Kronach Die Gefahr wird größer

Heike Schülein

Corona macht vor allem Frauen das Leben schwer. Übergriffe bleiben eher unsichtbar. In Kronach will man das nicht einfach so akzeptieren - und zeigt Flagge.

 
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Kronach - "Zuhause nicht sicher?", prangt es in roter Schrift auf den großen Bannern, die seit Beginn dieser Woche an der Europabrücke sowie gegenüber vom Kreiskulturraum zu sehen sind. Mit den großen Hinguckern und weiteren Aktionen beteiligt sich die Gleichstellungsstelle des Landkreises Kronach auch in diesem Jahr am "Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen", dessen historischer Hintergrund sich heuer zum 60. Mal jährt.

"Laut Statistik ist jede dritte Frau mindestens einmal im Leben von physischer oder sexualisierter Gewalt betroffen", erklärt die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Kronach, Lisa Gratzke. 2019 waren 140 000 Fälle von Partnerschaftsgewalt in Deutschland bekannt. Dabei handelte es sich bei 81 Prozent um Frauen sowie bei 19 Prozent um Männer, die ebenfalls von Gewalt betroffen sind. "Das sind aber nur die bekannten Fälle. Die Dunkelziffer ist leider weitaus höher", prangert sie an.

Für diese so wichtige Thematik möchte der Aktions- und Gedenktag sensibilisieren. Dies erscheine in diesem Jahr wichtiger denn je, lasse doch die aktuelle Situation - einhergehend mit existenziellen Sorgen, Quarantäne und eingeschränkter Bewegungsfreiheit - die Gefahr häuslicher Gewalt noch ansteigen. Da Frauen das Haus momentan nur eingeschränkt verlassen könnten und ihnen Rückzugsorte fehlten, seien sie dem gewalttätigen Familienmitglied stärker ausgeliefert. Das ständige Zusammensein mit vielleicht zusätzlichen Belastungen wie Home-Office, Home-Schooling, oder Kinder, die nicht den Kindergarten besuchen könnten, verschärften die Situation noch. Zugleich werde es für Betroffene schwieriger, sich zu informieren, wo es Hilfe gibt und diese Unterstützung auch in Anspruch zu nehmen.

Hierfür hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die bundesweite Aktion "Zuhause nicht sicher?" gestartet: Gemeinsam mit Deutschlands großen Einzelhandelsketten will die Initiative "Stärker als Gewalt" Menschen unterstützen, die in der aktuellen Corona-Situation von häuslicher Gewalt betroffen sind oder die Betroffenen helfen wollen. Bundesweit werden in vielen Supermärkten Plakate aufgehängt, die über die Initiative und Hilfsangebote informieren. Auch auf der Rückseite vieler Kassenzettel finden sich Informationen über "Stärker als Gewalt", deren Internetseite eine Vielzahl an Hilfs- und Beratungsangeboten bündelt.

Eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt und Menschen, die helfen wollen, ist das vom BMFSFJ geförderte Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen". Das Hilfetelefon ist unter der kostenlosen Nummer 08000/116 016 rund um die Uhr zu erreichen - anonym und barrierefrei - und bietet in deutscher Sprache und 17 Fremdsprachen telefonische Beratung für gewaltbetroffene Frauen, für Menschen aus dem sozialen Umfeld und für Fachkräfte an. Über www.hilfetelefon.de ist außerdem eine Onlineberatung möglich.

Gewalt habe viele Erscheinungsformen - körperlicher, aber auch psychischer Art wie Demütigungen und Erniedrigungen in der Öffentlichkeit, Kontaktverbote und Kontrollanrufe, Überwachung des Handys wie auch eine frauenfeindliche Sprache, anzügliche Bemerkungen, Mobbing, verfälschte Bilder und Videos in den sozialen Medien. "Charakteristisch für häusliche Gewalt ist, dass es nicht bei einer einzelnen Gewalttat bleibt", erläutert sie. Vielmehr würden immer wieder die gleichen Phasen durchlaufen. Der Gewaltkreislauf beginne mit einem Spannungsaufbau geprägt von Beschimpfungen, bis es eskaliere und zur Misshandlung komme. In dieser Phase holten sich zwar einige Frauen Hilfe. Da sich jedoch oftmals der Partner entschuldige und verspreche, dass es nicht wieder vorkomme, sähen viele von rechtlichen Schritten ab. Dann beginne der Gewaltzyklus von vorne. "Der Sprung aus dieser Spirale ist schwer", weiß sie.

In Kronach beteiligt man sich heuer am Gedenktag mit Banner-Aktionen an der Europabrücke und gegenüber dem Kreiskulturraum sowie einem Info-Schau-Fenster.

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www.staerker-als-gewalt.de

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