Regionalsport Ärger - Erleichterung - Hoffnung

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Viel Kampf, Krampf und letztlich Dusel: Der 1. FC Nürnberg bleibt nach dem glücklichen 1:3 beim FC Ingolstadt in der 2. Fußball-Bundesliga. Hier attackierte Enrico Valentini (links) den Ingolstadter Caniggia Elva. Foto: Matthias Balk/dpa Quelle: Unbekannt

Die Club-Fans befinden sich nach der Rettung in letzter Sekunde in einem Wechselbad der Gefühle. Sie erwarten beim 1. FC Nürnberg Maßnahmen nach dieser verkorksten Saison.

 
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Memmelsdorf/Schorkendorf/Nordhalben - Einen Fan des 1. FC Nürnberg kann so schnell nichts erschüttern. Und dass er leidensfähig sein muss, gilt inzwischen als geheimer Passus im Formular zum Aufnahmeantrag. Dennoch bringt eine Saison wie die abgelaufene auch hartgesottene "Glubberer" ein wenig zum Verzweifeln. Denn fast wäre es passiert und der Club wäre wie 1996 wieder in die Drittklassigkeit abgestürzt. Umso größer war am Samstag der kollektive Jubel, als im Relegations-Rückspiel gegen Ingolstadt Fabian Schleusener mit seinem Treffer in der letzten Minute der neunminütigen Nachspielzeit dafür sorgte, dass Nürnberg "nur" 1:3 verlor und in der 2. Liga bleiben darf.

Ein Blick ins Internet: Das sagen Club-Fans in den sozialen Medien

Markus Söder: "Herzlichen Glückwunsch zum Klassenerhalt. Der Club hat es wirklich spannend gemacht. Jetzt freuen sich viele Franken. Die Legende lebt doch noch - auch wenn es eine schöne Zitterpartie war."

Lisa Höfer: "Leicht verheult vor Enttäuschung und dann Freude, völlig fertig mit den Nerven und den Gefühlen. Sowas schafft nur der 1. FC Nürnberg - völlig irre."

Karlheinz Hofmann: "Gratulation an das neue Trainergespann. Der Plan, den Gegner 95 Minuten in Sicherheit zu wiegen und dann gnadenlos zuzuschlagen, ist voll und ganz aufgegangen."

Sabine Engelhardt: "Tja, dass ist eben unser Glubb. Keine Langeweile und nichts für schwache Nerven. Aber das macht unseren Verein eben aus."

Ringlstetter: "Wir sind um zehn Jahre gealtert. Aber egal, herzlichen Glückwunsch zum Klassenerhalt."

Klemens Weigel: "Bitte nie wieder so eine Saison!!! Ich hoffe, dass ein Umbruch kommt und endlich wieder halbwegs anständig Fußball gespielt wird. Trotz der unterirdischen Leistung - herzlichen Glückwunsch."

Björn Günther: "Ja die Saison hat ein glückliches Ende genommen. Nun dürft ihr gerne demütig auf dieses verkorkste Jahr zurückblicken und endlich mal schonungslos Tabularasa machen im Verein! Zur Debatte stehen hier sowohl der Aufsichtsrat als auch die sportliche Seite. Mistet endlich aus in dem Sauhaufen und schafft endlich moderne und konkurrenzfähige Strukturen."

Torsten Grebner: "Für das, was die ganze Saison über passiert ist, insbesondere was die Verantwortlichen abgeliefert haben, gibt´s eigentlich auch keine Worte."

Duma Key: "Alles vergeben, aber nicht vergessen! Jetzt sollten alle kurz durchatmen und dann erwarte ich aber eine schonungslose Analyse, eine seriöse Kaderzusammenstellung und vor allem möglichst bald Vollzug, was den Trainer angeht. Dieser sollte bitte nicht ein Newcomer oder Wundertüte sein. Es braucht nun einen erfahrenen Mann, der seine Qualitäten bereits unter Beweis gestellt hat."

Mehr als 24 000 Mitglieder hat der am 4. Mai 1900 gegründete Verein aktuell. Seiner Historie unter dem Motto "Titel, Tränen und Triumphe" wurde soeben ein weiteres Kapitel zum Thema Tränen hinzugefügt - allerdings solchen der Erleichterung.

"Jetzt wissen auch die Club-Fans, wie sich ungefähr der Bayern-Dusel anfühlt, mit dem immer mal die Münchner beschimpft werden", macht Benedikt Reubel keinen Hehl aus seiner Erleichterung über das glückliche Ende einer Horror-Saison. Der 35-Jährige aus dem Untermerzbacher Gemeindeteil Memmelsdorf hat gemeinsam mit Familie, Verwandtschaft und einigen FCN-Leidensgenossen aus dem Dorf zu Hause vor dem Fernsehgerät mitgezittert. Dass es mit dem fußballerischen Geburtstagsgeschenk von Fabian Schleusener für den Sohnemann, in Form des rettenden Tores zum 1:3, in allerletzter Sekunde doch noch geklappt hat, gehört zu den positiven Momenten einer ansonsten verkorksten Saison. Wer weiß, wie die Feier für den Junior sonst weiter verlaufen wäre.

Dass sein Lieblingsverein in der abgelaufenen Runde derart abgestürzt ist, habe mehrere Gründe. Nicht entscheidend sei dabei aber gewesen, dass die als frenetisch bekannten FCN-Fans zuletzt wegen Corona nicht ins Stadion durften. "Das Thema Geisterspiele hat ja nicht nur uns betroffen, da mussten die anderen auch mit klar kommen", sucht Reubel nicht nach ausreden. Damit es in der neuen Saison besser läuft, "muss etwas getan werden. Wer gehen darf, muss oder sollte, weiß ich nicht genau, da bin ich zu weit weg. Aber sicher ist, dass etwas passieren muss."

Dass Marek Mintal oder Michael Wiesinger, die kurzfristig Jens Keller als Trainer abgelöst haben, am Ruder bleiben sollten, befürwortet Reubel nur bedingt. "Sie wären zwar eine Option, aber sie haben beim FCN bisher gute Jugendarbeit geleistet und sollten das auch weiter tun. Besser wäre ein erfahrener Trainer, der bereits gezeigt hat, dass er ein Team formen kann."

Das Wichtigste sei nun, mehr Konstanz und Nachhaltigkeit in den gesamten Klub zu bringen. "Im Relegations-Hinspiel haben sie gezeigt, dass sie eine gute Leistung abrufen können. Wenn sie nur drei weitere solche Spiele während der Saison gezeigt hätten, wäre es nicht so eng geworden", klagt der Memmelsdorfer. Er hatte am Samstag nach dem 0:3 die Lichter bereits ausgehen sehen: "An den Klassenerhalt geglaubt hat man da nicht mehr, aber es ist ja zum Glück nochmal gut ausgegangen."

Dass der 1. FC Nürnberg in letzter Sekunde den Klassenerhalt geschafft hat, sieht Klaus Düerkop als unverdient an. Der 71-Jährige aus Ahorn-Schorkendorf bemängelt vor allem das in seinen Augen planlose Gekicke. "Der Club hat doch ohne System gespielt, nur die Bälle nach vorne geschlagen. Ich finde, dass Nürnberg entgegen anderer Meinungen auch im Hinspiel nicht besonders gut war im Vergleich zu anderen Zweitliga-Teams", meint Düerkop. "Nach dem 0:1 der Ingolstadter wurden die Club-Spieler dann im Rückspiel nervös und haben wie so wie oft in dieser Saison viele technische Fehler gemacht." Unterm Strich sei es ein reiner Dusel-Erfolg gewesen, der überaus unverdient war.

Der Schorkendorfer meint, dass der entlassene Trainer Jens Keller eine große Mitschuld trägt am Zustand der Mannschaft. "Ich frage mich, was Keller den Spielern eigentlich beigebracht hat. Hack zum Beispiel ist Junioren-Nationalspieler. Der hat Fußball doch verlernt. Genauso wie Sorg, Frey oder Ishak. Die bringen nichts und laufen herum wie Falschgeld. Irgendwie fehlte bei allen auch der Ehrgeiz."

Der Club müsse jetzt einen Neustart in die Wege leiten. "Als erstes muss ein Trainer her, der etwas vorstellt. Jens Keller stand doch am Spielfeldrand wie eine Marionette", meint Düerkop. "Der neue Mann muss der Mannschaft Zucht und Ordnung beibringen, dann kommt auch das Spielerische wieder." Der Verein müsse zudem nicht nur die Hälfte der Mannschaft auswechseln, sondern auch den Vorstand und vor allem den Sportlichen Leiter Robert Palikuca. "Der hat überwiegend Fehleinkäufe getätigt", kritisiert der Schorkendorfer.

Eine ähnliche Meinung zur Einkaufspolitik beim 1. FC Nürnberg hat auch Ralf Förtschbeck aus Neufang. Der Vorsitzende des dortigen Fanclubs "Rot-Schwarz" hält das Team für falsch zusammengestellt. Dass fünf Stürmer eingekauft wurden, um dann ein 4-5-1-System spielen zu lassen, hält er für einen Widerspruch in sich. Allerdings sei auch Verletzungspech erschwerend hinzugekommen.

Der gesamte Verein müsste seiner Ansicht nach komplett umgekrempelt und neu aufgestellt werden. Vom Aufsichtsratsvorsitzenden, der - wie Förtschbeck ironisch anmerkt - "eine super Figur abgegeben hat, die ganzen Medien lachen ja über ihn, über den Sportvorstand, der uns die ganze Sache eingebrockt hat, mit den zwei Trainern, bis hin zu einigen Spielern. Von denen müssten auch einige verschwinden, von dem her, was sie geleistet beziehungsweise nicht geleistet haben." Besonders enttäuscht ist der 47-jährige Glubberer von Mannschaftskapitän Hanno Behrens. "Er hat als Kapitän seit dem Erstligaaufstieg zwei grottenschlechte Saisons abgeliefert, anstatt mit gutem Beispiel vorneweg zu gehen."

Trotz allem überwiegt am Ende die Erleichterung. "Eigentlich hatten wir mit dem Thema schon abgeschlossen. Es war das Schwierigste, was ich jemals mit dem Club erlebt habe. In der 94. Minute des Relegations-Rückspiels habe ich zum 2. Vorsitzenden gesagt: ‚Ich möchte einmal erleben, dass wir nicht der vielzitierte Depp sind. Und dann haben wir tatsächlich einmal im Leben Glück gehabt’. Das war nichts für schwache Herzen." Falls Palikuca bleibt - "was ich nicht hoffe", so Förtschbeck - und Marek Mintal der Chefanweiser bleiben soll, müsste er Förtschbecks Ansicht nach einen starken Co-Trainer an die Seite gestellt bekommen.

Fotos: privat (3)

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