Länderspiegel "Das Problem ist die Anonymität"

Die Frankenpost gibt längst nicht mehr nur gedruckte Zeitungen heraus, sie publiziert auf mehreren digitalen Kanälen. Im Internet gelten jedoch völlig andere Bedingungen. Warum? Ein paar Fragen an den Experten.

 
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Die rasant wachsenden digitaltechnischen Entwicklungen stellen eine Herausforderung für Journalisten wie für Politiker dar. Wobei das Wort "Herausforderung" das Problem eher beschönigt: regelmäßig stößt man im Internet auf Hasskommentare, Fake News und Verschwörungstheorien. Stehen wir vor medienpolitischem Chaos, Herr Kamps?

Zur Person

Klaus Kamps ist einer der bekanntesten Experten für US-Politik und politische Kommunikation in Deutschland. Der Medienwissenschaftler und Buchautor ist seit 2014 Professor für Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien (HdM).

Kamps studierte Politikwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere Geschichte an der Heine-Universität Düsseldorf, in den USA und in Neuseeland. Kamps promovierte mit einer vergleichenden Arbeit über internationale Ereignisse in Fernsehnachrichten. Kamps lehrt im Studiengang Crossmedia Redaktion/Public Relations Kommunikationswissenschaft. Seine Lehr- und Forschungsgebiete umfassen Kommunikationstheorie, Journalismusforschung und Medienpolitik.

Kamps‘ neuestes Buch, der populärwissenschaftliche Essay "Commander-in-Tweet: Donald Trump und die deformierte Präsidentschaft", handelt von einem der umstrittensten Politiker unserer Zeit. Das bezieht sich einerseits auf seine Politik, andererseits aber auch auf seinen Politikstil: Trump selbst versteht sich explizit als Twitter-Präsident. Was das genau meint, erklärt Kamps‘ Buch aus dem Wissenschaftsverlag Springer. red

Ich bleibe lieber bei dem Begriff Herausforderung. Sie betrifft aber nicht nur den Journalismus oder die (Medien-)Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt. So werden wir relativ rasch so etwas wie Medien- und Informationskompetenz in den schulischen Curricula zu verankern haben. Und damit sind nicht die Fragen gemeint, wie man den Computer anmacht oder sich in einem Chat-Raum anmeldet. Die Veränderungen des "gesellschaftlichen Selbstgespräches" (so einmal der Soziologe Niklas Luhmann) sind wirklich weitreichend, haben gute wie schlechte Seiten. Das kann man nicht per Dekret lösen. Das hat mit einem gesellschaftlichen Selbstverständnis zu tun. Da werden sicher auch gesetzgeberisch Regeln benötigt - vielmehr aber auch informelle Normen des Miteinander. Und man muss sich ja nicht immer durch jeden aufmerksamkeitsgierigen Troll darin irritieren lassen.

Aber hätte sich das gesellschaftliche Selbstverständnis für einen besseren Umgang miteinander im Netz nicht längst einstellen können, ja müssen? Und müsste deshalb der Fokus nicht mehr auf die gesetzgeberischen Regeln gerichtet werden?

Hat es zu einem erheblichen Teil ja auch. Andererseits haben Sie ganz sicher auch recht damit, dass es an vielen Stellen wohl eine eher gesetzgeberische Lösung geben sollte. Aber solche Gesetze fallen ja aus gutem Grunde nicht vom Himmel. Es gibt zum Beispiel ein ganz zentrales Problem beziehungsweise einen ganz zentralen Mechanismus, der im Netz auch zu Problemen führt: die Anonymität. Wo will man da aus welchem Grunde regulatorisch tätig werden? Da gibt es keine einfachen Antworten. Was ich mir gut vorstellen könnte, wäre eine Enquete-Kommission des Bundestages oder etwa des Bundespräsidenten. Solche Strukturen könnten geeignet sein, so breite und weitreichende Fragen zu eruieren. In einem angemessenen Zeitrahmen natürlich. Und eines noch: man sollte nicht glauben, dass Regulation die Probleme allein in den Griff bekommt. Deshalb auch mein Appell an die langfristige Implementierung von Medien- und Informationskompetenz in den schulischen Alltag.

Ihrem Appell, auf den wir gerne noch mal zurückkommen können, werden sich sicher die meisten anschließen. Nur können dadurch erwartbare Positiva erst zukünftig Gewinn fürs gesellschaftliche Miteinander im Netz abwerfen. Darf der Staat zwischenzeitlich einfach so zusehen, wie in den sozialen Netzwerken Recht und Gesetz unter dem Banner einer angeblichen Meinungsfreiheit mit Füßen getreten werden? Anders gefragt: Sind Gegenmittel wie das 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchdringungsgesetz, das Anbietern sozialer Netzwerke diverse Pflichten auferlegt, um den Hass im Netz in den Griff zu bekommen, ausreichend?

Na, wenn ich kurz auf Ihre Wortwahl eingehen darf: "Recht und Gesetz mit Füßen getreten werden"? Natürlich nicht. Welches Recht meinen Sie da? Aber konkret: was offline verboten ist, sollte online auch nicht erlaubt sein. Da sind wir uns sicher einig. Es geht doch wohl eher konkret um die Frage, welches Verhalten man künftig unterbinden will und wen man da vor was schützen muss. Der Jugendmedienschutz ist in Deutschland ja nicht marginalisiert, sondern recht zentral und rührig. Was das Netzwerkdurchdringungsgesetz angeht, so finde ich das - grob betrachtet - schon sehr wichtig. In den USA beneiden sie uns geradezu darum. Allerdings: eine konkrete Evaluation möchte ich nicht wagen, also: im Detail. Da habe ich die aktuelle Lage in letzter Zeit nicht sorgfältig genug beobachtet. Wo ich aber ganz bei Ihnen bin, ist, dass es nach wie vor problematische Inhalte (Desinformation, Fake News, Hetze) gibt, die man nicht einfach so sich selbst überlassen kann. Das regelt sich nicht von alleine. Gesetze allein werden aber zum Beispiel Desinformation - jedenfalls auf nationalstaatlicher Ebene - nicht in den Griff bekommen. Und solange wir das Internet nicht insgesamt "einfach so abschaffen", wird es wohl immer auch einen hoffentlich immer kleiner werdenden Anteil an problematischen bis wirklich bösen und schrecklichen Inhalten geben. Nur: Inhalte sind das eine, Reaktionen und Verhaltensänderungen aufgrund von Inhalten das andere.

Zugegeben, ich habe drastische Worte gewählt, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Aber Aufrufe zu Mord, Beleidigungen und Ähnliches, wie Sie leider tagtäglich im Netz zu lesen sind, stellen letztlich Straftatbestände dar. Ich höre aber aus Ihren Antworten einen grundsätzlichen Optimismus. Sie glauben, zumindest auf längere Sicht, an die Selbstreinigung im Netz?

Da bin ich, wie gesagt, ganz bei Ihnen. Mordaufrufe sollten immer verfolgt werden. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen zum Beispiel IP-Daten von Strafverfolgungsbehörden eingefordert werden können. Selbstreinigung im Netz? Nein, so optimistisch bin ich nicht. Ich denke, dass man da mit einer Art
Piecemeal Social Engineering kleinere Regulierungsmechanismen in Gang setzen und evaluieren sollte. Langfristig kann man, da bin ich schon etwas optimistischer, aber vielleicht mit einer Gesellschaft rechnen, die Unsinn reflektiert, den Schwachsinn marginalisiert und die Verbrechen verfolgt. Irgendwie so.

Das bringt uns zurück zu Ihrem Appell für eine langfristige Implementierung von Medien- und Informationskompetenz in den schulischen Alltag. Sind die Schulen, ist die Lehrerschaft ausreichend gerüstet, um nicht nur ethisch-moralisch argumentieren zu können, sondern wirkliche Medienkompetenz einzubringen? Das digitale "Corona-Homeschooling" hat von den technischen Voraussetzungen her wie auch dem digitalen Wissen der Lehrer Lücken offenbart.

Ethisch und moralisch argumentieren: das sicher schon. Ein Transfer auf Informationslandschaften - neutral gesprochen - dürfte schon schwieriger sein. Vieles ist ja auch relativ neu; da muss man aber besser heute als morgen in der Weiterbildung und in der grundständigen Ausbildung der Pädagogen ansetzen. Ich könnte mir vorstellen, dass das inhaltlich gar nicht einmal so strittig ist. Und wegen der Technik: da kommen wir ja eh nicht drumherum, dass die Schulen endlich besser ausgestattet werden müssen. Wichtig ist mir aber zu betonen, dass sich hier die Familien und die familiäre Erziehung nicht auf schulischen Programmen ausruhen dürfen.

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