Herr Ani, Sie haben im Fall "Peggy" intensiv recherchiert. Sind Sie der Ansicht, der Fall müsste neu aufgerollt werden?

Ich würde es sehr begrüßen, wenn es ein Wiederaufnahme-Verfahren gäbe. Ich glaube, dass Ulvi Kulac unter den gegebenen Umständen nie hätte verurteilt werden dürfen.
Das ist meine Überzeugung nach dem Studium des Materials.

Wollen Sie sich als prominenter Schriftsteller persönlich dafür engagieren?

Nein, das trifft nicht mein Selbstverständnis als Autor von Romanen. Ich möchte mir nicht die Wirklichkeit so weit ins Haus holen, dass ich nicht mehr unterscheiden kann, ob ich nun im Dienste von wirklichen Personen unterwegs bin oder im Dienste meiner Figuren. Ehrlich gesagt: Ich ziehe meine Figuren vor.

Aber Sie möchten schon den Finger in die Wunde legen, wenn es um Ermittlungsfehler geht, um nach Ihrer Ansicht zweifelhafte Vernehmungstechniken der Polizei?

Der Polizist versucht mit allen möglichen Mitteln, den Beschuldigten zu knacken. Dabei gerät er in Grenzbereiche, die wahrscheinlich oft einer objektiv überprüfbaren Rechtsstaatlichkeit nicht standhalten würden. Aber das gehört - meiner Beobachtung nach - zu dem Job dieser Leute. Und dafür gibt es ja Anwälte. Deren Auftrag ist es, so etwas wieder geradezubiegen.

Bei Ulvi Kulacs Geständnis war der Anwalt aber gerade nicht dabei...

Ja, das ist natürlich ein eigentümlicher Zufall...

Ein Zufall?

Ein Skandal! Die Polizeiarbeit in diesem Fall war höchst seltsam und unbefriedigend. Da sind Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen. Es gibt Lücken in den zeitlichen Abläufen, in der Bewertung von Zeugenaussagen. Große Krater in der Darstellung der Wirklichkeit. Das finde ich sehr irritierend. Am Schluss wurde jemand verurteilt, rein auf der Basis eines sehr, sehr wankelmütigen Geständnisses. Das, wage ich zu behaupten, ist ein Polizei-Skandal. Die Polizei hatte nichts anderes vor, als diesen Fall abzuschließen.

Damit liegen Sie auf der Linie der Bürgerinitiative "Gerechtigkeit für Ulvi Kulac".

Man ergreift natürlich Partei, wenn man solche Sachen liest und sich immer wieder sagt: Das darf doch nicht wahr sein! Das ist überhaupt der Ur-Satz bei dieser Geschichte. Aber: Das Buch ist bestimmt nicht gesponsert von der Bürgerinitiative oder von sonst jemandem.

Haben Sie überhaupt mit direkt Beteiligten des echten Falles gesprochen?

Nein, das wollte ich extra nicht. Weil dieser Fall so unheilvoll ist. Ich hatte immer die Sorge, dass mich so etwas zu sehr auf eine Seite ziehen könnte. Ich wollte eine innerliche Distanz wahren. Ich schreibe Romane. Ich brauche diesen fiktionalen Bereich, der ist mir sehr wichtig.

Das Gespräch führte Andrea Herdegen.