Schon wieder eine Tragödie vor Lampedusa. Frau Hohlmeier, sie sind asylpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Europagruppe: Wie viel Raum nimmt gerade das Flüchtlingsthema in Ihrer Arbeit ein?
Das nimmt schon seit längerer Zeit in der Relation viel Zeit in Anspruch, weil wir die Gesetzgebung überarbeitet haben. Das geschah vor dem Hintergrund, dass einige Mitgliedsstaaten die bisherigen europäischen Regelungen nicht umgesetzt hatten. Wir mussten u.a. die bisherige Gesetzgebung klarer definieren, um Schlupflöcher für Fehlinterpretationen zu schließen. Dies war nötig, weil es in einigen Mitgliedsstaaten zu erheblichen Problemen bei der Aufnahme und Behandlung von Flüchtlingen kam. Wir haben aber auch die Standards erhöht und vor allem den Schutz von Kindern und Schwangeren erhöht. Der Flüchtlingsstrom hat zugenommen, zum einen aufgrund von Missbrauch, zum anderen aufgrund der Kriegsereignisse in vielen Teilen der Erde. Beide Themen sind aktuell.
Kriegsflüchtlinge kommen etwa aus Syrien. Aber Missbrauch?
Es kommen aus Ländern wie Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien regelmäßig über die Wintermonate hin Zuwanderer zu uns, die im April dann wieder nach Hause gehen. Sie überwintern quasi bei uns und stellen die Sozialsysteme der Kommunen teilweise vor sehr große Schwierigkeiten . Im letzten Monat haben missbräuchliche Anträge mehr als ein Drittel aller Anträge dargestellt. Hier werden Sozialleistungen erschlichen. Die Anerkennungsquote beträgt 0%. Im September haben 1600 Serben Antrag auf Asyl gestellt, aber nur 1300 Syrer. Deshalb ist Missbrauch von Freizügigkeit, Visafreiheit und Asylgesetzen auch ein Thema für meine Arbeit.
Erfüllt Deutschland angesichts der Tragödie von Lampedusa seine humanitären Verpflichtungen – oder haben die Kritiker wie etwa die Grüne Claudia Roth Recht, die sagen, es könne mehr getan werden?
Um es klipp und klar zu sagen, Deutschland nimmt innerhalb Europas die meisten Asylbewerber auf. Weitere Länder wie Schweden, die ihr Asylsystem gut ausgebaut haben, stehen mit uns an der Spitze der aufnehmenden Länder. Deutschland hat im vorigen Jahr 65.000 Menschen Asyl geboten, Italien lediglich 15.000 Umgerechnet auf eine Million Einwohner nimmt Deutschland 945 Asylbewerber auf, Italien nur 260. Italien hat 60 Millionen Einwohner, Deutschland 80 Millionen. Deutschland ist im Vergleich ein deutlich offeneres Land als Italien. Auch Frankreich nimmt deutlich mehr auf als Italien. Das ständige Jammern Italiens, es sei überfordert, steht im deutlichen Widerspruch zu den Fakten.
Viele Kriegsflüchtlinge finden inzwischen in Deutschland Schutz…
Bundesinnenminister Friedrich war der Erste, der 5000 syrischen Flüchtlingen und ihren Familien Aufnahme in Deutschland zugesichert hat.Dafür hat ihm der Hohe Flüchtlingskommissar Guterres des UNHCR ausdrücklich gedankt. Dieser betonte, dass Deutschland als erstes Land in Europa und der Welt syrische Kriegsflüchtlinge aus humanitärem Gedanken Schutz gewähre. Der UNHCR hofft, dass weitere Staaten diesem Beispiel folgen werden. Das heißt auch, Friedrich war der erste, der formuliert hat: Wir sind bereit, wenn Menschen verfolgt werden oder keine Chance mehr haben, in ihr Heimatland zurückzukehren, unseren Beitrag zu leisten und Asyl zu gewähren. Über dieses Kontingent hinausgehend finden weitere Syrer über das Asylrecht Schutz, derzeit sind das 1300 monatlich.
…und dennoch gibt es Tragödien wie vor Lampedusa.
Ja, das alles bedeutet dennoch, dass wir trotzdem solche Katastrophen wie Lampedusa nicht gänzlich verhindert werden können, wenn nicht andere Maßnahmen ergriffen werden. Wenn Menschen vor Lampedusa ertrinken, dann ist das nicht eine Frage der Aufnahme durch die Deutschen oder der Umverteilung in Europa. Das ist eine fehlgelenkte Diskussion . Da muss man ganz andere Fragen stellen, wie etwa die nach einer Koordination der weltweit führenden Staaten in den Krisengebieten oder nach verstärkter humanitärer Hilfe in den benachbarten Gebieten und den dort befindlichen Flüchtlingslagern. Es sind fast 7 Millionen Menschen auf der Flucht wegen des brutalen Bürgerkriegs in Syrien! Deutschland hat bereits fast 250 Mio Euro für humanitäre Hilfe geleistet. Außerdem muss Italien verstärkte Hilfe durch die EU in den italienischen Küstengewässern akzeptieren, um Boote früher zu entdecken und Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Um jedoch den Menschenhändlern, die Milliarden an dem Schicksal von Flüchtlingen verdienen, das Handwerk zu legen, muss mit den nordafrikanischen Anrainerstaaten der Kampf gegen die organisierte Kriminalität aufgenommen werden.
Doch Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlamentes, fordert mehr Engagement von Deutschland. Wie passt das zusammen?
Dazu muss ich ihn fragen, ob er die Sachgrundlagen einfach nicht kennt oder nicht bewerten will. Seine Äußerung verstehe ich einfach nicht.
Die Flüchtlinge aus Afrika landen zuerst in Italien: Braucht Italien Hilfe – oder könnte das Land mehr tun?
Es gibt Länder wie Italien, die verstoßen gegen geltendes Asylrecht. Und zwar massiv. Italien hat nicht einmal 3000 Unterkunftsplätze für Asylsuchende. Selbst Bulgarien verfügt über 5000 Plätze! Italien hat sich seit Jahren den vorgeschriebenen EU- Richtlinien zum Umgang mit Flüchtlingen widersetzt. Seit drei Jahren kritisiere ich das bei Griechenland, bei Italien oder Zypern – und ich habe ein Vertragsverletzungsverfahren verlangt. Das ist inzwischen eingeleitet bzw. angedroht worden.
Steht Italien damit mehr in der Pflicht?
Die Italiener stehen damit unter Druck. Italien muss endlich gezwungen werden, seine Gesetze zu ändern, die dem europäischen Asyl- und Menschenrecht zuwiderlaufen.
Wie stellt sich das Europäische Asyl- und Menschenrecht angesichts von Lampedusa dar?
Beispielsweise ist es nach dem europäischen Asylrecht strikt verboten, einen um Asyl bittenden Flüchtling oder jemanden, der ihn aus Seenot rettet, mit Haft oder Strafe zu bedrohen. Beides wird in Italien gemacht. Fischer werden mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht, sie werden als Schlepper angeklagt und Flüchtlinge wegen illegaler Migration in Haft genommen. Die Boote von Fischern wurden konfisziert.
Auf die aktuellen Fälle von Lampedusa blickt die Weltöffentlichkeit…
Um das mal zu sagen: Im Mittelmeer ertrinken nach Schätzungen kompetenter Organisationen jährlich 20.000 Menschen! Das ist völlig inakzeptabel und unmenschlich. Und ein Staatsanwalt Italiens hat wegen der italienischen Gesetzeslage Retter, die Menschen bei der Tragödie vor Lampedusa aus dem Wasser gezogen haben, wegen Hilfe zu illegaler Migration angeklagt. Und selbst vor den Flüchtlingen machten die Ermittlungsbehörden nicht halt. Das verstößt eindeutig gegen geltendes Asylrecht. Mit dem Druck, der aufgrund der Katastrophe entstand, ist Italien endlich gezwungen die Gesetzgebung zu korrigieren. Mich macht wütend, dass das nicht früher von der EU-Kommission eingefordert wurde.
Bundesinnenminister Friedrich fordert eine bessere Einbindung der afrikanischen Staaten. Sehen Sie da Möglichkeiten?
Es muss mehr getan werden, als nur über Asylrecht nachzudenken. Es muss auch mit den Staaten in Afrika und im Nahen Osten gesprochen werden, wie man mit Flüchtlingen umgeht, wie man ihnen Hilfe geben kann , wie wir die mit Flüchtlingen hoch belasteten Nachbarstaaten der Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, stärker unterstützen können und wie wir den organisierten Verbrechern des Menschenhandels das Handwerk legen können. Solange wir nicht die Ursachen unmittelbar vor Ort ändern, so lange werden Menschenhändler ihrem grausigen Verbrechen im Mittelmeer nachgehen und Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Wir werden nicht jedes Boot finden, auch wenn wir jetzt mit Eurosur die verstärkte Mittelmeer-Überwachung verabschiedet haben.
Immerhin: Die Menschen verlassen ihre Heimat, weil sie dort keine Zukunft sehen…
Aber die Schlepper kassieren das Geld, der Kampf gegen den Schlepperhandel ist einer der wichtigsten Dinge überhaupt. Das sind doch keine guten Menschen! Schlepperbanden haben mit dem Schicksal der ärmsten Menschen im letzten Jahr 25 Mia Euro verdient. Hinter dieser organisierten Kriminalität verbirgt sich Zwangsprostitution, Organhandel, versklavte Arbeit von Menschen. Wenn man Schlepper bekämpft, hat das nichts damit zu tun, dass man etwa Flüchtlinge nicht anständig behandeln möchte.
Wie kann man Schleusern das Handwerk legen?
In mehrfacher Hinsicht: Zuerst durch eine koordinierte Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Da war bisher die Zusammenarbeit mit Italien etwas schwierig. Unter der Kooperation von Europol und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex muss es auch einen Datenabgleich geben. Wir müssen sehen, wo bewegen sich eigentlich die Verbrecher? Derzeit verfügen wir über keine exakten Grenzdaten. Wir beobachten, dass sich die illegalen Schlepperrouten ändern. Aktuell ist der südöstliche Korridor der meistgenutzte. Die Verbrecher weichen aber auch vermehrt auf östliche Routen über Bulgarien, Rumänien und Polen aus- Aus diesem Grund muss es in der Europäischen Union eine Form von digitalisierter Grenzüberwachung geben, um Grenzüberschreitungen von Verbrechern besser identifizieren zu können. Man muss mit modernen Methoden die Wege der logistisch bestens ausgestatteten Schlepper und Menschenhändler nachverfolgen können. Man muss sie dinghaft machen. Denn Schleusung ist ein Milliardengeschäft auf dem Rücken von Menschen, die zu Tausenden zu Tode kommen.
Sie fordern eine Flüchtlingskonferenz zusammen mit dem UNHCR. Was erwarten Sie davon?
Solange man die Ursache in Syrien, diesen furchtbaren Krieg nicht beendet hat, wird man diese millionenfache Flucht nicht handhaben können. Wir brauchen eine Flüchtlingskonferenz zusammen mit dem UNHCR, um die von mir vorhin schon erwähnte koordinierte Hilfe voranzubringen. Wir fordern diese Konferenz, damit sich auch andere Länder innerhalb und außerhalb der EU ihrer humanitären Verpflichtung stellen. Der UNHCR arbeitet eng mit der Bundesregierung zusammen und man versucht, Flüchtlingen zu helfen, die definitiv nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren können oder besondere Merkmale aufweisen, die eine sofortige Umsiedlung und Hilfe notwendig machen. Der UNHCR übernimmt derzeit die Auswahl dieser Flüchtlinge.
Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollen Sie Menschen lieber heimatnah helfen?
Wer verfolgt wird, dem steht humanitärer Schutz zu. Aber es ist wichtig, eine gezielte, konzertierte Entwicklungshilfe zu bieten, etwa in besonders sozial-schwachen und von Naturkatastrophen heimgesuchten Gebieten. Als zweites sollte man auch legale Möglichkeiten der Einwanderung für die Menschen erreichbar machen. Es gibt eine ganze Menge von legalen Möglichkeiten, auszuwandern. Mit den Delegationen und der Europäischen Union bei bestimmten Botschaften Aufklärung zu betreiben. Und mit der Entwicklungshilfe gibt es auch die Möglichkeit, dass man gezielte Projekte mit den Gebieten macht, aus denen die Menschen kommen. Dann haben alle in den Dörfern etwas davon, und nicht nur ein paar Wenige, die in ein anderes Land gehen.
Das Interview führte Kerstin Dolde
Das nimmt schon seit längerer Zeit in der Relation viel Zeit in Anspruch, weil wir die Gesetzgebung überarbeitet haben. Das geschah vor dem Hintergrund, dass einige Mitgliedsstaaten die bisherigen europäischen Regelungen nicht umgesetzt hatten. Wir mussten u.a. die bisherige Gesetzgebung klarer definieren, um Schlupflöcher für Fehlinterpretationen zu schließen. Dies war nötig, weil es in einigen Mitgliedsstaaten zu erheblichen Problemen bei der Aufnahme und Behandlung von Flüchtlingen kam. Wir haben aber auch die Standards erhöht und vor allem den Schutz von Kindern und Schwangeren erhöht. Der Flüchtlingsstrom hat zugenommen, zum einen aufgrund von Missbrauch, zum anderen aufgrund der Kriegsereignisse in vielen Teilen der Erde. Beide Themen sind aktuell.
Kriegsflüchtlinge kommen etwa aus Syrien. Aber Missbrauch?
Es kommen aus Ländern wie Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien regelmäßig über die Wintermonate hin Zuwanderer zu uns, die im April dann wieder nach Hause gehen. Sie überwintern quasi bei uns und stellen die Sozialsysteme der Kommunen teilweise vor sehr große Schwierigkeiten . Im letzten Monat haben missbräuchliche Anträge mehr als ein Drittel aller Anträge dargestellt. Hier werden Sozialleistungen erschlichen. Die Anerkennungsquote beträgt 0%. Im September haben 1600 Serben Antrag auf Asyl gestellt, aber nur 1300 Syrer. Deshalb ist Missbrauch von Freizügigkeit, Visafreiheit und Asylgesetzen auch ein Thema für meine Arbeit.
Erfüllt Deutschland angesichts der Tragödie von Lampedusa seine humanitären Verpflichtungen – oder haben die Kritiker wie etwa die Grüne Claudia Roth Recht, die sagen, es könne mehr getan werden?
Um es klipp und klar zu sagen, Deutschland nimmt innerhalb Europas die meisten Asylbewerber auf. Weitere Länder wie Schweden, die ihr Asylsystem gut ausgebaut haben, stehen mit uns an der Spitze der aufnehmenden Länder. Deutschland hat im vorigen Jahr 65.000 Menschen Asyl geboten, Italien lediglich 15.000 Umgerechnet auf eine Million Einwohner nimmt Deutschland 945 Asylbewerber auf, Italien nur 260. Italien hat 60 Millionen Einwohner, Deutschland 80 Millionen. Deutschland ist im Vergleich ein deutlich offeneres Land als Italien. Auch Frankreich nimmt deutlich mehr auf als Italien. Das ständige Jammern Italiens, es sei überfordert, steht im deutlichen Widerspruch zu den Fakten.
Viele Kriegsflüchtlinge finden inzwischen in Deutschland Schutz…
Bundesinnenminister Friedrich war der Erste, der 5000 syrischen Flüchtlingen und ihren Familien Aufnahme in Deutschland zugesichert hat.Dafür hat ihm der Hohe Flüchtlingskommissar Guterres des UNHCR ausdrücklich gedankt. Dieser betonte, dass Deutschland als erstes Land in Europa und der Welt syrische Kriegsflüchtlinge aus humanitärem Gedanken Schutz gewähre. Der UNHCR hofft, dass weitere Staaten diesem Beispiel folgen werden. Das heißt auch, Friedrich war der erste, der formuliert hat: Wir sind bereit, wenn Menschen verfolgt werden oder keine Chance mehr haben, in ihr Heimatland zurückzukehren, unseren Beitrag zu leisten und Asyl zu gewähren. Über dieses Kontingent hinausgehend finden weitere Syrer über das Asylrecht Schutz, derzeit sind das 1300 monatlich.
…und dennoch gibt es Tragödien wie vor Lampedusa.
Ja, das alles bedeutet dennoch, dass wir trotzdem solche Katastrophen wie Lampedusa nicht gänzlich verhindert werden können, wenn nicht andere Maßnahmen ergriffen werden. Wenn Menschen vor Lampedusa ertrinken, dann ist das nicht eine Frage der Aufnahme durch die Deutschen oder der Umverteilung in Europa. Das ist eine fehlgelenkte Diskussion . Da muss man ganz andere Fragen stellen, wie etwa die nach einer Koordination der weltweit führenden Staaten in den Krisengebieten oder nach verstärkter humanitärer Hilfe in den benachbarten Gebieten und den dort befindlichen Flüchtlingslagern. Es sind fast 7 Millionen Menschen auf der Flucht wegen des brutalen Bürgerkriegs in Syrien! Deutschland hat bereits fast 250 Mio Euro für humanitäre Hilfe geleistet. Außerdem muss Italien verstärkte Hilfe durch die EU in den italienischen Küstengewässern akzeptieren, um Boote früher zu entdecken und Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Um jedoch den Menschenhändlern, die Milliarden an dem Schicksal von Flüchtlingen verdienen, das Handwerk zu legen, muss mit den nordafrikanischen Anrainerstaaten der Kampf gegen die organisierte Kriminalität aufgenommen werden.
Doch Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlamentes, fordert mehr Engagement von Deutschland. Wie passt das zusammen?
Dazu muss ich ihn fragen, ob er die Sachgrundlagen einfach nicht kennt oder nicht bewerten will. Seine Äußerung verstehe ich einfach nicht.
Die Flüchtlinge aus Afrika landen zuerst in Italien: Braucht Italien Hilfe – oder könnte das Land mehr tun?
Es gibt Länder wie Italien, die verstoßen gegen geltendes Asylrecht. Und zwar massiv. Italien hat nicht einmal 3000 Unterkunftsplätze für Asylsuchende. Selbst Bulgarien verfügt über 5000 Plätze! Italien hat sich seit Jahren den vorgeschriebenen EU- Richtlinien zum Umgang mit Flüchtlingen widersetzt. Seit drei Jahren kritisiere ich das bei Griechenland, bei Italien oder Zypern – und ich habe ein Vertragsverletzungsverfahren verlangt. Das ist inzwischen eingeleitet bzw. angedroht worden.
Steht Italien damit mehr in der Pflicht?
Die Italiener stehen damit unter Druck. Italien muss endlich gezwungen werden, seine Gesetze zu ändern, die dem europäischen Asyl- und Menschenrecht zuwiderlaufen.
Wie stellt sich das Europäische Asyl- und Menschenrecht angesichts von Lampedusa dar?
Beispielsweise ist es nach dem europäischen Asylrecht strikt verboten, einen um Asyl bittenden Flüchtling oder jemanden, der ihn aus Seenot rettet, mit Haft oder Strafe zu bedrohen. Beides wird in Italien gemacht. Fischer werden mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht, sie werden als Schlepper angeklagt und Flüchtlinge wegen illegaler Migration in Haft genommen. Die Boote von Fischern wurden konfisziert.
Auf die aktuellen Fälle von Lampedusa blickt die Weltöffentlichkeit…
Um das mal zu sagen: Im Mittelmeer ertrinken nach Schätzungen kompetenter Organisationen jährlich 20.000 Menschen! Das ist völlig inakzeptabel und unmenschlich. Und ein Staatsanwalt Italiens hat wegen der italienischen Gesetzeslage Retter, die Menschen bei der Tragödie vor Lampedusa aus dem Wasser gezogen haben, wegen Hilfe zu illegaler Migration angeklagt. Und selbst vor den Flüchtlingen machten die Ermittlungsbehörden nicht halt. Das verstößt eindeutig gegen geltendes Asylrecht. Mit dem Druck, der aufgrund der Katastrophe entstand, ist Italien endlich gezwungen die Gesetzgebung zu korrigieren. Mich macht wütend, dass das nicht früher von der EU-Kommission eingefordert wurde.
Bundesinnenminister Friedrich fordert eine bessere Einbindung der afrikanischen Staaten. Sehen Sie da Möglichkeiten?
Es muss mehr getan werden, als nur über Asylrecht nachzudenken. Es muss auch mit den Staaten in Afrika und im Nahen Osten gesprochen werden, wie man mit Flüchtlingen umgeht, wie man ihnen Hilfe geben kann , wie wir die mit Flüchtlingen hoch belasteten Nachbarstaaten der Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, stärker unterstützen können und wie wir den organisierten Verbrechern des Menschenhandels das Handwerk legen können. Solange wir nicht die Ursachen unmittelbar vor Ort ändern, so lange werden Menschenhändler ihrem grausigen Verbrechen im Mittelmeer nachgehen und Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Wir werden nicht jedes Boot finden, auch wenn wir jetzt mit Eurosur die verstärkte Mittelmeer-Überwachung verabschiedet haben.
Immerhin: Die Menschen verlassen ihre Heimat, weil sie dort keine Zukunft sehen…
Aber die Schlepper kassieren das Geld, der Kampf gegen den Schlepperhandel ist einer der wichtigsten Dinge überhaupt. Das sind doch keine guten Menschen! Schlepperbanden haben mit dem Schicksal der ärmsten Menschen im letzten Jahr 25 Mia Euro verdient. Hinter dieser organisierten Kriminalität verbirgt sich Zwangsprostitution, Organhandel, versklavte Arbeit von Menschen. Wenn man Schlepper bekämpft, hat das nichts damit zu tun, dass man etwa Flüchtlinge nicht anständig behandeln möchte.
Wie kann man Schleusern das Handwerk legen?
In mehrfacher Hinsicht: Zuerst durch eine koordinierte Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Da war bisher die Zusammenarbeit mit Italien etwas schwierig. Unter der Kooperation von Europol und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex muss es auch einen Datenabgleich geben. Wir müssen sehen, wo bewegen sich eigentlich die Verbrecher? Derzeit verfügen wir über keine exakten Grenzdaten. Wir beobachten, dass sich die illegalen Schlepperrouten ändern. Aktuell ist der südöstliche Korridor der meistgenutzte. Die Verbrecher weichen aber auch vermehrt auf östliche Routen über Bulgarien, Rumänien und Polen aus- Aus diesem Grund muss es in der Europäischen Union eine Form von digitalisierter Grenzüberwachung geben, um Grenzüberschreitungen von Verbrechern besser identifizieren zu können. Man muss mit modernen Methoden die Wege der logistisch bestens ausgestatteten Schlepper und Menschenhändler nachverfolgen können. Man muss sie dinghaft machen. Denn Schleusung ist ein Milliardengeschäft auf dem Rücken von Menschen, die zu Tausenden zu Tode kommen.
Sie fordern eine Flüchtlingskonferenz zusammen mit dem UNHCR. Was erwarten Sie davon?
Solange man die Ursache in Syrien, diesen furchtbaren Krieg nicht beendet hat, wird man diese millionenfache Flucht nicht handhaben können. Wir brauchen eine Flüchtlingskonferenz zusammen mit dem UNHCR, um die von mir vorhin schon erwähnte koordinierte Hilfe voranzubringen. Wir fordern diese Konferenz, damit sich auch andere Länder innerhalb und außerhalb der EU ihrer humanitären Verpflichtung stellen. Der UNHCR arbeitet eng mit der Bundesregierung zusammen und man versucht, Flüchtlingen zu helfen, die definitiv nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren können oder besondere Merkmale aufweisen, die eine sofortige Umsiedlung und Hilfe notwendig machen. Der UNHCR übernimmt derzeit die Auswahl dieser Flüchtlinge.
Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollen Sie Menschen lieber heimatnah helfen?
Wer verfolgt wird, dem steht humanitärer Schutz zu. Aber es ist wichtig, eine gezielte, konzertierte Entwicklungshilfe zu bieten, etwa in besonders sozial-schwachen und von Naturkatastrophen heimgesuchten Gebieten. Als zweites sollte man auch legale Möglichkeiten der Einwanderung für die Menschen erreichbar machen. Es gibt eine ganze Menge von legalen Möglichkeiten, auszuwandern. Mit den Delegationen und der Europäischen Union bei bestimmten Botschaften Aufklärung zu betreiben. Und mit der Entwicklungshilfe gibt es auch die Möglichkeit, dass man gezielte Projekte mit den Gebieten macht, aus denen die Menschen kommen. Dann haben alle in den Dörfern etwas davon, und nicht nur ein paar Wenige, die in ein anderes Land gehen.
Das Interview führte Kerstin Dolde