Klassik Open-Air in Coburg Abschied und Aufbruch

Im Rosengarten feiern Klassikfans mit dem Philharmonischen Orchester rauschende spanische Nächte. Roland Kluttig reicht den Taktstock an Daniel Carter weiter – und löst tapfer ein Versprechen ein.

 
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Coburg - Wenn der „Coburger Marsch“ eine spanische Nacht krönt und zwei Maestros sich friedlich ein Orchester teilen: Dann muss das schon ein ganz besonderes Konzert sein. In der Tat: Vieles ist anders als gewohnt bei diesem Klassik-Open-Air 2021 im Rosengarten. Statt es sich nach Gusto auf Picknickdecken bequem zu machen, müssen die Fans mit 500 ordentlich gruppierten Stühlen im abgesperrten Areal Vorlieb nehmen. Und wer seine Drinks nicht mitgebracht hat, sitzt auf dem Trockenen: Für coronakonformes Catering fehlt schlicht der Platz. Aber das nehmen alle gern Kauf, die das Glück hatten, ein begehrtes Ticket für einen der beiden Sommerabende zu ergattern. Denn am Wichtigstem mangelt es nicht: an beseelter und spritziger Musik, live gespielt und gesellig genossen. Endlich wieder ein bisschen Festival-Feeling in Coburg.

Mit iberischem Esprit bezaubert das Philharmonische Orchester des Coburger Landestheaters sein Publikum bei diesem ersten großen Konzert seit einer gefühlten Ewigkeit. Daniel Carter, sein neuer Chef, hat nachgerechnet: Vor 482 Tagen spielten die Musikerinnen und Musiker letztmals in fast voller Besetzung vor so großem Auditorium. Und er selbst hatte seit Amtsantritt als Generalmusikdirektor am 1. Januar noch gar keine Gelegenheit, sich den Musikfreunden so richtig live vorzustellen. Die Freude über den Neubeginn ist mithin enorm, auf der Riesen-Bühne und davor. Und die Motivation klingt in den Ohren: Mit feurigen und gefühlvollen Melodien, mit Evergreens und Raritäten von Georges Bizet, Isaac Albéniz, Manuel de Falla, Silvestre Revueltas und Emmanuel Chabrier versetzen die Philharmoniker ihre Zuhörer in jenen sommerlichen Rosengarten-Modus, auf den sie im vergangenen Jahr verzichten mussten.

Ins Wasser fiel damals auch das geplante Freilicht-Finale für GMD Roland Kluttig, der im Sommer 2020 als Chefdirigent nach Graz entschwand und nur im kleinen Rahmen verabschiedet wurde. Doch ganz sang- und vor allem klanglos möchte er seine Coburgerinnen und Coburger nach zehn sehr fruchtbaren gemeinsamen Jahren keinesfalls verlassen, und so ist er zurückgekommen, um sich gebührend zu verabschieden und den Taktstock ganz offiziell weiterzureichen.

Dass er in Daniel Carter einen überaus passenden Nachfolger gefunden hat, können die Fans spüren: Die beiden „Alpha-Tiere“ teilen sich den Abend so harmonisch, dass Kluttig selber staunt („Ein solches Konzert ist nur in der typischen Coburger Atmosphäre möglich“) und demonstrieren, dass sie nicht nur ihr Orchester zu animieren verstehen, sondern auch ihr Publikum.

Der Australier Carter knüpft mit Charme, Humor und in perfektem Deutsch an Kluttigs Tradition an, Werke und Komponisten mit launigen Anekdoten vorzustellen und die Sinne der Zuhörer für den Musikgenuss zu schärfen. Bei Gassenhauern wie der Orchestersuite aus „Carmen“ erübrigt sich das, doch umso spannender und amüsanter ist es, in die zumeist amourösen Geschichten einzutauchen, die Manuel de Falla in seiner Oper „La vida breve“ oder im Ballett „Der Dreispitz“ in den leuchtendsten Klangfarben mit folkloristischem Temperament erzählt.

Dass Roland Kluttig auch unter dem Motto „Viva Espana“ seinem Ruf treu bleibt, gerne „seltsame Komponisten“ vorzustellen, überrascht nicht - und lohnt sich für aufgeschlossene Hörer: Silvestre Revueltas Abgesang auf den von den Faschisten ermordeten Dichter Federico García Lorca zeugt von einer uns fremden Trauerkultur und fasziniert mit seiner vitalen und farbigen Tonsprache. Intensives spanisches Kolorit prägt de Fallas Suite aus dem Ballett „El Amor Brujo“, für das Kluttig authentische Unterstützung aus Graz mitgebracht hat: Die dort engagierte katalanische Mezzosopranistin Anna Brull hat den Furor des Flamenco in der ausdrucksstarken Stimme.

Natürlich endet dieses besondere Konzert nach 90 Minuten nicht so einfach ohne Zugaben und Überraschung: Daniel Carter schlägt den Bogen von Spanien in die Johann-Strauß-Stadt Coburg mit dem französischen Walzerkönig Emil Waldteufel. Und Roland Kluttig krönt den Abend mit zünftigem Lokalkolorit: Zum ultimativen Abschied löst er ein lange erfolgreich verdrängtes Versprechen ein und dirigiert den Coburger Marsch von Michael Haydn, dem Konzertmeister Martin Emmerich ein opulentes Arrangement angedeihen ließ. Ein historischer Moment für stramme Coburger – und ein augenzwinkernd absolvierter Canossa-Gang für Kluttig, der aus seinen musikalischen Präferenzen keinen Hehl macht: „Ich hasse Märsche!“ Aber die Liebe zu Coburg ist dann doch stärker.

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