Perlenschnur statt Röhre So sehen menschliche Nervenzellen in Wirklichkeit aus

Stefan Parsch ()/Markus Brauer

Ein gutes Gedächtnis, eine schnelle Auffassungsgabe: Dafür müssen Nervenzellen im Gehirn eine besondere Struktur aufweisen. Wie Forscher jetzt herausgefunden haben, sieht diese wohl anders aus, als bisher gedacht. 

 
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Nervenbahnen sind komplexer, als wir dachten: Forscher haben eine perlenartige Struktur aufgedeckt, die vielleicht entscheidend fürs Denken und neurologische Erkrankungen ist. Foto: Imago/Depositphotos

Das alte Modell der „Nerven-Röhren“ hat ausgedient: Die Leitungsbahnen vieler Nervenzellen in Gehirnen von Säugetieren sehen ganz anders aus als bisher angenommen.In Schulbüchern wie auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen werden die langen Fortsätze von Zellen – sogenannte Axone – meist röhrenartig dargestellt. US-Forscher haben jetzt festgestellt, dass Axone in Mäusegehirnen regelmäßige Verdickungen aufweisen, die aussehen, als wären Perlen auf einer Schnur aufgefädelt.

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Zur Info: Als Axon oder Neurit wird der Fortsatz einer Nervenzelle (Neuron) bezeichnet, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper (Soma) weg leitet.

Eine Nervenzelle ist eine auf Erregungsleitung und Erregungsübertragung spezialisierte Zelle, die als Zelltyp in Gewebetieren und damit in nahezu allen vielzelligen Tieren vorkommt. Foto: Imago//Dreamstime

Struktur der Nervenzellenfortsätze

„Axone sind die Kabel, die unser Gehirngewebe verbinden. Sie ermöglichen Lernen, Erinnerung und andere Funktionen“, erklärt Shigeki Watanabe von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore. Die Struktur der Nervenzellenfortsätze zu verstehen sei wichtig für das Verständnis der Signalübertragung im Gehirn, betont der Forscher. Denn diese beeinflusse die Geschwindigkeit der Signalweiterleitung.

Unter dem Elektronenmikroskop sind die regelmäßigen Verdickungen eines Axons (Mitte) zu erkennen. Foto: Quan Gan, Mitsuo Suga/Shigeki Watanabe/dpa

Bisher war zwar bekannt, dass Axone gelegentlich perlenartige Verdickungen ausbilden können. Die aktuelle Untersuchung des Forscherteams um Watanabe, jetzt im Fachmagazin „Nature Neuroscience“ erschienen, zeigt jedoch: Die Perlen-auf-der-Schnur-Axone im Mäusegehirn stellen den Normalfall bei Nervenbahnen dar. In den Versuchen fehlte die isolierende Hülle aus Myelin, welche die Axone umgeben.

Nervenzellen in Stickstoff eingefroren

Watanabe hat auch eine Erklärung dafür parat, warum diese Strukturen bislang nicht entdeckt worden sind:  Er und seine Kollegen haben die Proben in flüssigem Stickstoff eingefroren. „Normalerweise verwenden Forscher Chemikalien, um Proben für die Elektronenmikroskopie zu verarbeiten und entwässern diese Gewebe dann.Was so ist, als würde man aus einer Weintraube eine Rosine machen“, sagt Watanabe. „Aber bei der Kryokonservierung ist es so, als würde man eine gefrorene Weintraube herstellen. Man kann die eigentliche Form bewahren.“

Eine typische Säugetier-Nervenzelle hat einen Zellkörper und Zellfortsätze zweierlei Art: die Dendriten und den Neuriten bzw. das Axon. Die verästelten Dendriten nehmen vornehmlich Erregung von anderen Zellen auf. Foto: Imago//Dreamstime

Weiterleitung elektrischer Nervenimpulse

Die Autoren untersuchten, welche Auswirkungen diese Strukturen auf die Weiterleitung der elektrischen Nervenimpulse haben. Ihre Analyse erfolgte zunächst in Computermodellen, die ergaben, dass die Verdickungen mit Eigenschaften der Axonmembran erklärt werden können. Anschließend führten sie Experimente an Nervenzellen von Mäusen durch.

Wenn die Wissenschaftler die Axone mit elektrischen Impulsen in einer hohen Frequenz stimulierten, wurden die Verdickungen im Durchschnitt um acht Prozent länger und um 17 Prozent breiter.

Durch die Stimulation nahm die Konzentration von Cholesterin in den Axonmembranen um etwa 45 Prozent ab. Dadurch sinke die Steifheit der Membranen, sie würden beweglicher, erklären die Studienautoren.

Die Axon-Enden stehen über Synapsen, an denen die Erregung selten unmittelbar elektrisch weitergegeben, sondern meist mittels Botenstoffen (Neurotransmittern) chemisch übertragen wird, in Kontakt zu anderen Nervenzellen, Muskelzellen oder zu Drüsenzellen. Foto: Imago//Dreamstime
Synapsen sind die Stelle einer neuronalen Verknüpfung, über die eine Nervenzelle in Kontakt zu einer anderen Zelle steht. Foto: Imago/Depositphotos

Perlenstruktur der Nervenbahnen

Die Wissenschaftler stellten fest, dass Axone mit Perlenstruktur die Nervenimpulse schneller leiteten als röhrenförmige Axone. Das aber nur, wenn das Verhältnis der Länge zur Breite der Verdickungen etwa 1,7 zu 1 betrug. Höhere und niedrigere Werte hätten eine geringere Geschwindigkeit zur Folge, schreiben sie. Sie wollen nun untersuchen, wie sich bei Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen die Struktur der Axone ändert, vor allem im Hinblick auf die Perlenbildung.