Wenn am Samstag die goldenen Kutschen durch London gezogen werden, wird die Welt wieder einmal staunen über Pracht und Prunk im Vereinigten Königreich.
Die einen kleiden sich in goldene Roben. Die anderen suchen zu überleben, so gut es geht. Nirgendwo in Europa ist die Kluft zwischen Arm und Reich so ausgeprägt wie in Großbritannien. Die Krönung rückt das in ein grelles Licht.
Wenn am Samstag die goldenen Kutschen durch London gezogen werden, wird die Welt wieder einmal staunen über Pracht und Prunk im Vereinigten Königreich.
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Goldene Roben liegen zum Überstreifen in Westminster Abbey bereit. Diamanten von unschätzbarem Wert zieren die Kronen, die bei der Zeremonie Verwendung finden sollen. Ein Reichtum sondersgleichen wird bei dieser Gelegenheit zur Schau gestellt.
Erst kürzlich hat Londons republikanisch-liberaler Guardian einmal aufzulisten versucht, welche enormen Werte an Schlössern, Liegenschaften, Stallungen und Luxus-Limousinen (Rolls-Royces, Bentleys, Jaguars) der königlichen Familie zur Verfügung stehen.
Wobei oft schwer zu sagen ist, wie viel davon der Kategorie Staatsbesitz zuzuzählen ist, und wie viel von den Nutznießern als Privateigentum behandelt wird – zumal wenn es sich um Geschenke handelt, die den Royals irgendwann einmal zugegangen sind.
Noch schwerer sind solche Unterscheidungen zu treffen, wo es um die weniger sichtbaren Werte geht, wie um die kostbaren privaten Kunstsammlungen, die irgendwo in den Schössern hängen oder lagern und die außer der „Family“ kaum jemand zu Gesicht bekommt. Sie sollen gewaltige Werte umfassen und Großbritanniens öffentliche Museen mit Neid erfüllen. Allein die Briefmarkensammlung, die Charles wie alles von seiner Mutter steuerfrei geerbt hat, soll 100 Millionen Pfund wert sein.
Noch undurchsichtiger wird es, wo es um angelegte Vermögen geht oder um Einkünfte aus Landbesitz, die dem Monarchen teils zu freien Verfügung stehen. Um Hunderte von Millionen Pfund im Jahr soll es sich hier handeln, zu denen dann noch die „Unterhaltszahlung“ für die Krone aus der Staatskasse – also vom Steuerzahler – kommt.
Den gesamten Reichtum, über den Charles verfügt, schätzt der Guardian auf „mindestens 1,8 Milliarden Pfund“. Kein Wunder, dass einzelne britische Abgeordnete (nicht nur der Linken) in den letzten Wochen fanden, Charles solle doch seine Krönungsfeier, die zwischen 50 und 100 Millionen Pfund kosten dürfte, aus eigener Tasche bezahlen: Leisten könne er sich das ja.
Grund für diesen Vorschlag ist nicht zuletzt, dass der teils bekannte, teils noch verdeckte Wohlstand der Windsors in solch scharfem Kontrast steht zu den Lebensverhältnissen vieler der „Untertanen“, die der König ja eigentlich repräsentieren soll.
Denn Millionen Britinnen und Briten können anlässlich der Feiern und des Fähnchenschwenkens an diesem Wochenende nur ungläubig verfolgen, was sich vor ihren Augen abspielt. Ihnen fehlt es nicht nur am Luxus, an den die Royals gewöhnt sind, sondern am Allernotwendigsten zum Überleben. Sie bewegen sich gefährlich am Existenz-Minimum.
Einen Andrang wie jetzt, ausgerechnet zur Zeit der „Coronation“, haben Großbritanniens Food Banks – die karitativen Stellen, die kostenloses Essen ausgeben – „überhaupt noch nie erlebt“, wie sie sagen. Schon im Vorjahr war die Lage für viele Familien und Rentner ja ernst gewesen, mit den emporschnellenden Energiepreisen und sonstigen Lebenshaltungskosten, und angesichts langjähriger Reallohneinbußen und relativ niedriger Sozialhilfe und Renten.
Aber statt sich zum Ende des Winters zu entspannen, hat sich die Situation jetzt eher noch verschärft. Was kein Wunder ist: Die generelle Inflationsrate ist noch immer zweistellig (deutlich höher als auf dem europäischen Kontinent). Und die Inflationsrate für Nahrungsmittel hat 17 Prozent erreicht.
Einige Grundnahrungsmittel kosten doppelt so viel wie vor einem Jahr. Jüngst ist bekannt geworden, dass einige Supermärkte das Milchpulver für Babys aus den Regalen genommen haben und es nun „hinter der Theke“ bereit halten – weil zuviel davon von verzweifelten Eltern gestohlen worden ist.
„Was sich klar abzeichnet“, erklärt es die Food-Bank-Koordinatorin Sabine Goodwin, „das ist, dass viele Leute versucht haben, irgendwie auf Pump über den Winter zu kommen, und dass ihre Schulden nun ein solches Ausmaß erreicht haben, dass es sie nicht mehr schaffen.“ Krankenschwestern und Lehrer gehören neuerdings zu den Berufsgruppen, die man in die Food Banks kommen sieht, weil sie Hilfe brauchen.
Immer weniger Eltern können derweil das Schul-Essen bezahlen, das ihre Kinder in Englands Ganztagsschulen durch den Tag bringen sollte. Die Schulküchen selbst tun sich bei ihren Einkäufen schwer. Und viele Familien haben den Winter über ihre Mahlzeiten daheim eingeschränkt oder nur kalt gegessen, um Elektrizität zu sparen.
Versicherungen sind gekündigt worden, und Haustiere ins Tierheim gewandert, weil das Futter zu teuer wurde. Pubs und Restaurants müssen schließen, weil niemand mehr kommt. Fast eine Million Mieter aber fürchten, von ihren Vermietern dieses Jahr vor die Tür gesetzt zu werden, weil sie Schwierigkeiten haben, die Miete zu bezahlen. Gemeinden und Obdachlosen-Verbände befürchten das Schlimmste jetzt.
Einen bemerkenswerten Unterschied dieser Situation zu anderen Staaten haben in einer gemeinsamen Studie die Stiftung Resolution Foundation und die London School of Economics, die LSE, beschrieben. Dieser Studie zufolge sind britische Haushalte im Schnitt um 8800 Pfund ärmer als Haushalte in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden.
Zwar ist das reichste Zehntel der Briten einiges reicher als der vergleichbare Teil der Bevölkerung in diesen Ländern. Dafür liegen die Bezüge des ärmsten Fünftels um 20 Prozent niedriger als beim ärmsten Fünftel der Menschen jenseits des Ärmelkanals.
Gerade zum Zeitpunkt der Krönungsfeiern ist dieser schärfere und sich noch immer weiter verschärfende Gegensatz zwischen Arm und Reich auf den Britischen Inseln jetzt wieder zum Thema geworden.
Dem Nationalen Amt für Statistik zufolge sind nämlich die verfügbaren Einkommen des ärmsten Viertels der Briten im letzten Jahr um 3,3 Prozent gefallen, während die des wohlhabendsten Fünftels um den selben Prozentsatz stiegen. An der Spitze der Pyramide, im Königshaus, wird man sich jedenfalls nicht beklagen über die eigene finanzielle Situation.