagt Britta Merkel. Das stünde dem Auswilderungserfolg erheblich im Wege.

Leider sammeln unwissenden Zeitgenossen junge Feldhasen ein, eingesammelt. Im Schnitt erhält die Tierschutzinitiative zehn bis fünfzehn Jungtiere pro Jahr. Foto: Wolfgang Aull

Auch sie appelliert an die Vernunft bei der Hundehaltung: Es käme erfahrungsgemäß durchaus vor, dass unangeleinte Hunde ganz stolz mit einem kleinen Häschen im Maul zu ihren Frauchen oder Herrchen zurückkehrten.

Förster Christian Bartsch spricht dann noch ein weiteres Thema an: „Was auch vorkommt, zum Beispiel bei Schwarzstörchen, die im Wald brüten: Manchmal fallen diese Nestlinge aus dem Nest heraus und werden dann am Boden weitergefüttert.“ Oft würden die Menschen dann denken, dass die Jungen keine Überlebenschance hätten, „aber das ist die Natur, die werden dann einfach unten weitergefüttert“.

Britta Merkel erklärt, dass sich sogenannte Nestflüchter während ihrer ersten Flugversuche ungefähr eine Woche lang am Boden aufhielten, und dass auch sie so lange noch vollständig in der Obhut ihrer Eltern stünden. Gefährlich sei es, wenn die Kleinen auf der Straße oder dem gepflasterten Gehweg gelandet wären. Diese könnte man, so ihre Empfehlung, vorsichtig in das nächste Gebüsch tragen, zu einem sicheren Ort. Die Eltern hörten den Ruf des Nachwuchses und könnten sie somit sicher finden.

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