Neue Konventionen bedeuten nicht mehr Nähe
Erst die Idee einer demokratischen Gesellschaft mit weniger sozialen Schranken eröffnete dem Duzen eine neue Dimension. Englisch als Geschäftssprache bei großen Firmen, das Internet und Medien haben diesen Trend verstärkt und beschleunigt.
"Insgesamt ist die Gesellschaft in Deutschland auf vielen Ebenen informeller geworden. Es gibt ja auch keinen Krawattenzwang mehr. Sprache ist ein Baustein dieser Entwicklung", sagt Linguist Simon. Pauschal rücke die Gesellschaft dadurch aber nicht näher zusammen. Die Leute seien deshalb nicht freundlicher zueinander. "Es ist nur eine andere Konvention. Was da mitschwingt, ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Jugendlichkeit, Sportlichkeit und "wir sind alle Kumpels" als wichtig erachtet wird."
Sprachforscher Deppermann sieht Deutschland in einer Übergangsphase, in der die Richtung unklar ist. Wird es mehr Lockerung geben - oder werden die sozialen Grenzen schärfer gezogen? Deppermann sieht im Moment auch eine Sehnsucht nach Orientierungssicherheit und traditionellen Formen. "Eine Rückwärtsbewegung ist nicht ausgeschlossen", ergänzt er. Sprache sei ein großer Teil von Identität - "und die Anrede war immer schon ein Kampfplatz".