Die DDR-Führung will in jenen September-Tagen 1989 unbedingt verhindern, dass noch mehr Menschen dort Zuflucht suchen. Hase wird auf die Zugtoilette geschickt, ihm wird befohlen, seinen großen Rucksack leerzuräumen und sich nackt auszuziehen. "Pure Schikane", sagt er heute über diese Minuten, in denen er hilflos und weinend auf dem Bord-Klo steht. Doch plötzlich kommt ein Schaffner und verkündet, der Zug müsse jetzt weiterfahren. "Die Zöllnerin stieg aus - und ließ mich zurück." Nach Genschers Mitteilung am 30. September in Prag ist Hase unschlüssig: "Anfangs wollte ich mich auf keinen Fall in diesen Zug setzen. Ich war kurz davor, alles wieder abzusagen." Der Thüringer vermutet, die DDR werde die Flüchtlinge wieder linken. Doch Genscher betont, er garantiere die sichere Reise. Auf der Fahrt muss Jens Hase einem Stasi-Beamten seinen DDR-Ausweis geben. Auch sein restliches Geld soll er abliefern, aber das wirft er lieber aus dem Zugfenster - und sieht dabei draußen einen Mann, der aufspringen will. "Wir haben gewartet, bis der Stasi-Typ wieder aus unserem Abteil draußen war, und dann haben wir den Mann in den Zug gezogen." Kurz darauf fahren die Flüchtlinge an den Grenzsperranlagen vorbei. "Ich war völlig fassungslos. Mir wurde erst richtig bewusst, wie paranoid dieser Staat war." Von Hof aus geht Hase zu seinen Eltern, die bereits in Süddeutschland leben. "Als ich meine Mutter und meinen Vater endlich umarmen konnte, war das ein so emotionaler Moment. Ich könnte heute noch heulen, wenn ich daran zurückdenke." Heute lebt Jens Hase mit Frau und zwei Kindern in Günzburg. Er arbeitet als Jobcoach. R. M.
Länderspiegel "Ich wollte auf keinen Fall in diesen Zug"
Redaktion 03.10.2014 - 00:00 Uhr