Literatur-Workshop in Kronach Kleine Kostbarkeiten in 17 Silben

Heike Schülein
Die angehenden Pflegefachkräfte des Kurses 59 in Kronach schrieben am Donnerstag Haiku, die sie – so wie auf dem Bild Marianne (stehend) – ihren Mitschülern vorlasen. Foto: Heike Schülein/Heike Schülein

An der Berufsfachschule für Krankenpflege fand ein Literatur-Workshop für Kurzgedichte statt. Zeilen voller Wärme sind das Ergebnis.

 
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Kronach - „Sie schauen uns an – inmitten aller Hektik – voller Dankbarkeit“ – Solche und weitere poetischen Kostbarkeiten entstanden in der nachhaltigen Literaturwerkstatt „Mit Literatur über den Berg“ mit Ingo Cesaro. Bei dem bereits seit über 25 Jahren an der Berufsfachschule für Krankenpflege abgehaltenen Projekt animierte der Schriftsteller erneut angehende Pflegefachkräfte zum kreativen Schreiben. Die 13 Schülerinnen und vier Schüler waren aufgerufen, Gedanken zu ihrem Berufsalltag oder im privaten Bereich, Wünsche und Hoffnungen sowie Sorgen und Ängste, in dreizeiligen Gedichten niederzuschreiben.

„Wir waren am Anfang schon überrascht und hatten keine so richtige Vorstellung, was auf uns zukommt. Ich dachte, wir schreiben ,normale’ Gedichte, wie man sie kennt – also mit Reimen und mehreren Strophen“, erzählt Klassensprecher Nicolai. In der noch jungen Ausbildung zum Pflegefachmann bzw. zur Pflegefachfrau – beim Kurs 59 unter Klassenleitung von Olga Seel handelt es sich erst um den zweiten Jahrgang – wurden die früheren Berufsausbildungen der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu einer zusammengeführt. Die praktische Ausbildung erfolgt in der Helios Frankenwaldklinik Kronach und in Einrichtungen der Langzeitpflege, der ambulanten Pflege und Psychiatrie. Der theoretische Unterricht findet in der Berufsfachschule statt, wo am Donnerstag und Freitag auch die Literaturwerkstatt abgehalten wurde.

Hineinfinden

Nicolai empfand den Workshop als sehr spannend, wobei ihn vor allem Cesaros Ausführungen sehr beeindruckten. Das Schreiben der Haiku fiel ihm nicht schwer. „Am Anfang muss man erst einmal in die Gedichtform hineinfinden. Dann aber geht es immer besser“, schloss sich ihm seine Mitschülerin Marianne an: Aussagen, die der bekannte Haiku-Publizist oft hört.

Der Workshop gliedert sich in zwei Teile. Am Donnerstag erfolgte das methodische Vorgehen nach einer theoretischen Einführung mit Wortkarten. Die Aufgabe besteht darin, aus diesen – nach dem vorgegebenen Silbenrhythmus und unter Aufbau eines Spannungsbogens – einen Haiku zusammenzustellen. Als zweiter Schritt folgte die Ergänzung zweier vorgegebener Zeilen mit fünf eigenen persönlichen Silben. Diese Kurzgedichte sind die einzige lyrische Form, die einen aktiven Leser oder Zuhörer verlangt.

Die Themen ihrer Haiku – beispielsweise Freunde und Angehörige, Haustiere, oder ganz Alltägliches wie das Wetter – waren für die jungen Leute frei wählbar. Jedoch sollte sich zumindest ein Gedicht pro Azubi mit ihrem Berufsalltag auseinandersetzen, was sie bedrückt oder besonders erfüllt; sei doch genau dies die Zielsetzung der kreativen Schreibarbeit.

Ventil für den Alltag

„Der Kurs entstand, um den jungen Leuten über die Sprache ein Ventil für ihren oftmals harten Alltag zu geben – eine Art Therapie, um Probleme nicht in sich hineinzufressen, sondern sprachlich zu bewältigen“, verdeutlicht der Kulturvermittler. Locker und gelassen sollten sie dabei, ohne Zeit- und Notendruck, ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Leider finde heute an vielen Schulen kaum noch Spracharbeit statt. Umso höher sei es zu bewerten, dass es das Projekt nun schon seit Jahrzehnten an der Berufsfachschule gebe. „Das ist sicherlich einmalig“, zeigte sich Cesaro ebenso stolz wie erstaunt über die hochwertigen Ergebnisse.

Für die angehenden Pflegefachkräfte stellten die beiden Tage eine gelungene Abwechslung vom Schulalltag mit reichlich Unterrichtsstoff dar. Wie sie bekundeten, üben sie ihren Beruf voller Freude aus. „Es geht mir darum, Menschen zu helfen. Es ist ein superschönes Gefühl, wenn mich eine ältere Dame anschaut und sagt, wie schön es ist, dass ich da bin. Das ist für mich ein echtes Glücksgefühl“, verinnerlicht Marianne. Wenn man diese Dankbarkeit spüre, dann sei in diesem Moment alles andere vergessen. Auch ihre Mitschüler bestätigten, dass es sich um einen sehr schönen und erfüllenden Beruf handele, bei dem man sehr viel zurückbekomme, was sich dann auch in den bewegenden Haiku widerspiegelte.

Nach der Kopfarbeit am Donnerstag, ging es am Freitag mehr in Richtung Handarbeit. Die Haiku wurden mit dem Computer erfasst, als Plakatgedichte gestaltet, auf DIN A4 ausgedruckt und mit dem Kopierer auf A3 vergrößert sowie auf Papier kopiert. In dieser Form sollen die Gedichte in der Landratsamt-Galerie sowie als „Weg der Poesie“ im Eingangsbereich der Helios-Frankenwaldklinik ebenso ausgestellt werden wie auch als Wandgestaltung in der Berufsfachschule; ist doch Cesaro ein Nach-Außen-Tragen der Ergebnisse sehr wichtig. Daher sollen die Haiku, verkleinert und einlaminiert, auch wieder einen „Poesiebaum“ vor der Klinik schmücken.

Sonderform Senryu

Bei den Zeilen voller Anteilnahme und Wärme handelt sich um Senryu – eine Art deutsche Form des traditionellen japanischen Kurzgedichts Haiku. Mit seinen insgesamt 17 Silben – erste Zeile fünf Silben, zweite Zeile sieben Silben und dritte Zeile fünf Silben – gilt es als kürzeste Gedichtform der Welt. Es gibt keinen Endreim; auf Wortwiederholungen von Substantiven wird ebenso verzichtet wie auf Fremdworte.

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