Rosenberg Festspiele Kronach Hier ist auch das Publikum gefragt

Heike Schülein
  Foto: Kerstin Löw

Das Hauptstück der Rosenberg Festspiele hat am Freitag Premiere: Schillers Drama „Maria Stuart“. Bei der Besetzung dürfen die Zuschauer ein Wörtchen mitreden.

 
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„Ihr Leben ist dein Tod! Ihr Tod ist dein Leben!“ – So lautet die Empfehlung des Staatssekretärs Burleigh an Königin Elisabeth. Er steht mit dieser Einschätzung nicht alleine. Die englische Lordschaft hat fast einstimmig geurteilt: Maria Stuart muss sterben. Der Verschwörung für schuldig befunden, soll ihr Kopf unter das Henkersbeil. Nun fehlt nur noch die Unterschrift der Königin, doch die zögert.

Konfrontiert mit diesem Wunsch ihres Volkes, schaut Elisabeth (Sabine Rossbach), in sich versunken, in Richtung des an diesem Probentag noch imaginären Publikums. Mit enormer Bühnenpräsenz verkörpert sie vor der grandiosen Kulisse der Kronacher Festung Rosenberg die wankelmütige Herrscherin, die sich um ihre Position sorgt. Ob und bei wie vielen Aufführungen der Rosenberg Festspiele sie tatsächlich die protestantische, unverheiratete Königin mimt oder deren Widersacherin, die extrovertierte Königin von Schottland – das weiß weder sie noch ihr Pendant Katja Klemt.

„Beide Darstellerinnen haben beide Rollen gelernt. Das jeweilige Publikum entscheidet, wen es in der Rolle von Maria sehen möchte“, erklärt die Intendantin der Festspiele, Anja Dechant-Sundby, die beim spannungsgeladenen Klassiker von Friedrich Schiller selbst Regie führt. Die Besucher werden aufgefordert, Kugeln für die Akteurin ihrer Wahl in eine Waagschale zu werfen, die danach ausjustiert wird. So erfahren die beiden Schauspielerinnen erst kurz vor Aufführungsbeginn, welche Rolle sie an dem Abend spielen werden.

„Ich finde das sehr spannend, wie sich das Publikum entscheidet“, sagt Anja Dechant-Sundby, die diesen Vorgang auch im Kontext zu den Schicksalen der Protagonistinnen sieht. Beide hätten die Wahl gehabt, aus der Situation herauszukommen. Durch die unterschiedliche Besetzung könnten sich ganz verschiedene Aufführungen ergeben.

„Ich finde das eine geniale Idee – Eine Herausforderung, aber zugleich auch sehr spannend“, sagt Sabine Rossbach. Eine bevorzugte Rolle habe sie nicht, da es sich um sehr komplexe Frauenfiguren handele, die beide ihren eigenen Reiz hätten. „Ich habe sofort ja gesagt, als Anja Dechant-Sundby mich fragte, ob ich Lust habe, beide Rollen zu spielen. Das ist ein großer Reiz zu sehen, was an den Abenden passiert beziehungsweise herauskommt, wenn sich die ‚Zutaten’ ändern“, pflichtet ihr Katja Klemt bei.

Das in ihren Augen widerliche Herrschaftsvokabular habe ihr anfangs große Probleme beim Textlernen bereitet. Damals hätte sich noch niemand vorstellen können, wie erschreckend präsent die Thematik würde – durch den kurz darauf begonnenen Krieg in der Ukraine.

Auch für die weiteren Darsteller Bernd Berleb, Artur Hieb, Gerald Leiß, Volker Figge, Gregor Nöllen und Lukas Reinsch bedeutet die wechselnde Rollenverteilung eine große Umstellung. „Man geht ja zu beiden unterschiedliche Beziehungen ein“, meint „Leceister“ Bernd Berleb, da beide jeweils ganz eigene Aspekte in die Rolle einbrächten. Sich so kurzfristig darauf einzustellen und zu reagieren, das sei durchaus herausfordernd. Eine besondere Konstellation ergebe sich beim gleichzeitigen Agieren der beiden Königinnen, sind sich Sabine Rossbach und Katja Klemt einig. Beim Miteinander-Sprechen und Anschauen sei es so, als wenn man sich selbst beziehungsweise sein Spiegelbild im Gegenüber sehe – ein verwirrendes Gefühl.

Eine solche Begegnung der beiden Herrscherinnen habe es in Wirklichkeit nie gegeben, weiß Anja Dechant-Sundby. Schiller habe dieses Mittel als Spannungspol und Höhepunkt eingebaut, um damit den Konflikt zu verschärfen. Frei nach dem Motto „Was wäre gewesen, wenn?“ steht dabei im Raum, ob ein Aufeinandertreffen von Angesicht zu Angesicht den Konflikt verändert hätte. Wohl eher nicht, meint die Regisseurin. Maria hätte die Chance gehabt, ihr Schicksal zu wenden; hätte sich aber aus Stolz sicherlich nicht unterworfen. Elisabeths Hauptproblem – die Weigerung Marias, ihren Ansprüchen auf den englischen Thron zu entsagen – hätte somit weiter bestanden. Selbst gefangen in der ihr aufgetragenen Rolle als Königin, hätte sie demnach selbst eine Zusammenkunft nicht davon abgebracht, das Urteil zu unterschreiben.

„Bei den beiden handelt es sich um zwei der interessantesten historisch belegten Frauenfiguren überhaupt“, sagt die Intendantin. Kaum einer habe ihre Komplexität so auf den Punkt gebracht wie Schiller. Sein Psychothriller um Macht, Neid, Hass und Menschlichkeit habe nichts an Aktualität eingebüßt. In dem von ihr textlich etwas verschlankten Schauspiel erlebe man nicht nur einen dramatischen Kampf verfeindeter Persönlichkeiten, sondern werde auch Zeuge, wie die beiden emanzipierten Frauen von ihrem machtbesessenen Umfeld zu Rivalinnen gemacht und gegeneinander ausgespielt werden. Es gehe um Manipulation, Recht und Gerechtigkeit – und letztlich auch um die Frage, wie menschlich Politik sein könne.

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