Länderspiegel Bewährung nach tödlichem Schuss

Carolin Gißibl

Zwei Polizeischüler hantieren mit ihren Pistolen in einer Kaserne - bis sich eine Kugel löst. Ein 21-Jähriger stirbt durch einen Treffer in den Hinterkopf. Nun wurde der Schütze verurteilt.

 
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Würzburg - Der tödliche Schuss fällt gegen 21.30 Uhr in einer Würzburger Kaserne. Im Raum sind zwei Polizeischüler: Ein 21-Jähriger liegt lebensgefährlich verletzt auf dem Boden, sein zwei Jahre jüngerer Kollege kauert daneben. Er wollte das nicht, er wollte das nicht, soll er laut Aussage eines Polizisten, der nach dem Schuss ins Zimmer kam, immer wiederholt haben. Bereits die Ermittlungen vor dem Prozess ergaben, dass es sich um einen tragischen Unfall gehandelt haben muss.

Auf der Anklagebank sitzt der Schütze, mittlerweile 21 Jahre alt, vom Polizeidienst beurlaubt. Er zittert - kurz nach der Tatnacht musste er sich in psychiatrische Behandlung begeben. Die Richter am Amtsgericht Würzburg verhängen am Dienstag wegen fahrlässiger Tötung eine Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. Zusätzlich muss der Angeklagte 2400 Euro in Raten von 100 Euro an die Eltern des Verstorbenen zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Opfer und er sollen sich laut den Angaben des Angeklagten nicht nur beruflich, sondern auch privat vom Fußball gekannt haben. Im Zimmer befanden sich zum Tatzeitpunkt keine weiteren Zeugen.

Zum Prozessauftakt räumte der Angeklagte die Vorwürfe in vollem Umfang ein. Er gestand, beim Entladen und der Kontrolle seiner Dienstwaffe nachlässig gehandelt zu haben.

Die beiden Polizei-Azubis sollten am Abend des 28. Februar 2019 zusammen einen Dienst zur routinemäßigen Bewachung des Geländes der Bereitschaftspolizei Würzburg antreten. Bereits am frühen Morgen hatten sie eine gemeinsame Schicht. Der Angeklagte gab danach seine Magazine in der Wachstation zurück und schloss seine Waffe vorschriftsgemäß in einen Tresor im Zimmer ein. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass sich im Lauf der Dienstwaffe noch eine Kugel befinde, erklärte der Angeklagte am Dienstag vor dem Amtsgericht Würzburg in einer schriftlichen Stellungnahme, die sein Verteidiger vorlas. Er will das weder beim Entladen gemerkt haben - noch, als er die Dienstwaffe wieder aus dem Tresor nahm.

Der Angeklagte holte seinen Kollegen in seinem Zimmer ab. Dort sollen die beiden jungen Deutschen einen Schusswaffeneinsatz simuliert haben. Das spätere Opfer soll laut Anklage seine Waffe gezogen, Richtung Fenster gehalten und "Deutschuss" gerufen haben. Ein "Deutschuss" wird in Notsituationen durchgeführt, wenn ein schnelles Ziehen und Schießen notwendig ist. Die beiden Männer hätten laut dem Angeklagten öfter solche Schießübungen nachgestellt. Der damals 19-Jährige drückte den Abzug der Waffe - im Lauf der Pistole befand sich noch eine Kugel, die den 21-Jährigen in den Hinterkopf traf. Schwer verletzt starb dieser wenige Stunden später in einer Klinik.

Laut Gericht hat der Angeklagte gegen zahlreiche Bestimmungen verstoßen und seine Waffe bei der Entladung nicht ordnungsgemäß kontrolliert. Allerdings sei es ihm anzurechnen, dass er bereits drei Stunden nach der Tat ausgesagt hatte. Der Richter begründete das Jugendstrafmaß unter anderem damit, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit in Ausbildung befand und mit seinem Kollegen wohl öfter solche Spielchen gemacht habe, in denen er leichtfertig mit der Waffe umgegangen sei. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der 21-Jährige seit der Tat traumatisiert ist.

"Der Angeklagte hat einen guten Freund erschossen und muss mit der Schuld klarkommen", sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer und sprach von "unglücklichen Verkettungen". Er forderte als Strafe ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung nach Erwachsenenstrafrecht, da seiner Ansicht nach beim Angeklagten keine Reifedefizite vorlägen und der Vorfall sich nicht als Jugendverfehlung darstelle.

Für den Rechtsanwalt, der die Eltern des Getöteten in der Nebenklage vertrat, war eine Strafe unter zwei Jahren und im Jugendstrafrecht nicht angemessen. Er forderte in seinem Plädoyer ebenfalls eine Verurteilung nach dem Erwachsenenstrafrecht. Für die Familie habe es vor dem Prozess viele offene Fragen gegeben, und sie habe große Hoffnungen gehabt, nach dem Prozess endlich abschließen zu können - er glaube nicht, dass dies nach dem heutigen Verhandlungstag möglich sei.

Die Folgen der unbeabsichtigten Schussabgabe in der Würzburger Polizeiabteilung hatte die gesamte bayerische Bereitschaftspolizei emotional bewegt, wie ein Sprecher mitteilte. Nach dem Unfall wurde eine Expertengruppe eingerichtet, die die Waffen- und Schießausbildung vollständig überprüft habe. "Im Ergebnis wurden durch diese keine strukturellen Problemfelder erkannt", sagte Polizeihauptkommissar Markus Kern. Durch die unbeabsichtigte Schussabgabe sei der Umgang und die Ausbildung mit Polizeiwaffen im Ausbildungspersonal und bei den Polizeischülern jedoch noch stärker als bisher in den Fokus gerückt.

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