Landgericht Coburg Festnahme: Angebliches Opfer wird festgenommen

Plötzlich klickten am Landgericht die Handschellen Foto: Archiv/Archiv

Vor dem Landgericht Coburg geht es seit Dienstag um eine Messerattacke. Nun stellt sich die Frage, ob es sich dabei möglicherweise um Notwehr handelte.

 
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Was genau sich im vergangenen April an der Grundschule in Teuschnitz abgespielt hat, lässt sich höchstwahrscheinlich nicht mehr lückenlos aufklären. Dafür waren die Aussagen der Beteiligten am Landgericht Coburg zu widersprüchlich. Wegen versuchten Totschlags muss sich dort seit Dienstag ein 19-jähriger Kronacher verantworten, der im Streit mehrfach auf einen 22-Jährigen eingestochen haben soll. Dabei erlitt letzterer unter anderem eine sechs Zentimeter lange Stichwunde am linken Oberarm. Noch im Laufe der Gerichtsverhandlung klickten die Handschellen. Allerdings nicht für den Angeklagten, sondern für das vermeintliche Opfer, das wegen Falschaussage vorläufig festgenommen wurde.

Zunächst hatte der 22-Jährige seine Sicht der Ereignisse geschildert. Am Abend des 4. April habe er nach der Arbeit einen 17-jährigen Bekannten im Auto mitgenommen. An einem Waldstück neben der Grundschule in Treunitz kam es dann gegen 21.55 Uhr zu einem Zwischenstopp, um den Hund des 22-Jährigen auszuführen. „Plötzlich begegnete mir ein Maskierter und forderte die Herausgabe von Geld und Wertgegenständen. Ich habe mich bedroht gefühlt und dem Angreifer einen Schlag verpasst“, sagte er. Bei der folgenden Rangelei habe der Angreifer ein Messer gezogen und auf ihn eingestochen. Im Anschluss sei der maskierte Unbekannte ohne Beute vom Tatort geflohen. Seine schweren Schnittverletzungen seien ihm aber erst aufgefallen, als er zurück am Auto war. „Während der Rangelei habe ich kein Messer bemerkt. Ich habe meinem Begleiter das Handy gegeben und gesagt, ‚ruf den Rettungswagen’. Aber dieser wollte zunächst nicht den Notarzt verständigen, weil er sich selbst dafür nicht in der Lage sah“, erklärte der junge Mann. Stattdessen habe dieser teilnahmslos der Attacke zugesehen und sei nicht eingeschritten, um den Angreifer abzuwehren.

Richterin Jana Huber hielt die Aussagen jedoch für wenig glaubhaft. Ihre Zweifel begründete sie mit einem vorliegenden Chatverlauf – mit Nachrichten, die die geladenen Zeugen in der Aprilnacht miteinander austauschten. Unter anderem wird darin über das Treffen gesprochen und der Betroffene direkt nach der Tat dazu aufgefordert, die Schuld auf den Angeklagten abzuwälzen. „Woher wollen Sie denn wissen, dass es sich bei dem Angreifer um den Angeklagten handelt?“, fragte die Richterin.

Im Anschluss folgte die Befragung des 17-Jährigen, der mit dem 22-Jährigen als Beifahrer unterwegs gewesen war. Nachdem er mehrfach von Richterin Huber aufgefordert worden war, vor Gericht bei der Wahrheit zu bleiben, präsentierte er eine völlig andere Version der Ereignisse: „Ich habe Drogen im Wert von 2000 Euro beim Angeklagten bestellt, die ich abholen wollte. Allerdings wollte ich die nicht bezahlen, sondern stehlen. Da ich mich nicht alleine getraut habe, habe ich um Begleitung gebeten.“ Nach dem Übergriff will er mit einer Gaspistole noch mehrfach zur Abschreckung in die Luft geschossen haben. Der Geschädigte gab jedoch an, von einem Drogenhandel oder von der Schreckschusswaffe nichts gewusst oder bemerkt zu haben.

Im Laufe der Verhandlung verstrickten sich die weiteren geladenen Zeugen immer mehr in Widersprüche. Zum Ärger der Richterin: „Sie sind jetzt der vierte Zeuge, der hier auftaucht und glaubt, irgendetwas Hübsches vor Gericht erzählen zu müssen, damit die Geschichte gut klingt.“ Mehrfach machte sie darauf aufmerksam, welche Folgen eine Falschaussage haben kann. Nach der Mittagspause verkündete Oberstaatsanwalt Christopher Rosenbusch dann etwas überraschend die Festnahme des 22-Jährigen wegen Falschaussage vor Gericht.

Daraufhin zeigte sich der eigentliche Angeklagte, der sich zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern wollte, doch zu einer Aussage bereit: „Ich war für eine Behandlung im Krankenhaus und wurde dort von dem 17-Jährigen kontaktiert, ob ich Drogen im Wert von 2000 Euro beschaffen könne. Ich hatte Angst, weil mir auch Bilder von meinem Elternhaus zugeschickt wurden. Also habe ich beschlossen, dem Treffen zuzustimmen. Allerdings hatte ich kein Rauschgift dabei und war auch nicht maskiert.“ Unvermittelt sei der 22-Jährige auf ihn losgegangen und habe auf ihn eingeprügelt. Der 17-jährige Begleiter, der das Treffen arrangiert hatte, habe eine Schreckschusspistole gezogen und mehrfach geschossen. „Da erst habe ich realisiert, wie gefährlich die Situation für mich ist, und zugestochen.“Der Prozess wird an diesem Mittwoch fortgesetzt.

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