Erste Reaktionen von Palästinensern im Gazastreifen fielen unterschiedlich aus. "Das bedeutet den Tod des politischen Prozesses und der Friedensgespräche", sagte ein Einwohner von Beit Hanun im Norden des Gazastreifens. "Ich weiß nicht, wie die Hamas es gewagt hat, dem größten Extremisten in der Bewegung zu wählen." Ein Palästinenser im südlichen Chan Junis sah Sinwars Aufstieg dagegen als "logisches Ergebnis" an, nachdem Israel alle Vorschläge für eine Verhandlungslösung abgelehnt habe.
Aus dem Gefängnis ins Politbüro
Sinwar saß mehr als zwei Jahrzehnte lang in israelischer Haft und lernte in der Zeit fließend Hebräisch. Er kam 2011 im Rahmen eines Austauschs gegen die Freilassung eines israelischen Soldaten frei und war bereits im April 2012 Mitglied des politischen Büros der Hamas im Gazastreifen, wo er 2017 bei internen Wahlen an die Spitze rückte. Seit diesem Zeitpunkt erstarkte auch der militante Hamas-Flügel beträchtlich.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beantragte im Mai Haftbefehl gegen Sinwar, Hanija und Sinwars Stellvertreter Mohammed Deif. Er warf den Hamas-Führern unter anderem "Ausrottung" sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Sinwar gehört zur Gründergeneration der Hamas. Er wurde 1962 im Flüchtlingslager von Chan Junis im Süden des Gazastreifens geboren. Seine Familie stammt aus der Gegend der Küstenstadt Aschkelon, heute auf israelischem Staatsgebiet.
Sinwars früherer Stellvertreter Deif, der Kommandeur der Al-Kassam-Brigaden und damit des militärischen Flügels der Hamas, war im Juli Ziel eines israelischen Raketenangriffs geworden. Israel hatte ihn in der vergangenen Woche für tot erklärt. Hanija wiederum war vergangene Woche bei einem Attentat in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet worden.
Der Schlächter von Chan Junis
Als sich die Hamas während des ersten Palästinenseraufstands, der Intifada, Ende der 1980er Jahre im Kampf gegen die israelische Besatzung formierte, war Sinwar auch am Aufbau des militärischen Hamas-Arms, der Kassam-Brigaden, beteiligt. In den Anfangsjahren der islamistischen Bewegung war Sinwar für den Kampf gegen mutmaßliche Kollaborateure mit Israel in den eigenen Reihen zuständig. Dabei ging er so brutal vor, dass er als "Schlächter von Chan Junis" bekannt wurde.
Befürchteter Gegenangriff
Aktuell ist das israelische Militär in höchster Alarmbereitschaft. Das Land erwartet einen Vergeltungsschlag des Irans und seiner Verbündeten in der Region, darunter auch die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon. Teheran hatte nach dem Anschlag auf Hanija eine "harte Bestrafung" Israels angekündigt.
Israel kann mit der Unterstützung der USA und anderer Verbündeter rechnen, wenn es darum geht, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen des Irans sowie seiner Stellvertretergruppen mit modernen Abwehrsystemen abzufangen.
Bei dem Terrorangriff der Hamas und anderer extremistischer Gruppen im Süden Israels am 7. Oktober 2023 wurden rund 1200 Menschen getötet und 250 weitere in den Gazastreifen entführt. Seither führt Israel im Gazastreifen Krieg gegen die Hamas. Den Kämpfen sind aber auch unzählige palästinensische Zivilisten zum Opfer gefallen. Israel steht deshalb weltweit in der Kritik.