In den vergangenen Wochen und Monaten hätten ihm Gläubige ihre Irritation deutlich gemacht. "Sie tun sich schwer, nachzuvollziehen, warum es eine zweite unabhängige Untersuchung braucht, um die systematischen Zusammenhänge jahrzehntelangen Missbrauchs in unserem Erzbistum aufzudecken und im Detail aufzuzeigen." Er sei jedoch überzeugt, dass dies erforderlich sei, weil er "eine bestimmte qualitative und quantitative Faktenlage" benötige. Die Kanzlei, die das erste Gutachten erstellt hat, weist alle Vorwürfe zurück.
Woelki versichert in seiner Botschaft: "Es war und ist meine Absicht, eine transparente, konsequente Aufklärung der Missbrauchsvergehen und ihrer systemischen Umstände in unserem Erzbistum zu erreichen - selbstverständlich auch im Blick auf meine eigene Person."
Woelki hatte schon früher mitgeteilt, dass der Strafrechtler Gercke 236 Fälle aus dem Erzbistum Köln untersucht habe. Dabei handelt es sich laut "Spiegel" um die systematische Auswertung von Aktenvorgängen und Zehntausenden Seiten. Der Untersuchungszeitraum reicht zurück bis 1975.
Auffällig ist, dass die jetzt veröffentlichten Zahlen deutlich höher liegen als die Zahlen aus der sogenannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz von 2018. Damals waren für das Erzbistum Köln über einen Zeitraum von 70 Jahren 135 Opfer sexualisierter Gewalt und 87 beschuldigte Kleriker angegeben worden.
Gercke nannte mehrere Gründe für die Unterschiede zur MHG-Studie. So betrachte sein Gutachten nicht nur Kleriker, sondern auch nichtgeweihte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Erzbistums. Zudem sei "zwischen Verdachtsmeldungen und tatsächlichen (Straf-)Taten zu unterscheiden". Auch das zurückgehaltene Münchner Gutachten kommt nach einem Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers" (Samstag) zu ähnlichen Opfer- und Beschuldigtenzahlen wie Gercke.
Die Nachfrage nach Kirchenaustritten ist in Köln so in die Höhe geschnellt, dass das Amtsgericht die Zahl der Online-Termine aufgestockt hat. Aus den Termin-Buchungen ist die Konfession der betreffenden Bürger allerdings nicht abzulesen.
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