Andere Teilnehmer berichten davon, ihre gesamten Finanzen an die Partnerin abgegeben zu haben, um nicht wieder rückfällig zu werden. Ein 53-Jähriger erzählt, dass er seit seiner Jugend abhängig sei und rund eine Million Euro verzockt habe - zuerst nur an Automaten, dann Casino, Poker, Online-Casino, zuletzt allein Sportwetten.
Für die meisten ist Glücksspiel kein Problem
„Durch die Digitalisierung des Glücksspiels besteht die Möglichkeit zu spielen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“, sagt Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht. „Das ist so, also ob Sie in jeder Wohnung neben dem Wasserhahn einen Whiskyhahn einbauen.“ Sie plädiert für einen besseren Verbraucherschutz, etwa was Kreditkarten-Zahlungen angeht.
Für die meisten Menschen ist gelegentliches Glücksspiel kein Problem. Bei gewissen psychischen Konstitutionen bestehe ein erhöhtes Risiko, eine Abhängigkeit zu entwickeln, sagt Alexander Glahn, Leiter der Abhängigenambulanz in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). So sind Fachleuten zufolge besonders Personen mit geringem Selbstwertgefühl und gesteigerter Impulsivität gefährdet. Erste Gewinnerfahrungen aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn.
Unter den glücksspielabhängigen Patienten in der MHH haben mehr als 70 Prozent eine weitere psychische Erkrankung wie Depressionen, Alkoholsucht oder Angststörungen. „Diese Störungen können sowohl vorab bestehen als auch durch das pathologische Spielverhalten entstehen“, erklärt der Oberarzt.
Experten gehen von steigender Suchtzahl aus
Etwa die Hälfte der Patienten in der Glücksspiel-Ambulanz ist abhängig vom Automatenspiel. Während der coronabedingten Schließung der Spielhallen hätten mehr als zwei Drittel von ihnen online weitergezockt, berichtet Glahn. 20 Prozent der Patienten hatten Spielbanken besucht, 10 Prozent waren süchtig nach Sportwetten. Der Psychotherapeut geht davon aus, dass die Zahl abhängiger Spieler mit Bezug zu Online-Casinos und Sportwetten steigen wird.
Bisher mussten sich exzessive Spieler, die den Absprung schaffen wollten, bei jedem einzelnen Anbieter sperren lassen. Das wird sich nun ändern. „Die übergreifende Sperrdatei ist ein Meilenstein in der Prävention“, sagt Betroffenen-Vertreterin Füchtenschnieder. Wermutstropfen seien die sehr kurze Dauer der Sperre von einem Jahr und dass die Datei nicht sofort am 1. Juli greifen werde. Wenn sich ein Spieler beim zentralen System OASIS anmeldet, ist er automatisch für Spielhallen, Spielbanken, Online-Casinos sowie Sportwetten gesperrt.
OASIS ist zunächst noch in Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt angesiedelt. Bisher hatten sich die Länder die Aufgaben bei der Aufsicht aufgeteilt. Zukünftig soll eine zentrale Glücksspielbehörde in Halle in Sachsen-Anhalt darüber wachen, dass die Anbieter die Regeln einhalten und Spieler geschützt werden. Sie sucht derzeit Personal und wird erst am 1. Januar 2023 voll funktionstüchtig sein.
Auswirkungen werden sich erst in Jahren zeigen
Der 2017 gegründete Deutsche Online Casinoverband (DOCV), in dem in der EU lizenzierte Unternehmen organisiert sind, begrüßt den neuen Staatsvertrag, hat aber auch Kritikpunkte. So gebe es kein bundesweites Erlaubnismodell für Roulette oder Black Jack, sondern nur wieder einen Flickenteppich von Länderregelungen.
Zudem kritisiert die Branche, die geplante Besteuerung der Spieleinsätze bei virtuellen Automatenspielen und Online-Poker in Höhe von 5,3 Prozent. Spieler würden dann wieder in den illegalen Schwarzmarkt von Anbietern aus dem außereuropäischen Ausland flüchten, die weder Maßnahmen für den Jugend- und Spielerschutz ergriffen noch Steuern zahlten. Die Unternehmen können sich ab Juli um Lizenzen für legales Online-Glücksspiel bewerben.
Die Auswirkungen des neuen Glücksspiel-Staatsvertrages auf das Spielverhalten werden sich erst in einigen Jahren zeigen. Der Bremer Forscher Tobias Hayer bedauert, dass der Sonderweg in Schleswig-Holstein nicht wissenschaftlich begleitet wurde. Dies hätte Erkenntnisse bringen können, was jetzt in ganz Deutschland bevorsteht.