Landgericht Coburg Freispruch trotz brutaler Schläge

Mathias Mathes
„Es war ein durchaus wendungsreiches Verfahren“, betonte der Staatsanwalt. Foto: dp/Daniel Reinhardt

Ein 56-Jähriger wird wegen einer Hirnschädigung nicht verurteilt – obwohl auch die Richterin von versuchtem Totschlag ausgeht.

 
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Staatsanwalt Ingo Knecht-Günther ist sich sicher, dass der 56-jährige Beschuldigte sein Opfer mit Tritten gegen den Kopf hätte töten können. Auch Jana Huber, Vorsitzende Richterin in der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Coburg, geht von einem versuchten Tötungsdelikt aus. Dennoch spricht das Schwurgericht den in Coburg lebenden Angeklagten am Mittwochnachmittag frei. „Es war ein durchaus wendungsreiches Verfahren“, betonte der Staatsanwalt. Die wesentliche Wendung des Prozesses bewirkt die Einschätzung eines Sachverständigen. Schon 1984 hatte der Beschuldigte einen schweren Unfall, bei dem er Kopfverletzungen erlitten hatte. Geblieben ist nach den Worten des Sachverständigen eine irreparable Schädigung des Gehirns. Die Folge sei ein Verlust der Impulskontrolle bei dem 56-Jährigen. Er könne sich nicht zügeln, wenn die Wut mit ihm durchgehe.

Affäre als Auslöser

Im vergangenen Jahr hatte die Frau des Beschuldigten eine Affäre mit einem gemeinsamen Freund begonnen. Darauf reagierte der 56-Jährige mit Gewalt. Bei zwei Gelegenheiten ging er den Nebenbuhler an. In einem Fall hatten nach Auffassung des Gerichts Zeugenaussagen klar belegt, dass der Angeschuldigte sein am Boden liegendes Opfer gegen den Kopf getreten hat. Staatsanwalt Knecht-Günther erinnert an eine Zeugenaussage, wonach der 56-Jährige mit einer solchen Intensität zugetreten habe, „dass ein Fußball zehn bis 20 Meter weit fliegen würde“. Erst als mehrere Personen auf die Auseinandersetzung aufmerksam geworden waren, habe der Beschuldigte von dem Geschädigten abgelassen, so der Staatsanwalt. Neben den Zeugen untermauerten Spuren der DNA des Opfers an den Schuhen des 56-Jährigen, dass er zugetreten habe. „Man weiß einfach, dass ein Mensch sterben kann, wenn er mit Schuhen an den Kopf getreten wird“, betont Knecht-Günther. Allerdings räumt er die Kopfverletzung ein, in deren Folge der Angeklagte als schuldunfähig einzustufen sei. Es komme also nur ein Freispruch infrage. Jedoch sei der 56-Jährige „für die Allgemeinheit gefährlich“. Was seinen speziellen Fall betreffe, sei davon auszugehen, dass er dem Geschädigten in einer kleinen Stadt wie Coburg immer wieder über den Weg laufen werde – mit nicht abzusehenden Folgen. Die „paranoiden Ideen“ des Beschuldigten erhöhten das Risiko, dass er wieder gewalttätig werde, erheblich. „Ich sehe keine andere Möglichkeit als die Unterbringung in eine psychiatrische Einrichtung“, lautet das Fazit des Staatsanwalts.

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Wenngleich er nicht genügend Belege für einen versuchten Totschlag sieht, stimmt auch Verteidiger Jan Hofer der Schlussfolgerung des Staatsanwalts zu. Anwalt Albrecht Freiherr von Imhoff, der den Geschädigten vertritt, gibt zu bedenken, dass sein Mandant einen Freispruch kaum verstehen könne. „Mein Mandant ist halb zu Tode getreten worden“, führt er ins Feld.

Nach dreiviertelstündiger Beratung lautet das Urteil der Kammer: Freispruch. Die Unterbringung zur Therapie ordnet das Gericht nicht an. Die Schädigung des Gehirns sei nicht behandelbar, erläutert Richterin Huber. Im Umkehrschluss hieße das, der 56-Jährige würde dauerhaft in einer geschlossenen Einrichtung bleiben, sofern die Kammer diesen Schritt angeordnet hätte.

Nun brachte Jana Huber das Wort Verhältnismäßigkeit ins Spiel. Es sei eben nicht verhältnismäßig, den 56-Jährigen praktisch für sein restliches Leben wegzusperren. Immerhin habe er über 35 Jahre mit der Hirnschädigung gelebt, ohne strafrechtlich auffällig zu werden. Es könne also nicht die Rede davon sein, dass er wahllos und unkontrolliert gewalttätig werde. Die Dreiecksbeziehung sei für den 56-Jährigen eine Ausnahmesituation gewesen, wodurch er die Kontrolle verloren habe. Damit geht die Kammer davon aus, dass der Coburger, dessen Untersuchungshaft mit dem Freispruch endet, für seine Mitmenschen keine unmittelbare Gefahr ist.

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