Nachruf Die Bücherfee mit dem großen Herz

Mit Herzlichkeit und Charme, Temperament und Fantasie hat Irmgard Clausen ihre Liebe zur Literatur weitergegeben. Foto:  

Irmgard Clausen konnte Menschen begeistern und Leselust wecken. Mit 67 Jahren ist die Buchhändlerin aus Leidenschaft in Coburg gestorben.

 
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Coburg - Der Aushilfsbibliothekar in der Küpser Gemeindebücherei staunte nicht schlecht: Die komplette Kinderbuchabteilung hatte seine jüngste Kundin schon verschlungen – aber „satt“ war sie noch lange nicht. Die jugendliche Begeisterungsfähigkeit, ihr Interesse an Menschen und Geschichten und den Leseappetit hat sich Irmgard Clausen ein Leben lang bewahrt – und sie hat es verstanden, mit Herzlichkeit und Charme, Temperament und Fantasie ihre Liebe zur Literatur weiterzugeben und Leselust zu wecken.

Dass es im vergangenen Jahr still wurde um die beliebte Coburger Buchhändlerin, lag nicht nur am Lockdown: Eine schwere Krankheit zwang sie kürzer zu treten – und ließ sich letztlich auch mit aller Lebensfreude und Schaffenskraft nicht überwinden: Am 9. Februar ist Irmgard Clausen im Alter von 67 Jahren im Coburger Klinikum gestorben.

Weit über Coburg hinaus löste die Nachricht Trauer und Bestürzung aus, denn die leidenschaftliche Buchhändlerin hat sich deutschlandweit für ihre Branche und vor allem für die Leseförderung engagiert. In seinen Nachruf würdigt Stefan Hauck im Online-„Börsenblatt“ des deutschen Buchhandels die „kämpferische Sortimenterin“, die seit 1994 in vielen Gremien aktiv war, seit 2007 als Sprecherin der AG/IG Leseförderung fungierte und 2018 mit der Goldenen Nadel des Börsenvereins ausgezeichnet wurde. „Irmgard konnte sich empören, besorgt sein und mit strahlenden Augen freuen, fast immer gelang es ihr dabei, ihr Umfeld anzustecken. Ihre Spezialität: mit Ausdauer dicke Bretter bohren“, so Hauck.

Das bewies die gebürtige Kronacherin in Coburg vor allem als Chefin der Traditionsbuchhandlung Riemann am Markt, deren Unabhängigkeit sie 30 Jahre lang erfolgreich verteidigte. Schon 1972 hatte sie nach ihrer Lehre in Kulmbach ein Jahr lang hier gearbeitet, bevor sie in den hohen Norden zog – der Liebe wegen. Im schleswig-holsteinischen Nortorf investierte sie ihre Aussteuer – zum Entsetzen der Familie – in eine kleine Buchhandlung. „Dort habe ich elf Jahre lang alles geübt, was ich in Coburg zur ,Meisterprüfung‘ brauchte“, erzählt sie später.

Ein Schicksalsschlag beendet diese glückliche Zeit: 1984 kam ihr Mann Claus Clausen bei einem Unfall ums Leben, und sie entschloss sich zur Rückkehr in heimatliche Gefilde. Am liebsten nach Coburg mit seinem Flair, seinem Theater, seiner Kultur: „Groß genug, um etwas vom Leben zu haben, klein genug, um nicht verloren zu gehen“, fand sie.

Dank ihrer Erfahrung und ihrer Haltung war sie genau die Nachfolgerin, die Joachim und Erika Riemann suchten: 1987 übernahm Irmgard Clausen die Hofbuchhandlung zur Pacht, 2007 schließlich als Eigentümerin. Sie verdoppelte die Verkaufsfläche und entwickelte Riemann zu einem Treffpunkt für Kulturfans: Lesungen prominenter und regionaler Autorinnen, Schmökernächte, Themenabende, kulinarisch-literarische Sinnenfreuden und nicht zuletzt das literarische Caféchen mit Marktblick droben im 1. Stock füllten den Slogan „Mehr als eine Buchhandlung“ mit Leben. Nicht nur ihr eigenes Geschäft lag ihr am Herzen: Im Vorstand der Aktionsgemeinschaft Zentrum Coburg machte sie sich für die Stärkung der Innenstadt stark.

„Solche Läden sind absolut notwendig, sie sind ein Stück geistige Heimat!“ betonte die agile Unternehmerin beim 200. Jubiläum der Riemann’schen 2006 und stellt klar, dass sie das eigenständige Geschäft nicht in Ketten zu legen gedachte: „Ich möchte, dass es Riemann noch 100 Jahre packt, Minimum!“

In Martina Riegert und Martin Vögele fand sie ein ambitioniertes Buchhändlerpaar, das diese Vision teilt und den „Leuchtturm im Kultur- und Geschäftsleben der Stadt“ 2015 übernahm. Die Nachfolgerin war Irmgard Clausen gut bekannt: Martina Riegert war 1987 ihre erste Auszubildende gewesen und hatte nicht nur in Coburg viel von der Chefin gelernt. „Wenn ich mit ihr auf der Buchmesse war, dachte ich: die kennt da alle!“ erinnert sich Riegert an die vitale und kommunikative Irmgard Clausen, die „ihrer“ Buchhandlung auch nach der Übergabe verbunden blieb.

Im „Ruhestand“ widmete sie sich weiter ihrer Herzensangelegenheit Leseförderung. Mit viel Pioniergeist hatte sie schon seit vielen Jahren Kinder und Jugendliche für das gute alte Buch begeistert: Riemann schickte „Lesekoffer“ auf die Reise durch die Schulen, prall gefüllt mit neuen Büchern. Und schon die Allerjüngsten durften sich im Bücherparadies am Markt tummeln. Daran knüpfte Clausen 2015 mit ihrer „Agentur für Lesevergnügen“ an, mit der sie ihre Erfahrungen als Coach und Beraterin an kleine und mittlere Buchhandlungen weitergab.

Auch um das erwachsene Publikum kümmerte sie sich: Seit 2004 gehörte sie zu den Organisatoren der Literaturtage „Coburg liest!“: „Sie war eine treibende Kraft im Orga-Team und hat mit ihrer Empathie und Energie alle mitgerissen“, erinnert sich Alois Schnitzer vom Coburger Literaturkreis.

Mit Hingabe widmete sich Irmgard Clausen einem weiteren Herzensprojekt: dem Coburger Hospizverein, dem sie seit sechs Jahren vorstand. „Sie hat den Verein sehr geprägt und mit ganzem Herzen geleitet“, sagt die Koordinatorin Barbara Brüning-Wolter. „Irmgard Clausen war unvergleichlich mit ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit“, schreiben Karin Rosemann und Mathis Neumann im Nachruf auf der Vereins-Homepage. Und sie betonen: „Irmgard Clausen war mit ihrem empathischen und emotionalen Wesen ein ganz besonderer Mensch. Der Hospizverein und seine Aufgaben waren ihr eine Herzensangelegenheit und genau so hat sie unseren Verein geführt, mit Herz.“

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