Künstler aus Kiew bewegen Coburger Publikum Umjubeltes Freiheits-Fanal

Das Modern Music Theatre Kiev begeistert im fast ausverkauften Landestheater mit seiner engagierten Inszenierung von Beethovens Oper „Fidelio.

 
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„Freiheit ist ansteckend“, verkündet das Transparent vorne an der Rampe. Es ist nicht nur Kulisse, so wie alles an diesem Abend mehr ist als Bühnenspiel. Selten wurde die Relevanz von Theater so deutlich wie bei diesem „Fidelio“ im Coburger Landestheater. Denn vom entschlossenen Befreiungskampf erzählen Menschen, in deren Heimat gerade für die Freiheit gekämpft und gestorben wird. Das Modern Music Theatre Kiev trägt mit Beethovens berühmter Oper ein Fanal durch Deutschland – und es wird vernommen.

Mit stehenden Ovationen würdigen die Zuschauer im fast ausverkaufen Landestheater am Donnerstagabend die Leistungen der Künstler und danken allen, die dieses außerplanmäßige Gastspiel in der Vestestadt mit großem Engagement möglich gemacht haben. Ein Kraftakt war’s, diese Produktion zunächst in Meiningen und nun in Coburg auf die Bühne zu bringen, nachdem die Kulissen auf abenteuerlichen Wegen aus der Ukraine nach Deutschland kamen.

Nur die Solistinnen und Solisten konnten ausreisen, also sprangen die Opernchöre aus Meiningen und Coburg gemeinsam ein, im Graben beweist das Philharmonische Orchester seine Professionalität, im 1. Aufzug geleitet vom musikalischen Leiter aus Kiew, Sergij Golubnychy, der den Taktstock in der Pause an Coburgs GMD Daniel Carter weiterreicht.

Wie knapp die Zeit für gemeinsame Proben bemessen war, spürt wohl kaum jemand im Publikum an diesem eindringlichen Opernabend, dem eine „turbulente Zeit vorausgegangen ist, wie Intendant Bernhard F. Loges bei der Begrüßung verrät. „Frieden und Freiheit müssen erkämpft werden!“ betont Oberfrankens Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz, die die Bedeutung von Kulturarbeit gerade in Zeiten wie diesen unterstreicht. Und für die Worte und Taten der Solidarität dankt Andrey Maslakov, der die moderne, bewusst plakative Dialogfassung dieses „Fidelio“ verfasst und inszeniert hat. „Wir sind die ersten Ukrainer, die mit einer deutschen Oper nach Deutschland kommen!“, merkt er an.

In den letzten Wochen haben die Sänger/innen auch die Dialoge in deutscher Sprache einstudiert, um ihre Botschaft klar rüberzubringen. So wird die Anklage von Autoritarismus und Diktatur in Wort und Spiel, Szene und Video unmissverständlich deutlich, wenn Leonore alias Fidelio (großartig: Yuliia Alieksieieva) ihren geliebten Mann Florestan (Sehii Androshchuck) vor Stalins kalten Augen aus dem Kerker des kaltblütigen Gouverneurs „Genosse Pizarro“ (Abdumalik Abdukaiumow) befreit: In die Sowjetunion verlegt Maslakow Beethovens Befreiungsoper, tödlich ist die Repression, in den Verliesen des KGB liegen Dissidenten und Verdächtige in Ketten. Doch das Terror-System ist längst marode, seine Hülle nur notdürftig zusammengeflickt, wie Maslakovs surreales Bühnenbild zeigt. Mit satirischen Überzeichnung und russischen Klischees karikiert er das System der Profiteure, Mitläufer und Wendehälse (Oleksandr Kharlamov als gemütvoller Kerkermeister mit Rest-Moral, Jevgen Malofeiev als publicitygeiler Minister). Doch über alle Komödiantik und alle Umbrucheuphorie obsiegt die im wörtlichen Sinne knallharte Realität – der Jubel des Volkes erstirbt im Gewehrfeuer.

Die ukrainischen Theatermacher ergeben sich dennoch nicht dem Fatalismus: Sie ziehen mit ihrer ambitionierten „Fidelio“-Inszenierung weiter durch Deutschland. Die nächsten Stationen sind Heidelberg und Siegen.

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