Versuchter Mord Verteidigung verlangt Tatortbesichtigung

Der Angeklagte hat aufgrund eines Augenleidens Schwierigkeiten mit der Sicht. Foto: Frank Wunderatsch/Frank Wunderatsch

Nach Anhörung aller Zeugen hat die Strafverteidigung zwei Anträge eingereicht. Sie möchte widerlegen, dass der Messerstich mit Heimtücke erfolgte.

 
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Am Dienstag, dem zweiten Verhandlungstag des Prozesses wegen versuchten Mordes vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Coburg, beschäftigte sich das Gericht vor allem mit dem Tatort in Marktzeuln. Zeugenaussagen und Bilder vom Ort des Geschehens sollten Klarheit in den Vorfall von Anfang März bringen, den weder Angeklagter noch Opfer genau beschreiben können. Die Verteidigung beantragte, den Tatort mit dem Gericht zu besichtigen, da für Rechtsanwalt Till Wagler und Michael Linke Zweifel daran bestehen, ob ihr Mandant überhaupt in der Lage gewesen war, seinem sechzehnjährigen Sohn mit „Heimtücke“ ein Messer in den Bauch zu rammen. Das nämlich wirft die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Christopher Rosenbusch, dem Angeklagten vor (wir berichteten). In einem solchen Fall könnte das Urteil „lebenslänglich“ lauten. Im März vergangenen Jahres sei es in Anwesenheit der Mutter in der Küche des gemeinsamen Hauses zu einem Streit gekommen, der mit einem tödlichen Stich zum Bauch des Jungen endete. Nur durch eine Notoperation überlebt er die Verletzung. Der Vater sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Woher kam das Messer?

Vor Gericht konnten weder Vater noch Sohn die Tatnacht ausführlich wiedergeben. Beide waren nachweislich mit mehr als 2,5 Promille schwer betrunken und konnten sich an die Details der Tat nicht erinnern. Auch die Mutter, die zum Zeitpunkt des Stichs zwar zwischen den beiden, aber mit dem Rücken zum Gatten stand, konnte nicht erklären, wo das Küchenmesser mit der 20 Zentimeter langen Klinge plötzlich herkam.

Die noch blutige Tatwaffe fanden die Polizisten nach dem Hinweis des angeblichen Täters bei der Festnahme auf dem Küchentresen wieder. Es könnte aus dem Messerblock hinter dem Tresen gezogen worden sein. Das aber hätte der Sohn in der Auseinandersetzung sehen müssen, mutmaßen die Verteidiger Wagler und Linke. Niemand erinnert sich daran, das Messer in der Hand des Vaters gesehen zu haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass der 53-Jährige stark alkoholisiert war und mit schlechter Sicht durch ein Augenleiden zu kämpfen hat, welches ihn Personen schon auf kurze Distanz angeblich nur noch verschwommen wahrnehmen lässt. Die Stichwunde liegt zudem auf der rechten unteren Seite des Torsos, was auf ein Zustechen mit der linken Hand schließen lässt – der Angeklagte sei aber Rechtshänder. Diese diffuse Situation vor Ort sowie welche Auswirkungen Rausch und Augenleiden auf ihren Mandanten gehabt haben könnten, wollten die Verteidiger mit einem Besuch des Tatortes klären. Außerdem soll ein medizinischer Sachverständiger hinzugezogen werden, der unter Berücksichtigung des Alkoholeinflusses und der Lichtverhältnisse vor Ort die Wahrnehmung des Angeklagten rekonstruieren soll.

Heimtücke oder Panik?

Der 53-Jährige hatte angeführt, wegen eines Vorfalls vor drei Jahren wohl in Todesangst gehandelt zu haben. Damals habe sein Sohn im Alkoholrausch seine Frau und ihn verletzt. Auch zu diesem Vorfall wollten die Verteidiger Akteneinsicht bei der Polizei bekommen, da sie ihn für relevant für das Geschehen hielten. Damit und mit der Tatortbesichtigung waren Richterin Jana Bauer und Staatsanwalt Christopher Rosenbusch einverstanden. Ob ein weiterer Sachverständiger gehört werden soll, ist noch offen. Am 11. Oktober soll es mit einer Tatortbesichtigung weitergehen, die öffentliche Verhandlung wird voraussichtlich am 2. November fortgeführt. Trotz der Umstände hoffen Mutter, Vater und Sohn bald wieder eine Familie sein zu können. Doch mit den Folgen der Tat, seiner Alkoholsucht und einer Depression wird er nach eigener Auffassung noch lange zu kämpfen haben. In einem im Gericht verlesenen Brief aus der Haft an seine Familie schreibt der Angeklagte: „Oft denke ich, ich hätte mich von den Polizisten erschießen lassen sollen.“

Trotzdem hoffe er auf eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung und eine gemeinsame Therapie, wenn er wieder aus dem Gefängnis entlassen werden sollte.

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