Schulleiter Döhner ist es ein Rätsel, wie die Reichsbürger in den Saal gelangen konnten, der grundsätzlich nur nach einer eingehenden Prüfung an Interessenten, beispielsweise örtliche Vereine oder Familien, vergeben werde. Für Samstagabend sei keine Vermietung oder Überlassung erfolgt. Am Nachmittag habe dort die Präsentation der Jahresarbeiten von Schülerinnen und Schülern stattgefunden, eine traditionelle Veranstaltung der Rudolf-Steiner-Schule. Die letzten Beteiligten hätten das Gebäude gegen 19 Uhr verlassen. Sie hätten versichert, die Türen verschlossen zu haben. Nachdem es keine Aufbruchspuren gibt, müsse davon ausgegangen werden, dass jemand die Reichsbürger in den Saal eingelassen hat. „Wir haben rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, die meisten davon hätten Zugriff auf einen Schlüssel, erläuterte Döhner. Jetzt müsse herausgefunden werden, wer letztlich die Tür aufschloss.
Das ist Kern der polizeilichen Ermittlungen des Kommissariats für Staatsschutzdelikte der Kriminalpolizei Coburg. Sie arbeite dabei eng mit der Schulleitung zusammen, betonte Polizeisprecher Matthias Potzel. Er bestätigte die Angabe der Schulleitung: Derzeit gebe es keine Hinweise, dass pädagogisches Personal oder Büromitarbeiter das Reichsbürgertreffen ermöglicht haben.
„Reichsbürger“
Reichsbürger sind nach Angaben des bayerischen Innenministeriums Gruppierungen und Einzelpersonen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber Gerichten und Behörden auf.
Zahl der Personen in Bayern, die der Reichsbürger-Szene zugerechnet werden, beläuft sich auf rund 4330 (Stand: 30. Juni 2021). Das Spektrum reicht von Querulanten, Staatsverdrossenen oder Verschwörungstheoretikern bis hin zu Geschäftemachern, psychisch Kranken und Personen mit einem rechtsextremistischem Weltbild.
„Stuttgarter Erklärung“
In der „Stuttgarter Erklärung“, die die Rudolf-Steiner-Schule Coburg mitträgt, sprechen sich die Waldorfschulen in Deutschland gegen Rassismus und Diskriminierung aus. Darin heißt es:
„Als Schulen ohne Auslese, Sonderung und Diskriminierung ihrer Schülerinnen und Schüler sehen sie alle Menschen als frei und gleich an Würde und Rechten an, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Weltanschauung oder Religion.“
„Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass das Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt Formulierungen enthält, die von einer rassistisch diskriminierenden Haltung der damaligen Zeit mitgeprägt sind. Die Waldorfschulen distanzieren sich von diesen Äußerungen ausdrücklich. Sie stehen im vollständigen Widerspruch zur Grundausrichtung der Waldorfpädagogik und zum modernen Bewusstseinswandel.“
„Weder in der Praxis der Schulen noch in der Lehrerausbildung werden rassistische oder diskriminierende Tendenzen geduldet. Die Freien Waldorfschulen verwahren sich ausdrücklich gegen jede rassistische oder nationalistische Vereinnahmung ihrer Pädagogik.“