Körperschmuck Augen zu, atmen... und durch

Maria Löffler

Bei der siebten Tattoo-Convention im Kronacher Schützenhaus geht es fast schon familiär zu. Die Szene kennt sich. Aber natürlich wird auch gestochen und gemalt.

 
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Kronach - Lara ist aus Wallenfels und sie wird sich gleich ein Piercing über der Oberlippe stechen lassen. Erstmal eines aus Titan, bis sich die Haut wieder beruhigt hat und der Schmuck gewechselt werden kann. Das könne schon mal bis zu einem Jahr dauern, bestätigen Anne und Robert. Sie sind Piercing-Künstler aus Bad Freienwalde und sind zusammen auf der siebten Tattoo-Convention im Kronacher Schützenhaus.

Lara weiß, was sie will und vor allem, wo sie es will. Ob sie wirklich so ruhig ist, wie sie sagt, lässt sich schwer feststellen, denn schon ist sie mittendrin. Sie bekommt eine Mundspülung, um zumindest einige Bakterien abzutöten, dann ein Stück Traubenzucker, um ihren Adrenalinspiegel hochzuhalten. Danach wird die Stelle, an die das Piercing kommen soll, noch einmal von innen und außen desinfiziert. „Jetzt zeichne ich die Stelle erst einmal an“, sagt Piercer Robert, den alle nur Rob nennen. Seinen Job sieht man ihm nicht so recht an, denn er trägt kaum Piercings. Tätowiert bis unter die Haarspitzen ist er dagegen schon. Nachdem der Punkt gesetzt ist, erklärt Rob Lara die Atemtechnik. „Atme durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus.“ Den Schmerz wegatmen, nenne man das und Lara nickt tapfer.

Dann geht alles ganz schnell. Rob setzt die Zange an, nimmt die Kanüle dazu und Lara soll Luft holen. Kurz treten ihr Tränen in die Augen, dann ist alles auch schon wieder vorbei. Die Kanüle sitzt und ragt irgendwie merkwürdig aus ihrem Mund. Sie atmet ein paar Mal tief und hörbar und Rob erkundigt sich, ob es ihr gut gehe. Sie nickt, schluckt einmal und reckt das Kinn. Nach ein paar Handgriffen sitzt der Stecker aus Titan und alles ist wieder gut. Lara schaut in den Spiegel und lächelt selig. Genauso wollte sie es...

Mit 64 zum sechsten Tattoo

Schmerz sei man gewohnt in der Szene, sagen die Tattoo-Artists und Piercer. Er liege auf einer Skala von eins bis zehn so zwischen vier und sechs, wie einige Kunden versichern. Allerdings ist der bei einem Piercing zackig wieder vorbei, während man bei einem Tattoo ja schon mal viele Stunden sitzt. Das weiß auch Jürgen. Er kommt aus Kronach und ist 64 Jahre alt. Sein sechstes Tattoo sei es, wie er bestätigt. Er lässt sich gerade sein linkes Bein vervollständigen und mit dem Motiv will Tattookünstler Alin aus München an der Preisverleihung teilnehmen.

Cora ist 33 und aus Sonneberg. Cora sagt, sie sei eine keltische Schamanin. Rund 25 Tattoos habe sie schon, jetzt ließ sie sich ein wunderschönes Naturmotiv stechen, eine Frau mit Blütenkranz, unter ihrem Gesicht sitzt ein Vogel. Der sei eine Erinnerung an ihre Großeltern, sagt sie und schiebt dabei den Lolli weiter in ihren Mund. Sie habe noch nichts gegessen, meint sie entschuldigend. Auf die Frage, was sie beruflich mache, sagt sie: „Ich baue Kinderwagen.“

Die starke Verbindung zur Natur habe sie von ihrer Mutter, auch die Spiritualität. „Wir räuchern beide sehr gerne“, zählt sie auf und dann sei da noch Halloween, der Tag, an dem man mit Verstorbenen in Verbindung treten könne. „Da werfe ich schon morgens den Stress völlig ab, lasse keine negativen Gedanken zu, gehe in mich.“ Ansonsten verlaufe ihr Leben ziemlich normal. Sie gehe mit ihrem Mann Matthias, der nebenan sitzt und sich ebenfalls erneut tätowieren lässt, sehr gerne auf Mittelaltermärkte, trinke gerne Met aus Hörnern. Das könne man ja vielleicht auch auf die Tatsache schieben, dass sie eigentlich aus dem Harz komme und irgendwie erblich vorbelastet sei. „Aber wir wohnen ganz normal“, versichert sie am Ende und zwinkert. Ihr erstes Tattoo habe sie mit 16 stechen lassen. Tätowieren gehöre fest zu ihrem Leben. „Wenn man einmal damit anfängt...“, sagt sie.

Zwei Piercings bitte

Nicht ganz so umfangreich wird das Motiv von Tobias aus Kulmbach. Es ist sein zweites Tattoo, aber auch er spricht bereits von einer Sucht. Er hat bereits einen Pinguin als Partnermotiv und gerade kommt auf seinem Oberarm ein Totenkopf mit Rose dazu.

Inzwischen hat es die 18-jährige Nele aus Küps auf die Liege der Piercerin Anne geschafft. Sie habe sich gerade frisch zwei Tattoos stechen lassen, jetzt möchte sie noch zwei Piercings im Ohr. Drei habe sie da schon und bei ihr klingt das irgendwie nach einem Einkaufsbummel. Sie hat ihre Freundin dabei, die ebenfalls damit Erfahrung hat. „Ich finde den Schmuck einfach schön,“ bekennt Nele und später streckt sie die Zunge raus und zeigt ihren Stecker.

Aber an diesem Tag wird es zwei Ohrpiercings geben und Anne bereitet sie vor. Ein bisschen zu genau, sie meint es gut. Aber die Erklärungen im Detail schon vorher wollen einige vielleicht gar nicht wissen.

Tipps zur Pflege

Nele hört es sich tapfer an, ist etwas aufgeregter als beim Tätowieren, wie sie zugibt und das Ganze dauert ja auch nicht länger als rund zehn Minuten. Dann stürzt sie stolz mit zwei neuen Ohrpiercings und einem zufrieden Gefühl wieder in die Menge. Doch vorher bekommt sie noch Tipps auf den Weg, wie sie die Haut an den Stellen pflegen soll, an denen die kleinen Kugeln jetzt sitzen.

„Die Trends in diesem Bereich wechseln immer mal, deshalb muss man eine gute Auswahl haben.“ Rob, dem zwei Tattooläden gehören und seine Kollegin Anne haben langjährige Erfahrung damit. Vor allem bunte Steinchen seien es, die sich Frauen stechen ließen. Die Steinchen werden entweder gestanzt, oder ich muss auch mal mit dem Skalpell arbeiten, je nachdem.“ Okay, das macht irgendwie Angst, aber sein Geschäft brummt an diesem Tag. Angezogen werden die Kunden von besonderen Aktionen und den günstigen Preisen der Convention. „Das Kleine reizt“, begründet Ringo den großen Erfolg, den die Veranstaltung längst habe. Familiär gehe es zu und gerade das wirke anziehend. Organisator der Veranstaltung ist der Präsident des MC Frankonia.

Ringo ist 61 und kommt ursprünglich aus Mainz. Jetzt wohnt er in Marktzeuln. Zum siebten Mal bereits findet die Convention statt, sei also ein durchschlagender Erfolg. Allerdings suche man hier neugierige Besucher, die einfach mal durchschlendern, vergeblich. „Wenn jemand hierher kommt, dann weiß er, was er will und meistens auch von wem.“ Seine Termine für Tattoos und Piercings könne man schon im Vorfeld über die Homepage buchen, aber auch spontan gehe noch so einiges. Er spricht von über 30 internationalen Artists, also Künstlern und ein paar Händlern. Sie kämen aus England, Rumänien, Ungarn oder auch aus Spanien. Ansonsten aus ganz Deutschland.

Zwei Studios aus dem Landkreis

Zwei Studios aus dem Kronacher Landkreis nehmen ebenfalls teil. „Tattoos sind längst gesellschaftsfähig. Sie sind Körperkunst.“ Ringo selbst ist ebenfalls ein lebendes Kunstwerk – und zwar von Kopf bis Fuß. „Früher trugen das nur Rocker, Knastis oder Seemänner, jetzt trägt es jedermann.“ In der Tätowiersprache werden die Kunden übrigens Leinwände genannt.

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