Organspende Dittmar fordert Gesetzreform

Die parlamentarische Staatssekretärin beim Gesundheitsminister, Sabine Dittmar, ist überzeugte Organspenderin. Foto: Büro Sabine Dittmar/Michael Frank

Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Zeit für ein erneutes Umdenken bei der Gesetzeslage, findet die Maßbacher Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar: Sie fordert einen „neuen Anlauf für die Widerspruchslösung“.

 
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Rund 8500 Menschen in Deutschland warten derzeit auf ein Spenderorgan. Die meisten davon vergeblich – nur 869 Organspenden hat es im vergangenen Jahr gegeben. Damit verzeichnet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) für 2022 gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 6,9 Prozent, wie aus der am Montag veröffentlichten Statistik hervorgeht. Im Jahr 2021 hatte man 933 Organspenden gezählt, 2020 waren es 913.

„Die Zahlen sind erschreckend“, sagt Sabine Dittmar, parlamentarische Staatssekretärin beim Gesundheitsminister und SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Bad Kissingen. Die Maßbacherin, selbst ausgebildete Ärztin, fordert in einer Pressemitteilung des bayerischen SPD-Landesverbandes ein erneutes Umdenken in Sachen Organspende. „Wir brauchen einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung“, so Dittmar. Dafür plädiert aktuell auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD); auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) begrüßt den Vorstoß.

Bei einer Widerspruchslösung würde jeder automatisch als Organspender gelten, wenn er seine Ablehnung nicht explizit formuliert und hinterlegt hat. Sie wird in Frankreich, Irland, Italien, Österreich oder Spanien und in zwölf weiteren europäischen Ländern angewendet. In Deutschland dagegen gilt die sogenannte Entscheidungslösung: Organe und Gewebe dürfen nur dann nach dem Tod entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt kein Nachweis über die Entscheidung vor, werden die Angehörigen gefragt. Um die Entscheidungsfindung zu unterstützen, erhält derzeit jeder bei einer deutschen Krankenversicherung Versicherte ab dem vollendeten 16. Lebensjahr alle zwei Jahre Informationsmaterialien samt Organspendeausweis-Vordruck zugeschickt.

2020 gescheitert

Über die Widerspruchslösung war in der Vergangenheit bereits im Bundestag debattiert worden. Den Gruppenantrag hatte Sabine Dittmar damals maßgeblich mitgetragen und initiiert; im Januar 2020 war er dann allerdings im Plenum gescheitert. Lauterbach und der damalige Minister Jens Spahn (CDU) hatten sich ebenfalls für die Reform eingesetzt. Stattdessen beschloss der Bundestag ein moderateres Gesetz, wonach Organspenden weiter nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt bleiben. Allerdings sollte mehr Aufklärung bewirken, dass sich mehr Bürgerinnen und Bürger für eine Organspende nach dem Tod entscheiden. Ein Register, in dem man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern kann, sollte es zwar ebenfalls geben, konnte bisher aber nicht umgesetzt werden.

„Alle anderen Regelungen und Ideen haben leider nicht zum gewünschten Erfolg und zu einer Erhöhung der Spenderzahlen geführt“, drängt Sabine Dittmar nun erneut auf die Widerspruchslösung. Umfragen würden schließlich regelmäßig zeigen, dass in Deutschland immerhin acht von zehn Menschen bereit wären, nach dem Tod ihre Organe zu spenden, um damit Leben zu retten. „Es gibt eine hohe Akzeptanz und Bereitschaft“, so die Gesundheitspolitikerin: „Aber leider dokumentieren noch immer viel zu viele ihren Willen nicht.“

8500 Menschen warten auf eine Spende

Zwar waren 2020 zumindest die regelmäßige Aufklärung und Erinnerung beschlossen worden, doch offenbar ohne den erhofften Effekt. Nachdem die Zahlen erst stagnierten, gingen sie nun sogar noch um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. 869 Menschen, die nach ihrem Tod Organe spendeten, bedeuten anders gesagt: Auf eine Million Einwohner kommen gerade einmal zehn Spender. Eine auch im europäischen Vergleich viel zu niedrige Zahl, wie Sabine Dittmar bedauert. Auch die Zahl der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, ist weiter gesunken und ging um 8,4 Prozent auf etwa 2660 zurück. „Tagtäglich sterben Menschen, weil es für sie kein passendes Spenderorgan gibt“, sagt Sabine Dittmar. Aktuell warten in Deutschland gut 8500 Kranke auf lebensrettende Organe – oftmals schon seit Jahren.

Flaute in den Pandemie-Jahren

Das weiß auch Hannelore Seitz von der Interessengemeinschaft (IG) Niere Schweinfurt/Haßberge e. V. Die Bergrheinfelderin ist seit 2002 Vorsitzende der IG und will in dieser Funktion vor allem Aufklärungsarbeit leisten, um noch mehr Menschen für die lebensrettende Organspende gewinnen zu können. Genau diese Informationsmöglichkeiten „direkt vor Ort“ hätten in den vergangenen zwei Pandemiejahren natürlich stark gelitten, sagt Hannelore Seitz gegenüber unserer Zeitung. Eine weitere Erklärung für die weiter gesunkenen Transplantationszahlen sieht sie in der Auslastung der Kliniken in dieser Zeit, durch die das Thema Organspenden womöglich auf der Prioritätenliste weiter nach hinten gerutscht sei. Auch die DSO sieht Gründe in der Covid-19-Pandemie und den daraus resultierenden Krankenständen beim Personal in den Kliniken; zudem waren zunächst Corona-positive Spender von einer möglichen Spende ausgeschlossen worden, bis das Risiko durch mehrere Studien widerlegt worden war.

Junge Menschen sind offen für das Thema

Die Widerspruchslösung allein bringe daher nichts, sagt Hannelore Seitz, „wenn sich nichts in den Strukturen ändert“. Dringend nötig sei daher vor allem ein Register, denn ohne einen festen Eintrag gehe es doch nur wieder mit Vermutung und letztlich der Nachfrage bei den Angehörigen . Am wichtigsten jedoch sei, die Menschen zu informieren und für Aufklärung zu sorgen. „Wenn wir direkt vor Ort sind mit unserem Info-Stand und Menschen direkt ansprechen, ist die Resonanz immer sehr groß“, sagt Hannelore Seitz. Besonders junge Menschen seien sehr offen für das Thema und könnten darüber auch aufgeschlossen diskutieren. Seit 1995 informiert die Bergrheinfelderin auch an Schulen in der Region mit ihren Vorträgen und hat auch hier nur positive Erfahrungen sammeln können. Bereits ab dem 14. Lebensjahr kann man einer Organ- und Gewebespende aktiv widersprechen, ab dem 16. Lebensjahr dann auch ohne Einverständnis der Eltern einer Spende zustimmen oder widersprechen. Schon lange setzt sich Hannelore Seitz daher auch dafür ein, das Thema Organspende fest im Regelunterricht zu etablieren, beispielsweise im Ethik- oder Religionsunterricht.

„Sollte eine Selbstverständlichkeit sein“

Im vergangenen Jahr hatte die Interessengemeinschaft Niere Schweinfurt/Haßberge an der zentralen Veranstaltung zum Tag der Organspende in Mainz teilgenommen. Dort hatten Hannelore Seitz und die weiteren Ehrenamtlichen der IG auch Sabine Dittmar an ihrem Stand begrüßen können. Die parlamentarische Staatssekretärin ist übrigens seit vielen Jahren selbst überzeugte Organspenderin und versucht auch immer wieder, andere zu überzeugen. „Ich habe stets ein paar Blanko-Ausweise in meiner Handtasche, die ich gerne an Interessierte verteile“, sagt Sabine Dittmar. „Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die Entscheidung, ob man mit einer Organspende auch nach seinem Tod Leben schenken will, zu treffen und auch zu dokumentieren“, findet sie. Dadurch könne man seinen Angehörigen in einer sowieso schon schweren Situation auch eine große Last nehmen.

Aus ihrer beruflichen Praxis wisse sie, dass mit einer höheren Spendenbereitschaft deutlich mehr Menschen geholfen werden könnte. Organspende betreffe uns alle, so Dittmar: „Jeder kann schon morgen auf ein Spenderorgan angewiesen sein.“

Die Selbsthilfegruppe Interessengemeinschaft Niere Schweinfurt/Haßberge e. V. will Betroffenen Hilfestellung leisten in medizinischen, sozialen oder rechtlichen Belangen sowie mit Aufklärungsarbeit die Organspendebereitschaft fördern. Informationen und Kontakt über www.ig-niere.info.

Mehr Informationen zur Organspende unter www.organspende-info.de

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