Wer spürt, dass er falsch handelt, wird gern aggressiv oder irrational
Oftmals reagieren die Betroffenen aggressiv oder versuchen neue Argumente ins Feld zu führen – zum Beispiel Aspekte der Sicherheit. Dabei unterscheidet sich die Sicherheit eines SUV nicht von der anderer Standardmodelle, wie es beim Testzentrum Mobilität und aktive Fahrzeugsicherheit heißt. Dafür erhöht sich das Risiko für Fußgänger und Kleinwagen deutlich, wenn sie mit einem SUV kollidieren – und kaum gesagt, schon könnte es beim SUV-Fahrer zu einem Spannungsgefühl kommen, denn natürlich will man sich nicht offensichtlich egoistisch verhalten auf Kosten anderer.
Gut also für all jene, die auf ihrem Schuldenkonto keine negativen SUV-Punkte haben – und das unter Umständen direkt in einen Freibrief ummünzen, um anderes problematisches Handeln zu legitimieren. So gönnt sich der passionierte Zugfahrer eine Flugreise, während die Couchkartoffel die miserablen Arbeitsbedingungen bei Amazon hinnimmt.
Oder man sieht geflissentlich darüber hinweg, dass man Unmengen an Plastikmüll produziert – aber immerhin für vegane Produkte. Wo man hinschaut, wir alle lügen uns permanent in die eigene Tasche und wollen uns besser sehen, als wir sind.
Eine falsche Handlung wird mit einer guten begründet
Der Umweltexperte Rainer Grießhammer behauptet in seinem Buch „#Klimaretten“, dass der Selbstbetrug sogar „immer absurder“ werde. Eltern würden ihre Kinder mit dem SUV zur „Fridays for Future“-Demo bringen und im Urlaub Fernreisen unternehmen, ihren Lebensstil aber als nachhaltig bezeichnen.
Hier greift ein bemerkenswerter Selbstbetrug des Ichs: Eigene Taten werden höher bewertet, als sie in Wahrheit sind. Wer seinen Papiermüll trennt, hält das für so unglaublich umweltfreundlich, dass ihm andere Zuwiderhandlungen als lässliche Sünden erscheinen.
So ist es nur folgerichtig, dass angeblich immer mehr Menschen Angst vor der Klimakrise haben, aber alles tun, damit diese nicht abgewendet wird. Die Schere zwischen Selbstdarstellung und Handeln kann sehr weit aufgehen.
So behaupten links eingestellte Menschen in Umfragen häufiger als konservativ Denkende, dass sie umweltbewusst handeln würden, selbst wenn es gar nicht stimmt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: In ihrer Gruppe sind Umweltschutz und Klimakrise zentrale Themen. Deshalb versucht man das zu verkörpern, was als sozial erwünscht erachtet wird.
Ohne Gesetze und Verbote lassen sich Probleme nicht lösen
Es genügt auch schon, hin und wieder ein Bio-Produkt zu kaufen, um sich einzubilden, nachhaltig zu leben. Psychologen sprechen hierbei von Verfügbarkeitsheuristik. Wenn ein Sachverhalt zu schwierig ist oder einem Informationen fehlen, um ihn richtig einschätzen zu können, beginnt man nicht etwa, zu recherchieren, sondern die Fragestellung wird so angepasst, dass sie leichter zu beantworten ist.
Ein Phänomen, das man beim Einkaufen oft beobachten kann. Bei zahllosen ähnlichen Produkten ist es unmöglich, das faktisch beste Produkt mit einem optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis zu kaufen.
Deshalb greifen wir in diesen Momenten häufig zu Markenprodukten, die uns in der Werbung schon mal ein positives Lebensgefühl vermittelt haben. Da man glaubt, dieses gute Gefühl mit zu kaufen, zahlt man sogar mehr dafür.
Dieses störende Spannungsgefühl
Der Selbstbetrug, mit dem wir uns vor unangenehmen Gefühlen schützen wollen, führt allzu oft dazu, dass dringend notwendige Maßnahmen nicht umgesetzt werden, allem besseren Wissen zum Trotz. Nicht nur das Individuum, auch Wirtschaft und Politik lügen sich gern in die eigene Tasche, wenn sie sich großmäulig auf freiwillige Selbstverpflichtungen einigen. Sie sind eine sehr effektive Strategie, um auf allen Seiten das störende Spannungsgefühl abzubauen, ansonsten aber bewirken sie herzlich wenig.
Um ernsthaft Dinge zum Besseren wenden zu wollen, geht es nicht ohne Ge- und Verbote, meint der Psychologe Gerhard Reese. Da sie nicht beliebt sind, plädiert er dafür, Freiheitsbeschränkungen positiver zu kommunizieren. Ob im großen Ganzen oder im kleinen, individuellen Handeln – letztlich lohnt es sich, das lästige Spannungsgefühl nicht durch Selbstbetrug zu zähmen.
Raucher können sich die Gefahren schönreden. Wenn sie aber den Schritt geschafft haben, aufzuhören, profitieren sie doppelt. Schließlich tut man nicht nur der Gesundheit etwas Gutes, sondern hat auch die lästigen Spannungsgefühle für immer los.