Otavalo - Endlich ist er vorbei, der 21. April. "Jahrestage sind Menschen gemacht. Steigere Dich nicht so hinein", rät mir ein lieber Freund in einer E-Mail. Das ist leichter gesagt als getan. Minutiös läuft im ecuadorianischen Otavalo jener 21. April - 2014 war es der Ostermontag - vor meinem Auge ab wie ein Film. Immer und immer wieder. Wie Chap leidet, diese unendlichen Schmerzen. Und ich kann ihm nicht helfen. Nur die lieben Menschen auf der Palliativstation in Marktredwitz, die die Morphium-Dosis nach oben schrauben. Immer und immer wieder. "Aber wir haben doch nächste Woche unseren Hochzeitstermin", höre ich mich zum Arzt sagen, als wäre es gestern. 28. April, so steht es doch in unseren Eheringen. Der Tisch im feinen "Egertal" ist längst bestellt, die Gäste geladen. Der Doktor meint, vielleicht wäre es besser, den Standesbeamten gleich zu kontaktieren. Da fällt mir alles wie Schuppen von den Augen. Es gibt keine Hoffnung. Wir haben es nicht gewusst. Wir haben uns wirklich an jeden Strohhalm geklammert, aber wir haben nicht gewusst, dass so schnell alles vorbei sein soll. Ein halbes Jahr nach der Diagnose Lungenkrebs.
Ich rase nach Hause, schlüpfe in mein Hochzeitskleid, zittere am ganzen Leib. Ich habe Glück, dass ich den Standesbeamten gut kenne. Und vor allem, dass unsere sämtlichen Papiere ja für nächste Woche schon vorbereitet sind. Nur, dass uns da die damalige Marktredwitzer Oberbürgermeisterin hätte trauen sollen, mit der wir vor etlichen Wochen schon ein ausführliches Trauungs-Gespräch geführt hatten. Wenige Stunden später ähnelt Chaps Krankenzimmer nicht mehr so sehr einem Zimmer, in dem es keine Hoffnung mehr gibt. Die Schwestern haben sich viel Mühe gegeben und sogar Blumen gepflückt. Und eine Kerze angezündet. Das nimmt die Oberschwester auf ihre Kappe, denn das ist strengstens verboten. Wie absurd, wie absolut absurd.
Jeder Bissen bleibt im Hals stecken
Chap strahlt so sehr, als er mir den Ring an den Finger steckt. Ich nicht minder in diesem wirklich falschen Film. Wie viele Jahre habe ich mich auf diesen Moment gefreut, dass er mich endlich heiratet. Und dann in dieser Umgebung. So etwas vergisst man nie. Keine einzige Sekunde. Während uns Gerhard traut, müssen die Ärzte die Morphium-Dosis deutlich runterfahren. Ich sehe, wie sehr es Chap anstrengt. Nachdem wir unsere Ehe mit unseren Unterschriften besiegelt haben, fährt das Morphium wieder hoch. Ich kann Chap nicht mal richtig umarmen, nur küssen. Sein ganzer Körper ist ein einziger Schmerz. Während er wieder einschläft, stoße ich mit Gerhard, dem Arzt und den Schwestern mit einem Gläschen Sekt an. Lauwarm. Halbtrocken. Und dann das Hochzeits-Essen. Ich allein vor dem Tablett mit der Plastikhaube. Jeder Bissen bleibt mir im Hals stecken, während Chap neben mir schläft.
Ich werde das Zimmer nicht mehr verlassen, bekomme ein Bett hineingestellt und schlüpfe aus dem Hochzeitskleid in bequeme Klamotten. Neun Stunden später stirbt Chap in meinen Armen. Als mein Ehemann.
Vorsätzlicher Rausch
Während dieser ganze Tag noch einmal ein Jahr später vor meinen Augen abläuft, hat sich in meinem Bett im Hotel in Otavalo mittlerweile ein riesiger Berg zerknüllter Taschentücher angehäuft. Schon in der Nacht vorher, wo in Deutschland längst der 21. April ist, betrinke ich mich vorsätzlich. Fast zwei Liter Rotwein fließen in mich hinein, um dem Schmerz zu entfliehen, was zwar völliger Blödsinn ist, weil ich meiner Geschichte ja nicht davonlaufen kann. Und dennoch tu ich es, während die Tränen unaufhaltsam fließen. Und der Kopf tags drauf heftig pulsiert.
Zeit für einen Wechsel: Ab nach Australien
Und während dieser rauschigen Phase - ich werde nicht einmal richtig betrunken - reifen meine Pläne neu, wie es weitergehen soll auf Reisen. Nämlich nach Australien. Eigentlich von einer Minute auf die andere. Denn ursprünglich bin ich ja noch lange nicht fertig in Südamerika, gibt es noch so viel zu sehen. Doch es wird in all den Regionen, die mich interessieren, immer kälter, der Winter ist auf dem Vormarsch. Und so starte ich noch am Tag vor dem 21. April nach der Initialzündung durch meinen Kumpel und Globetrotter-Freund Mark einen Versuchsballon und maile zwei Boots-Besitzer an, die Mitsegler suchen. Denn die Tage an Bord der Xavier III während meiner Galapagos-Kreuzfahrt haben mir ein Jahr nach Chaps Tod endlich wieder ein Leuchten in die Augen gezaubert. Wasser, Strände, Sonne, tolle Landschaften, Einfachheit. Da habe ich mich wohlgefühlt, natürlich schon der Tiere wegen.
Hand gegen Koje
Dass ich so schnell eine Antwort von Martin, dem österreichischen Besitzer der "Wild One", bekomme, hätte ich absolut nicht erwartet. Ich entscheide spontan und schnell: Noch in der Nacht zum schicksalhaften 21. April habe ich alles in trockenen Tüchern. Zwischen Rotwein und Tränen maile, buche und bestätige ich, dass ich am 8. Mai den Kontinent wechsle. Ich fliege von Peru nach Australien. Dort werde ich in Darwin am 13. Mai an Bord der "Wild One" gehen, einem Segel-Katamaran für sechs Leute. Die nächsten Wochen steche ich also in See - ohne irgendwelche Vorkenntnisse. Ich habe angeheuert unter dem Motto "Hand gegen Koje" und bin gespannt, was mich alles erwartet bei der Überquerung des Indischen Ozeans über die Weihnachtsinseln, Mauritius, La Reunion und Madagaskar.
Das Leben ist viel zu kurz, um sich nicht hin und wieder auf ein Abenteuer einzulassen. Doch jetzt gibt es noch einiges in Ecuador und Peru zu erleben, ehe ich den südamerikanischen Kontinent nach über fünf Monaten verlasse.
Ich rase nach Hause, schlüpfe in mein Hochzeitskleid, zittere am ganzen Leib. Ich habe Glück, dass ich den Standesbeamten gut kenne. Und vor allem, dass unsere sämtlichen Papiere ja für nächste Woche schon vorbereitet sind. Nur, dass uns da die damalige Marktredwitzer Oberbürgermeisterin hätte trauen sollen, mit der wir vor etlichen Wochen schon ein ausführliches Trauungs-Gespräch geführt hatten. Wenige Stunden später ähnelt Chaps Krankenzimmer nicht mehr so sehr einem Zimmer, in dem es keine Hoffnung mehr gibt. Die Schwestern haben sich viel Mühe gegeben und sogar Blumen gepflückt. Und eine Kerze angezündet. Das nimmt die Oberschwester auf ihre Kappe, denn das ist strengstens verboten. Wie absurd, wie absolut absurd.
Jeder Bissen bleibt im Hals stecken
Chap strahlt so sehr, als er mir den Ring an den Finger steckt. Ich nicht minder in diesem wirklich falschen Film. Wie viele Jahre habe ich mich auf diesen Moment gefreut, dass er mich endlich heiratet. Und dann in dieser Umgebung. So etwas vergisst man nie. Keine einzige Sekunde. Während uns Gerhard traut, müssen die Ärzte die Morphium-Dosis deutlich runterfahren. Ich sehe, wie sehr es Chap anstrengt. Nachdem wir unsere Ehe mit unseren Unterschriften besiegelt haben, fährt das Morphium wieder hoch. Ich kann Chap nicht mal richtig umarmen, nur küssen. Sein ganzer Körper ist ein einziger Schmerz. Während er wieder einschläft, stoße ich mit Gerhard, dem Arzt und den Schwestern mit einem Gläschen Sekt an. Lauwarm. Halbtrocken. Und dann das Hochzeits-Essen. Ich allein vor dem Tablett mit der Plastikhaube. Jeder Bissen bleibt mir im Hals stecken, während Chap neben mir schläft.
Ich werde das Zimmer nicht mehr verlassen, bekomme ein Bett hineingestellt und schlüpfe aus dem Hochzeitskleid in bequeme Klamotten. Neun Stunden später stirbt Chap in meinen Armen. Als mein Ehemann.
Vorsätzlicher Rausch
Während dieser ganze Tag noch einmal ein Jahr später vor meinen Augen abläuft, hat sich in meinem Bett im Hotel in Otavalo mittlerweile ein riesiger Berg zerknüllter Taschentücher angehäuft. Schon in der Nacht vorher, wo in Deutschland längst der 21. April ist, betrinke ich mich vorsätzlich. Fast zwei Liter Rotwein fließen in mich hinein, um dem Schmerz zu entfliehen, was zwar völliger Blödsinn ist, weil ich meiner Geschichte ja nicht davonlaufen kann. Und dennoch tu ich es, während die Tränen unaufhaltsam fließen. Und der Kopf tags drauf heftig pulsiert.
Zeit für einen Wechsel: Ab nach Australien
Und während dieser rauschigen Phase - ich werde nicht einmal richtig betrunken - reifen meine Pläne neu, wie es weitergehen soll auf Reisen. Nämlich nach Australien. Eigentlich von einer Minute auf die andere. Denn ursprünglich bin ich ja noch lange nicht fertig in Südamerika, gibt es noch so viel zu sehen. Doch es wird in all den Regionen, die mich interessieren, immer kälter, der Winter ist auf dem Vormarsch. Und so starte ich noch am Tag vor dem 21. April nach der Initialzündung durch meinen Kumpel und Globetrotter-Freund Mark einen Versuchsballon und maile zwei Boots-Besitzer an, die Mitsegler suchen. Denn die Tage an Bord der Xavier III während meiner Galapagos-Kreuzfahrt haben mir ein Jahr nach Chaps Tod endlich wieder ein Leuchten in die Augen gezaubert. Wasser, Strände, Sonne, tolle Landschaften, Einfachheit. Da habe ich mich wohlgefühlt, natürlich schon der Tiere wegen.
Hand gegen Koje
Dass ich so schnell eine Antwort von Martin, dem österreichischen Besitzer der "Wild One", bekomme, hätte ich absolut nicht erwartet. Ich entscheide spontan und schnell: Noch in der Nacht zum schicksalhaften 21. April habe ich alles in trockenen Tüchern. Zwischen Rotwein und Tränen maile, buche und bestätige ich, dass ich am 8. Mai den Kontinent wechsle. Ich fliege von Peru nach Australien. Dort werde ich in Darwin am 13. Mai an Bord der "Wild One" gehen, einem Segel-Katamaran für sechs Leute. Die nächsten Wochen steche ich also in See - ohne irgendwelche Vorkenntnisse. Ich habe angeheuert unter dem Motto "Hand gegen Koje" und bin gespannt, was mich alles erwartet bei der Überquerung des Indischen Ozeans über die Weihnachtsinseln, Mauritius, La Reunion und Madagaskar.
Das Leben ist viel zu kurz, um sich nicht hin und wieder auf ein Abenteuer einzulassen. Doch jetzt gibt es noch einiges in Ecuador und Peru zu erleben, ehe ich den südamerikanischen Kontinent nach über fünf Monaten verlasse.