Opern-Premiere am Landestheater Präpotenz und Hilflosigkeit

Christine Wagner

Intendant Bernhard F. Loges inszeniert am Landestheater die selten gespielte Oper „Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow. Wirklich „ein Stück zur Stunde“?.

 
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Nicht der klassische Opern-Kanon scheint ihn zu interessieren, er hat vielmehr Herz und Gespür für Außenseiter: in seiner zweiten Inszenierung (nach Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“) brachte der Coburger Intendant Bernhard F. Loges nun am Sonntag im Landestheater Nikolai Rimski-Korsakows „Goldenen Hahn“ auf die Bühne des Landestheaters.

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Eigentlich wollte der russische Komponist, der von 1844 bis 1908 lebte, keine Oper mehr schreiben (er hatte bereits 14 Bühnenwerke verfasst), doch die tragisch gescheiterte Revolution des Jahres 1905 mit über 100 toten Aufständischen ließ ihn erneut zu Feder und Notenblatt greifen, um mit dem zaristischen System abzurechnen. Die Zensur war streng und so fußt das Libretto von Wladimir Belski auf einem Märchen von Alexander Puschkin. Doch „Der goldene Hahn“ ist alles andere als eine unpolitische, heitere Märchenoper. Vielmehr geht es um Dummheit und Arroganz, um Liederlichkeit und Lüsternheit, um Präpotenz der Mächtigen und um Hilflosigkeit der Untertanen.

All dies packt Rimski-Korsakow an der Schwelle zwischen Tradition und Moderne in eine Partitur, die russische und orientalische Folklore ebenso vereint wie lyrische Arien und spröde Klangfiguren. GMD Daniel Carter führt das Philharmonische Orchester souverän durch dieses Meer von Klangfarben: Der schwebende Streicherteppich, die weichen Holzbläser, das schneidend klare Blech, die dezent rhythmisierende Schlagwerkbatterie tragen das Bühnengeschehen, umschmeicheln, betonen und kontrastieren es zugleich.

In seiner Inszenierung setzt Bernhard F. Loges zusammen mit Ausstatterin Ana Tasic zunächst auf knallige Groteske (köstlich das goldene Bällchenbad!), bunte Burleske, auf das märchenhaft Exotische, um dann im dritten Akt in pessimistischem Nebelgrau zu enden: „Wer wird neues Glück uns geben? Kann man ohne König leben?“, fragt sich das ratlose Volk. Für die Coburger Produktion entschied sich Bernhard F. Loges für die deutsche Textversion von Heinrich Möller, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstand und neben durchaus poetischen Stellen auch so manches Mal dem „Reim Dich oder ich fress Dich“-Prinzip gehorcht.

Bereits die dritte anspruchsvolle Hauptrolle in dieser Spielzeit ist Zar Dodon für Michael Lion. Nach Mephistopheles (in „Fausts Verdammnis“) und Wotan („Die Walküre“) überzeugt der Bassist einmal mehr nicht nur durch seine stets präsente, klar artikulierende Stimmführung, sondern auch durch sein schauspielerisches Talent: Er gibt seine Figur durchaus der Lächerlichkeit preis, schenkt ihr aber am Ende doch noch ein Fünkchen Würde.

Die personifizierte Verführung ist die Königin von Schemacha, die von Herdis Anna Jónasdóttir gesungen wird: Den zweiten Akt bestreitet sie nahezu allein – nicht immer ganz mühelos. Die fast schmerzhaft hohe Tenorpartie des Astrologen ist bei Dirk Mestmacher auch darstellerisch bestens aufgehoben. Kora Pavelic als Zaren-Amme Amelfa taucht ihre Wiegenlieder in satten Wohlklang. Eindringlich gelingt Francesca Paratore der titelgebende Hahn. Das Ensemble komplettieren Jaeil Kim und Daniel Carson als missratene Söhne, Bartosz Araszkiewicz als plumper General Polkan sowie Marino Polanco und Martin Trepl als Bojaren.

In der Einstudierung von Mikko Sidoroff kann der Coburger Chor einmal mehr nicht nur stimmlich sondern auch szenisch voll überzeugen. Mark McClains Choreografie lässt sechs geheimnisvolle Fabelwesen über die Bühne rollen und kriechen.

Am Ende der zweieinhalbstündigen Opernpremiere applaudiert das Publikum im nicht ganz ausverkauften Haus begeistert und herzlich. Mit dem „Goldenen Hahn“ hat das Landestheater einmal mehr seinen Spielplan um ein eher selten aufgeführtes Stück bereichert und kann erneut seine großartige Leistungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellen. Ob die Bezeichnung „Stück der Stunde“ (Stichwort: Russland, Krieg, Despot, Machtmissbrauch), die im Programmheft Erwähnung findet, dieser Oper nicht doch zu viel Bedeutung zumisst, wird jeder Zuschauer und jede Besucherin für sich selbst entscheiden.