Marktredwitz - Jetzt im Hochsommer ist es noch ruhig bei den Krippenbauern in Marktredwitz. Aber schon im September geht es wieder los. „Da kribbelt's in den Fingern“, sagt Albin Artmann, 72 Jahre alt und seit 45 Jahren „Kripperer“. Er sammle dann schon mal Moos für die Landschaft seiner Weihnachtskrippe. Die soll pünktlich zu den Feiertagen gut in Schuss sein. Schließlich stehen dann die Keller und Garagen der Marktredwitzer „Kripperer“ offen für alle, die sich für die riesigen Bauten interessieren – und die Lust auf sozialen Austausch in der Weihnachtszeit haben. Diese Tradition wird so nur in dem oberfränkischen 17 000-Einwohner-Ort in der Nähe der Grenze zu Tschechien gepflegt. Seit diesem Jahr ist die Krippenkultur im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes.
 
Zwischen zweitem Weihnachtsfeiertag und Dreikönigstag kann man einfach bei den Familien, die sich am „Krippenweg“ beteiligen, vorbeikommen und klingeln. „Es freut mich, dass Leute kommen, die Krippe anschauen und sagen: Das hast wieder super gemacht“, sagt Artmann. „Und man kann sich mit den Leuten unterhalten. Geschichten haben wir immer viele zu erzählen.“ Gut 20 Familien gehören zum Kern des Krippenwegs, mitmachen und seine Krippen zeigen kann grundsätzlich aber jeder. Der Krippenweg solle lebendig, nicht museal sein, sagt Edith Kalbskopf, Archivarin bei der Stadt Marktredwitz. „Jede Kultur lebt ja nur dann weiter, wenn sie auch offen ist.“
 
Am Anfang dieses Brauchtums stand ein Strukturwandel: Die Töpfer – bairisch auch „Hafner“ genannt – bekamen Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend Konkurrenz durch industriell hergestelltes Porzellan. Der Betrieb der Familie Meyer, die „Dammhafner“ genannt, machte aus der Not eine Tugend und stellte zum Teil auf die Produktion von Tonfiguren um. Wann genau es dann so richtig losging, weiß man heute nicht mehr. Feststeht – das weiß man aus alten Zeitungsausschnitten –, dass die „Rawatzer“ um die Jahrhundertwende schon rege dabei sind, die noch heute aktuelle Tradition zu pflegen und sich gegenseitig zum Krippenschauen zu besuchen.
 
Nicht nur das soziale „Drumherum“, auch die Krippen selbst sind außergewöhnlich. Marktredwitzer Exemplare sind riesige Landschaften, die ganze Keller und Garagen füllen. Die Stallszene mit der Geburt Jesu kommt zwar immer vor, steht aber nicht im Mittelpunkt, wie Archivarin Kalbskopf erklärt. Interessant sei, dass nie die Gegend um Marktredwitz abgebildet werde. Die Szenerie ist vielmehr in den Alpenraum verlegt. Das rührt noch aus der Entstehungszeit im 19. Jahrhundert, die mit einer großen Alpensehnsucht zusammenfällt. So findet sich in vielen Krippen auch heute noch eine Figur des Prinzregenten Luitpold von Bayern.
 
Ein bisschen Lokalkolorit gibt es aber doch: In vielen Landschaften stehen Marktredwitzer Gebäude wie Kirche und Rathaus oder Figuren von Lokalprominenten. Besonders ist, dass diese Figuren oft aus Ton sind, nicht aus Porzellan oder geschnitzt. Häufig sind es noch Abgüsse der alten Entwürfe der „Dammhafner“ aus dem 19. Jahrhundert.
 
„Jeder hat seinen eigenen Stil, die Krippe aufzubauen“, erzählt Artmann. Er halte seine zum Beispiel recht flach, „damit die Kinder besser reinschauen können“. Auf jeden Fall gehört es sich, dass die Krippen jedes Jahr neu aufgebaut werden und sich von der vorherigen Version unterscheiden. Einen Plan legt sich Artmann dafür nicht zurecht, sondern entscheidet spontan, ob er diesmal einen Fluss oder See, eine Pferdekoppel oder ein Wirtshaus einbaut. „Das ergibt sich“, sagt er.
 
Kripperer überlegen sich kleine „Theaterstücke“ - mundartlich „Stickla“ –, die sie in Landschaft und Figuren ausdrücken, wie Archivarin Kalbskopf erklärt. Zum festen Repertoire gehört etwa der Wilderer, der von einem Jäger erwischt wird, aber auch komische Szenen wie der Betrunkene im Schubkarren oder der Jäger, der vom Fuchs in den Hintern gebissen wird.
 
Von der Tradition profitiert die Stadt auch touristisch. Es gibt speziell auf den Krippenweg zugeschnittene Angebote. Den Werbeaspekt des immateriellen Kulturerbes habe man aber noch nicht spüren können, sagt Kalbskopf. In das bayerische Verzeichnis war man ausgerechnet während des ersten Corona-Lockdowns 2020 aufgenommen worden, die Aufnahme in die bundesweite Liste folgte 2021.
Neben der Außenwirkung hat der neue Status aber noch einen weiteren Vorteil, wie Volker Dittmar, Leiter des Egerland-Museums Marktredwitz, erklärt. Auch die Bevölkerung wisse nun um die Bedeutung der Krippenkultur und nehme sie als wertvoller wahr. Die Verleihung komme zu einem richtigen Moment, um jüngeren Generationen zu zeigen: „Mensch, schau her: Wir sind jetzt plötzlich im Interesse der Öffentlichkeit. Schauen wir, dass wir weitermachen.“
 
Direkt vom Aussterben bedroht sind die „Kripperer“ zwar nicht, Nachwuchssorgen sind aber doch ein Thema. Im Egerland-Museum soll zum Beispiel eine 3D-Krippe, durch die man mittels VR-Brille „gehen“ kann, die Jungen auf den Geschmack bringen. Artmann arbeitet mit Schulen zusammen und gibt dort Krippenbau-Kurse. Er sagt: „Ich hoffe drauf, dass die das mal weitermachen.“