In den letzten Jahren seiner Papstzeit musste Benedikt auch einen bedrückenden Wahrnehmungswechsel vollziehen. Aus dem Innersten der Kirche kommend, hatte er aus dieser Perspektive in die Welt hinausgepredigt – während diese Welt zusehends merkte, wie marode gerade Vatikan und Kurie in sich selber waren: Die peinliche, wenn auch am Ende lachhafte Spionage-Affäre Vatileaks, die wiederholten Skandale ums Geld, die Pädophilie, und darin vor allem der groteske Auftritt von Chefkardinal Angelo Sodano. Der tat bei der Ostermesse 2010 – abseits von Liturgie und Protokoll – alle einschlägigen Vorwürfe als „Klatsch und Tratsch der Welt“ ab, von welchem sich die Kirche, deren Herr „die Welt überwunden“ habe, „nicht beeindrucken“ lasse.
Übergriffige Priester in den USA hart verurteilt
Benedikt war da schon weiter: Bereits zwei Jahre zuvor, beim Besuch in den USA, hatte er sich mit Missbrauchsopfern getroffen und übergriffige Priester hart verurteilt. Sodanos Gesäusel hingegen kam einer Aufklärungsverweigerung gleich; der Papst konnte es nur als Dolchstoß empfinden.
Doch dann holte Benedikt die Vergangenheit ein: Ein Gutachten von 2021 kam zu dem Schluss, dass er in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising in vier Fällen von sexuellem Missbrauch eines Priesters an Kindern und Jugendlichen Fehler gemacht habe. Per Brief entschuldigte sich Benedikt später.
Seine Gegner warfen ihm vor, er habe es nicht geschafft, die Vertuschung der Missbrauchsskandale durch die Kirche zu beenden. Benedikt konnte und wollte sich nie gegenüber der Kurie durchsetzen. Autorität lag ihm nicht. Wobei sich Benedikt bis zu einem gewissen Grad auch gerne schmeicheln – und offen ließ, was er wirklich wollte.
Als er 2014 gefragt wurde, warum er nach dem Rücktritt bei der Anrede Heiliger Vater geblieben sei, antwortete Ratzinger, eigentlich habe er nur Padre Benedetto genannt werden wollen. Er sei aber „zu schwach und müde gewesen, das durchzusetzen“.
Mit dem Tod Joseph Ratzingers endet eine Ära
Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., emeritierter Papst, Padre Benedetto, ist nun also im Alter von 95 Jahren gestorben. Mit ihm, der seit Anfang der 60er Jahre die katholische Theologie prägte, der so viele und so grundsätzliche Bücher geschrieben hat, dass kein Priesteramtsstudent der Welt an ihm vorbeikommt, endet eine Ära. Besser: Eine neue hat begonnen. Mit Jorge Mario Bergoglio als Papst Franziskus, mit der Rückbesinnung auf den Geist der Zeit, in der Ratzinger selber angefangen hat. Da ist von der Katholischen Kirche ein Deckel geflogen, den Benedikt XVI. nicht einmal probehalber hatte heben wollen.